# taz.de -- Evakuierung aus dem Gazastreifen: „Natürlich möchte ich ausreis… | |
> Über Rafah konnten weitere Menschen mit ausländischem Pass aus dem | |
> Gazastreifen evakuiert werden. Doch die meisten Deutschen sitzen noch | |
> fest. | |
Bild: Auch sie wollen weg: Palästinenser*innen am Grenzübergang Rafah (02.11.… | |
Berlin taz | Den zweiten Tag in Folge konnten am Donnerstag Menschen den | |
Gazastreifen verlassen, der seit fast vier Wochen unter heftigem | |
Bombardement durch die israelische Armee steht. Am Morgen verließen laut | |
palästinensischen Angaben zwei Busse mit insgesamt 100 Personen das Gebiet. | |
Alle Ausgereisten hatten demnach ausländische Pässe. | |
Wie bereits am Vortag verließen sie [1][Gaza] über den Übergang Rafah an | |
der Grenze zur ägyptischen Sinai-Halbinsel. Dieser ist seit Mittwoch für | |
Ausländer geöffnet. Seit dem Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober | |
war Rafah – wie alle anderen Grenzübergänge des Gazastreifens – für | |
Personen geschlossen worden. Im Laufe des Donnerstags sollten ägyptischen | |
Angaben zufolge insgesamt bis zu 400 Menschen mit ausländischem Pass sowie | |
60 Verletzte die Grenze passieren. | |
Weiterhin warten jedoch noch mehrere Tausend ausländische Staatsangehörige | |
darauf, ausreisen zu können – darunter sei auch eine „niedrige dreistellige | |
Zahl“ Deutscher, wie es aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß. | |
Einer von ihnen ist der Deutsch-Palästinenser Wesam Amer, der seit nun vier | |
Wochen im Gazastreifen feststeckt. „Natürlich möchte ich ausreisen“, sagt | |
er am Donnerstag zur taz. „Ich habe es mit der Elefand-Liste | |
(Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amts; d. Red.) versucht und auch eine | |
E-Mail an die deutsche Vertretung in Ramallah geschickt“, erzählt er. Bis | |
Donnerstagnachmittag hatte er allerdings noch keine Information erhalten, | |
ob auch er bald ausreisen kann. | |
## Etwa 7.000 Ausländer*innen noch im Kriegsgebiet | |
Amer, der eigentlich an der Universität von Gaza-Stadt in Nordgaza | |
arbeitet, hält sich aktuell in Chan Junis im Süden des Küstenstreifens auf. | |
Israel hatte die gesamte Bevölkerung im Norden aufgefordert, das Gebiet zu | |
verlassen. „Um ein paar Laibe Brot zu bekommen, muss ich drei bis fünf | |
Stunden am Tag in einer Schlange stehen“, sagt Amer. Eine seiner größten | |
Sorgen ist, dass seine schwangere Frau entbindet, bevor die beiden | |
ausreisen können. „Wenn sie entbindet, kann sie nicht mehr gehen und ich | |
kann auch keine Dokumente wie eine Geburtsurkunde oder einen Pass für das | |
Baby besorgen.“ | |
Der stellvertretende ägyptische Außenminister Ismail Chairat erklärte am | |
Donnerstag, dass sich insgesamt etwa 7.000 Ausländer*innen aus mehr als | |
60 Ländern im Gazastreifen aufhielten. Unter ihnen seien viele Menschen mit | |
Familie, aber auch Mitarbeiter*innen von internationalen | |
Organisationen. Am Mittwoch hatten – erstmals seit Beginn des Krieges – | |
mehrere Dutzend schwer verletzte Palästinenser*innen und einige | |
Hundert Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft [2][das Kriegsgebiet] | |
verlassen dürfen. | |
Wie Wesam Amer wartet auch die Familie der Berlinerin Samira, die in der | |
aktuellen Lage ihren echten Namen nicht in der Zeitung sehen möchte, noch | |
auf positive Nachrichten der Behörden. Samira bangt um ihre Mutter, die zu | |
Besuch zu ihrer Schwiegertochter in den Gazastreifen gereist war, um ihr | |
gerade geborenes Enkelkind kennenzulernen. Dann brach der Krieg aus und die | |
Grenzen waren dicht. „Es ist unerträglich“, sagt Samira am Donnerstag, die | |
zuletzt am Mittwoch mit ihrer Mutter telefonieren konnte, „jedes Mal, wenn | |
wir auflegen, verabschiedet sie sich.“ | |
Auch Samiras Mutter, die vor Jahrzehnten aus Gaza nach Deutschland | |
ausgewandert ist, hat einen deutschen Pass. Auch sie sei auf der | |
