# taz.de -- Die Wahrheit: Der toteste Unort der Welt | |
> Wichtige Kultur- und Wissenschaftsmenschen bevölkern gern Tagungen und | |
> Symposien und verschwinden in einsamen Tagungshotels, Verwesung | |
> inbegriffen. | |
Wer im Kulturbetrieb oder in der Wissenschaft dabei ist, landet irgendwann | |
auf Podien, Symposien, Tagungen. Wozu genau das gut ist, bleibt unklar – | |
manchmal lernt ein Publikum irgendetwas, oft besteht es aber auch nur aus | |
Tagungsteilnehmern, die meist später kommen oder gleich nur zum eigenen | |
Vortrag anreisen, in dem schönen Gefühl, dass die anderen einem eh nichts | |
zu sagen haben und Diskussionen überbewertet sind. Der vermeintlich hipste | |
Kollege entschuldigt sich nonchalant mit Zugverspätung. Jaja, dabei hat er | |
schon vor Stunden neben mir an der Hotelrezeption gestanden, der Depp. Hält | |
der mich für blöde? | |
Das Ganze ist nichts als ein Ritual und muss also für irgendwas gut sein. | |
Tagungen vermitteln Menschen das Gefühl, dass sie dazugehören. Dafür | |
größere Mengen an Forschungsgeldern zu verschwenden, scheint zunächst nicht | |
plausibel. Aber so holt man die Leute von der Straße: Niemand muss sich vor | |
marodierenden Soziologinnenhordinnen fürchten, keiner vor meuchelnden | |
Mathematikern fliehen, denn die verschwinden alle im Tagungshotel und | |
werden dort ins Koma gebeamt. | |
Das Tagungshotel! Der toteste Unort von allen. In Mittelstädten oft nicht | |
weit vom Bahnhof gelegen, in einer verwesenden Gegend, halb Gewerbegebiet, | |
halb Resterampe; mittendrin ein Eingang wie ein Staubsauger. Es riecht nach | |
stark gechlortem Schwimmbad mit fader Tomatensuppe an zerdätschtem Gulasch, | |
Marke Wildunfall. Wenn man Glück hat, rauscht einem keiner der baufälligen | |
Betonbalkone auf den Kopf, keine der schweren Türen aus Tropenholzimitat | |
klemmt einem die Finger und man schafft es bis in den Tagungsraum, in dem | |
heimtückische Flipcharts auf ihren faden drei Beinen angaloppiert kommen, | |
um einen hinterrücks anzufallen und mit Post-it-Zetteln zu bewerfen. | |
Im tödlichen Kunstlicht schimmern auf dem mageren Obstdisplay fade | |
angetrocknete Ananasschnitze zwecks Depressionsförderung. Da nehme ich | |
lieber die Kekse, die nach dem Weltenende schmecken. Dieses pelzige Gefühl | |
auf der Zunge lenkt mich ab von der Verzweiflung über Menschen, die ihr | |
ganzes Leben nichts anderes tun, als vor anderen Leuten zu sprechen, und | |
trotzdem beharrlich glauben, man könne die Zuhörerschaft mit Gähnthemen in | |
Schachtelsätzen, lang wie die chinesische Mauer, bezaubern. | |
Draußen tobt derweil das Leben, während du hier sitzt im Eishauch der | |
unregulierbaren Klimaanlage und traumversunken auf die schiefe Krawatte des | |
Referenten blickst. Der Eifleck daneben ist heute das Zentrum deiner Welt, | |
denn du hockst in der Falle und sehnst dich nach dem Abendbier, nur raus | |
und Rausch, bitte schnell! Im einsamen Zimmer warten danach Heizung, | |
Notlicht, Verkehrslärm und Todessehnsucht und lassen sich nicht abschalten. | |
Falls demnächst jemand eine Tagung über Tagungen plant: Ich bin dabei. | |
13 Mar 2024 | |
## AUTOREN | |
Susanne Fischer | |
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