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# taz.de -- Rede zur Staatsräson: Heiland Habeck. Echt jetzt?
> Robert Habeck sagte, was immer wieder gesagt werden muss und immer wieder
> gesagt wird. Er hätte aber auch ansprechen müssen, was gerade abgesagt
> wird.
Bild: Vom Heiland zum Verdammten und zurück: Vizekanzler Habeck, hier Ende Okt…
Donnerstag früh erwache ich und denke zuerst: Echt jetzt? Denn das Erste,
was ich höre, ist „Wääääääääääääää! Ööööööö! Äääää…
Laubbläsegerät. Echt jetzt?, denke ich nicht, weil mich das Geräusch stört.
Sondern weil der Laubbelag auf meiner Kreuzberger Straße das verdeckte, was
durchs Wegblasen nun wieder freigelegt ist: Drogenbestecke, blutige
Taschentücher und menschengemachte Kackhaufen.
Als ich in der Küche das Radio anmache, denke ich schon wieder: Echt jetzt?
Anlass ist die Nachricht: „Wirtschaftsminister [1][Robert Habeck hat eine
viel beachtete Rede] gehalten, in der er den Antisemitismus verurteilte.“
Echt jetzt?, denke ich, weil ich Robert Habeck bisher nicht für einen
extremistischen Hassprediger hielt, der sich jetzt überraschend vom
Antisemitismus distanziert, und weil ich ahne, dass nun wieder vollkommen
überdrehte Heiland-Habeck-Rufe ertönen. Und so kommt es: Verzückung,
Kniefälle, das ganze Programm. Besonders lustig sind die Expert*innen
und Kolleg*innen, [2][die den Blood-Sweat-and-Tears-Vergleich] machen.
Während der bisher bei jeder „großen“ Rede Habecks gemacht wurde, hielt
Winston Churchill diese Rede bekanntlich nur ein Mal, am 13. Mai 1940.
[3][Robert „Alter“ Habeck] aber scheint für viele den britischen Meister
politischer Rhetorik längst in die Tasche gesteckt zu haben.
Was mich am meisten „Echt jetzt?“ denken lässt, ist die Behauptung der
Expert*innen, Dr. phil. Habeck sei der erste Politiker, der die
Formulierung: „Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson“ nicht als
Leerformel benutzt, sondern ausbuchstabieren kann. Ich verstehe ja, dass
man das glauben möchte. Und ich verstehe am allermeisten, dass der
Zentralrat der Juden die Rede Habecks lobt, denn vielen Jüdinnen und Juden
in Deutschland wird die Rede mutmaßlich und zumindest für einen kurzen
Moment lang gutgetan haben.
## Wie genau sieht Schutz aus?
Was ich aber nicht verstehe: Was daran ist rhetorisch so sensationell, dass
Robert Habeck die deutsche Haltung zu Israel mit den eigenen Großeltern
begründet?
Das Argument, Deutschland müsse die Juden in Israel und in Deutschland
besonders schützen, weil es sie mal fast komplett ausgelöscht hat, nutzen
auch Antisemiten seit 1945 für ihre Zwecke. Das macht es nicht falsch. Aber
dem Vorwurf, Schuldgefühle leiteten die deutsche Politik, sollte man in so
einer Rede in so einer Zeit schon auch begegnen.
„Deutschland ist verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Jüdinnen und Juden in
Deutschland frei und sicher leben können“, sagte Habeck. Mal abgesehen von
der Selbstverständlichkeit, die jedem Bürger in Deutschland zusteht: Wie
genau sieht das aus?
So wie Žižeks Buchmessenrede war auch Habecks Rede keine große, weil er
sagte, was zwar immer wieder gesagt werden muss, er aber auch verschwieg,
was es noch zu sagen gäbe. Zu einer wirklich großen Rede nämlich hätte
neben der Versicherung der Staatsräson gehört, dass der Vizekanzler die
Zivilgesellschaft, den Medien- und Kulturbetrieb, das gesamte Land zur
Räson gerufen hätte. Es hätte dazugehört, alle aufzufordern, damit
aufzuhören, Preisverleihungen zu verschieben, Journalisten zu entlassen,
Theaterstücke auszusetzen und Diskussionsveranstaltungen abzusagen nur aus
dem Grund, weil man Angst hat, es könne irgendetwas gesagt werden, was
andere aufregt.
Die Frage, die Jüd*innen wie die Schriftstellerin Deborah Feldman seit
dem 7. Oktober verstärkt aufwerfen – ob Israel die Sicherheit für alle
Juden wirklich noch gewährleisten kann –, muss in Deutschland so
selbstverständlich diskutiert werden können wie der [4][Vorwurf Feldmans an
Habeck in der Sendung „Lanz“], „Sie schützen Juden selektiv.“ Statt
nachzufragen, was sie damit konkret meinte, kommentierte Habeck das mit
Relativierung: Er habe mit Juden gesprochen, die das anders sehen. Und ich
dachte nur wieder: Echt jetzt?
3 Nov 2023
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=ZBtAtsdco-8
[2] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/robert-habeck-warum-seine-videobotsc…
[3] /Anrede-Etikette/!5860654
[4] https://www.zdf.de/nachrichten/video/politik-lanz-habeck-feldman-nahost-100…
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Kolumne Geraschel
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Robert Habeck
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