Elefand-Liste registriert, sagt Samira, doch bislang bekomme sie die immer | |
gleiche Nachricht: Sie solle sich bereit halten und all ihre Dokumente zur | |
Hand haben. Am Mittwoch sei ihre Mutter sogar in der Hoffnung, ausreisen zu | |
können, und unter lebensbedrohlichen Umständen zum Grenzübergang Rafah | |
gereist – nur um zu erfahren, dass ihr Name nicht auf der Liste der | |
Ausreisegenehmigungen stand. | |
## Evakuierung aus Gaza kaum ein Thema | |
Dass es fast vier Wochen gedauert hat, bis die ersten Deutschen ausreisen | |
konnten, ist für viele Betroffene nicht nachvollziehbar. „Wir sind einfach | |
deutsche Staatsbürger, genau wie die aus Israel Evakuierten“, sagt Amer. | |
„Wir haben nie einen Anruf oder eine E-Mail von der Botschaft erhalten, in | |
der man sich nach uns erkundigt und gefragt hat, wie wir überleben oder ob | |
wir irgendetwas brauchen.“ Immer habe es geheißen: „Wir arbeiten daran.“ | |
„Sie arbeiten seit 25 Tagen daran“, sagt Amer. | |
Aus Israel wurden relativ schnell nach dem Terroranschlag der Hamas mehrere | |
Tausend Bundesbürger*innen und Familienmitglieder evakuiert. Viele | |
wurden mit Sonderflügen der Lufthansa aus dem Land gebracht. Die | |
Evakuierung aus dem Gazastreifen gestaltete sich schwieriger. Die ersten | |
Ausreisen am Mittwoch waren nach einer Einigung zwischen Israel, Ägypten | |
und der Hamas zustande gekommen. | |
Dass [3][die Evakuierung aus Gaza] in Deutschland kaum ein Thema ist, kann | |
Samira nicht verstehen: „Wir brauchen hier auch Fürsprecher für die | |
Bevölkerung in Gaza. Sie muss auch die Möglichkeit haben, vernünftig | |
informiert zu werden, um rechtzeitig ausreisen zu können“, sagt sie. „Ist | |
das Leben des einen Menschen mehr wert als das des anderen?“ Im Moment | |
erscheine es ihr, als würden die deutschen Staatsbürger*innen im | |
Gazastreifen von ihrer Regierung im Stich gelassen. | |
Laut Auswärtigem Amt konnte bislang lediglich eine niedrige einstellige | |
Zahl deutscher Staatsbürger*innen aus dem Gazastreifen ausreisen. Es | |
habe sich um Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen gehandelt. | |
Unter den mehr als 400 Personen, die am Mittwoch ausreisen konnten, | |
befanden sich 361 Ausländer*innen, darunter neben den Deutschen auch | |
Personen mit österreichischem, italienischem, französischem und | |
US-amerikanischem Pass. | |
2 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Humanitaere-Lage-in-Gaza/!5970004 | |
[2] /Aktuelle-Lage-im-Gazastreifen/!5970338 | |
[3] /Krieg-im-Gazastreifen/!5966719 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
## TAGS | |
Ägypten | |
Palästinenser | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Ausreise | |
GNS | |
Gaza | |
Ägypten | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Ägypten | |
Gaza | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Hilfen für Gaza: Hilfsgüter in der Warteschlange | |
Tausende Tonnen warten am Grenzübergang Rafah, um in den Gazastreifen zu | |
gelangen. Auch, weil jeder Lkw von Israel abgesegnet werden muss. | |
Im Westjordanland gestrandet: Unsichere Zukunft | |
Vor dem Hamas-Angriff arbeiteten 18.000 Menschen aus Gaza in Israel. Viele | |
sind nun im Westjordanlan. Sie haben wenig – aber viel zu erzählen. | |
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Erneut Raketen auf Israel | |
Im Norden und Süden löst Israel Raketenalarm aus. 400 Ausländer können den | |
Gazastreifen verlassen. Tausende hoffen weiterhin auf eine Lösung. | |
Aktuelle Lage im Gazastreifen: Bodentruppen rücken weiter vor | |
Laut der israelischen Armee wurden mehrere Hamas-Kämpfer getötet sowie | |
Infrastruktur der Terrorgruppe zerstört. Eine weitere Geisel wurde befreit. | |
Krieg im Gazastreifen: Mission impossible | |
Der Wille, die Hamas zu zerstören, ist nach dem 7. Oktober verständlich. | |
Aber ist das überhaupt ein realistisches Kriegsziel? Und was passiert | |
danach? |