# taz.de -- 40 Jahre taz-Leibesübungen: Tiefe statt Masse | |
> Weniger Männersport, mehr Diversität, weniger Wettkampf, mehr | |
> Alltagsbewegung – eine Vision für den taz-Sport der Zukunft. | |
Bild: Trendsport Klettern: Auf zu neuen Höhen in der Sportberichterstattung! | |
Die Leibesübungen der taz waren immer gut darin, Fehler des Sportsystems zu | |
benennen. Aber nicht immer gut darin, sie bei sich selbst zu vermeiden. Wir | |
kritisieren gern, dass der organisierte Spitzensport der Männer mit seinem | |
Schneller-Höher-Weiter alles überlagert. | |
Aber seien wir ehrlich: In den meisten Texten erzählen auch wir, wer im | |
Männer-Spitzensport warum gegen wen gewonnen hat. Nur manchmal – durchaus | |
öfter als früher – erzählen wir dasselbe über Frauen. Dass der | |
männerdominierte Verbandsspitzensport so mächtig ist, hat historische | |
Gründe. Die sprichwörtlichen 99 Prozent der Sporttreibenden bilden wir | |
damit nicht ab. | |
Die populärsten Sportarten, die Erwachsene betreiben, heißen derzeit | |
Jogging, Radfahren, Gymnastik/Aerobic, Schwimmen und Fitness. Es boomen | |
Wandern, Klettern, Parkour oder Yoga, es wächst der freie und kommerzielle | |
Sport. Vor allem Frauen, die Jugend oder Migrantinnen können wenig anfangen | |
mit Wettbewerbssport der Verbände. | |
Wie oft findet all das auf den Leibesübungen-Seiten statt? Eher selten. Wir | |
zeigen einen kleinen, männlich geprägten Ausschnitt von Sport. Das | |
reproduziert Hierarchien, unterschätzt die Potenziale des Sports und lässt | |
viele potenzielle Leser:innen außen vor. | |
## Publikumssport braucht kaum mehr Journalist:innen | |
Für 2033 wünsche ich mir vielfältigere, widerständigere Leibesübungen. | |
Sport verändert sich rasant. An der Spitze verschmilzt er mehr und mehr mit | |
Reality-TV – sowohl im Fußball und bei Großturnieren als auch auf den | |
Youtube-Kanälen der Sport-Influencer:innen, in eSports-Livestreams, in | |
Sport-Entertainment-Formaten. | |
Publikumssport braucht kaum mehr Journalist:innen, um sich zu erzählen. | |
Spieler:innen erklären sich dem klubeigenen TV-Sender oder den eigenen | |
Insta-Fans, Medienhäuser sind keine Gatekeeper mehr. Damit verändert sich | |
auch der Sportjournalismus. | |
Der Sportjournalismus des 20. Jahrhunderts war vor allem das Versprechen: | |
Ich bin in dem Stadion, wo du gerade nicht sein kannst, und erzähle dir, | |
wie es war. Wenn alles immer gestreamt wird, verliert die klassische | |
Berichterstattung an Bedeutung. Und die massiv unterhaltungsorientierten | |
Sportformate rufen eher nach Medienkritik als nach Taktikanalyse. Wir | |
müssen uns also neu erfinden. | |
Es bleibt wichtig, zu erklären, warum der Trainer des FC Bayern fliegen | |
muss oder woher nun schon wieder das WM-Aus der Deutschen kam. Aber es gäbe | |
hunderte Geschichten, denen vielleicht nur die taz eine Plattform geben | |
kann. | |
## Diversere Autor:innen können Blickwinkel öffnen | |
Die taz findet die aktuelle Kontroverse, die den Parkour-Breitensport | |
spaltet, die Organisation, die eine kluge Idee für einen nachhaltigen | |
Tauchsport hat, oder das widerständige Format, das Sport jenseits von Sieg | |
und Niederlage betreibt. | |
Sie recherchiert zu Doping im Fitnesssport, Sexismus im eSport, und | |
vielleicht sind die Leibesübungen auch Plattform für einen | |
friedenspolitischen Wanderweg. Ein diverserer Pool von Autor:innen | |
könnte neuen Leser:innen eigene Blickwinkel öffnen. Das wäre doch eine | |
Utopie für 2033 – mit Fokus auf wenigen gut recherchierten Stücken und | |
niedrigschwelligen Formaten wie Podcast und Video. | |
Klar, die Ressourcen sind beschränkt. Aber es wäre nicht das erste Mal, | |
dass die Leibesübungen aus der Limitierung Wegweisendes entwickeln. | |
Zumindest, sofern Menschen in dieser diversifizierten Sportkultur noch in | |
die Breite schauen. Massensportkultur ist nicht selbstverständlich. Im 19. | |
Jahrhundert bestand die Sportpresse vor allem aus spezialisierten Magazinen | |
für einzelne Sportarten. Wenn es wieder dahin gehen sollte und jede:r drei | |
Youtube-Kanäle aus der eigenen Lieblingssportart abonniert hat, dann, ja | |
dann braucht es uns wirklich nicht mehr. | |
Wir müssen zunehmend gute Argumente für eine unabhängige | |
Sportberichterstattung liefern. Tun wir das! | |
Alina Schwermer ist seit 2015 aus dem taz Sport nicht mehr wegzudenken. | |
28 Oct 2023 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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