# taz.de -- Antiisraelische Proteste in Jordanien: Für das Land der Vorfahren | |
> Nirgendwo leben mehr palästinensische Geflüchtete als in Jordanien. Die | |
> Hamas dominiert hier nicht, aber die Proteste gegen Israel nehmen zu. | |
Bild: In Pali-Tüchern gehüllt demonstrieren Menschen am Dienstag vor der Kön… | |
AMMAN taz | Die Proteste zogen sich bis tief in die Nacht. Auch in | |
Jordanien versammelten sich am Dienstagabend nach den Meldungen über den | |
Luftanschlag auf ein Krankenhaus in Gaza hunderte Menschen auf den Straßen. | |
Laut Medienberichten versuchten Protestierende in die israelische Botschaft | |
in der Hauptstadt Amman zu gelangen. Augenzeug*innen berichten von | |
massiven Tränengaseinsätzen seitens der Polizei. | |
Vor dem Parlament zeigten laut Medienberichten wütende | |
Demonstrant*innen ihre Schuhe, [1][in Nahost eine Geste der | |
Verachtung], um den für Mittwoch geplanten Besuch von US-Präsident Joe | |
Biden zu kritisieren. Biden wollte in Amman für diplomatische Gespräche mit | |
den ägyptischen und palästinensischen Staatschefs, Abdel Fatah al-Sisi und | |
[2][Mahmoud Abbas], sowie Jordaniens König Abdullah II zusammenkommen. Das | |
Treffen wurde jedoch nach dem Krankenhausbeschuss noch am Dienstagabend | |
zunächst von Abbas, dann auch von Jordanien abgesagt. | |
Es sind keineswegs die ersten pro-palästinensischen Demonstrationen in | |
Jordanien. Seit mehr als einer Woche versammeln sich Demonstrant*innen | |
während des abendlichen Ischa-Gebets in der Nähe der israelischen | |
Botschaft. Sie tragen schwarzweiße Palästinensertücher um den Hals und | |
halten Palästina-Flaggen in der Hand. „Wir wollen keinen Frieden, wir | |
wollen sie raus aus dem Land, weil es unser Land ist“, schreit etwa Sawsan, | |
eine 30-jährige Jordanierin mit palästinensischen Wurzeln. Das Land, von | |
dem sie redet, ist nicht ihre Heimat Jordanien. „Das Land“ ist Palästina, | |
mit „sie“ die israelische Besatzung gemeint. | |
Nicht alle, die an der Kundgebung teilnehmen, drücken sich so plakativ aus. | |
„Der Konflikt zwischen Israel und Palästina ist an einem Punkt angelangt, | |
an dem man eine Lösung erzwingen muss. Die Vereinten Nationen müssen ihre | |
eigenen Resolutionen implementieren“, sagt etwa ein 63-jähriger Mann am | |
Rande der Menschenmenge, der anonym bleiben möchte. | |
## Demonstrationsverbot an der Grenze zu Israel | |
Nach dem Angriff der Hamas auf Israel und dessen Gegenangriff hallen | |
täglich an mehreren Orten der jordanischen Hauptstadt Parolen gegen die | |
Luftschläge auf Gaza, gegen das Friedensabkommen zwischen Jordanien und | |
Israel, für die „Befreiung Palästinas“. [3][Das Königreich beherbergt mit | |
2,3 Millionen die höchste Anzahl palästinensischer Geflüchteter weltweit]. | |
Sie kamen nach der Vertreibung 1948 während des Palästinakriegs, und nach | |
dem Sechstagekrieg 1967. Die meisten haben inzwischen einen jordanischen | |
Pass, viele sind hier geboren, fühlen sich jedoch dem Land ihrer Vorfahren | |
verbunden. | |
„Wir möchten gern mehr tun, nach Gaza gehen“, erklärt ein junger Mann bei | |
einer Kundgebung in einem Flüchtlingslager, bei der gelegentlich auch | |
Hamas-Fahnen gezeigt und Slogans geschrien werden. Dass Menschen aus | |
Jordanien unerlaubt nach Israel gehen, davor hat offenbar auch die Führung | |
in Amman Angst. Als die Hamas am vergangenen Freitag zur Mobilisierung in | |
der arabischen Welt rief, fuhren einige Hundert Menschen trotz | |
Protestverbots in das Jordantal an die Grenze zwischen Jordanien und | |
Israel. Videos zeigen, dass die Polizei Tränengas dagegen einsetzte. „An | |
der Grenze sind Demonstrationen verboten worden, weil man Angst hatte, dass | |
die Menschen sonst die Grenze illegal übertreten, was zu einer israelischen | |
Reaktion geführt hätte“, erklärt Edmund Ratka, Direktor der CDU-nahen | |
Konrad-Adenauer-Stiftung in Jordanien. | |
Dabei ist die entgegengesetzte Bewegung für das Land viel | |
besorgniserregender. König Abdullah II warnte am Dienstag davor, | |
Geflüchtete aus Gaza nach Jordanien zu vertreiben. „Jordanien fürchtete | |
schon immer, dass Israel die Palästinenser aus der Westbank nach Jordanien | |
vertreiben könnte“, sagt Ratka. Eine erneute Flüchtlingswelle würde das | |
Flüchtlingsland sozial und politisch zusetzen. | |
Gewalttätige Proteste sind eigentlich nicht Teil der jordanischen | |
Tradition. Zwar habe die Hamas schon „immer sein Publikum hier in Jordanien | |
gehabt“, sagt der jordanische Nahost-Experte Amer al-Sabaileh. So gebe es | |
Verbindungen zu einigen Parteien und den Muslimbrüdern. Allerdings sei sie | |
laut Edmund Ratka nicht die dominante Kraft. Die jordanische Regierung | |
betreibe einen „Spagat zwischen der Notwendigkeit einer pragmatischen | |
Außenpolitik und einer Bevölkerung, in der die Solidarität mit den | |
Palästinensern sehr stark ausgeprägt ist“. | |
König Abdullah II plädierte bisher für eine Zwei-Staaten-Lösung. Jordanien | |
war 1994 eines der ersten Länder, die Frieden mit Israel schlossen, in den | |
vergangenen Jahren sind mehrere gemeinsame Kooperationsprojekte entstanden, | |
vor allem im Bereich Ressourcen und Sicherheit. Seit über einer Woche | |
trifft sich Abdullah mit westlichen und arabischen Vertretern, um über den | |
aufgeflammten Konflikt zu sprechen. Jetzt aber machte er Israel für den | |
Luftangriff verantwortlich und sprach von Kriegsverbrechen. Auch am | |
Mittwoch demonstrierten in der Nähe der israelischen Botschaft etwa 5.000 | |
Menschen. | |
19 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Serena Bilanceri | |
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