# taz.de -- 40 Jahre taz Leibesübungen: Weiter frech, krumm, ölig, high | |
> Die Gründung des Sport-Ressorts folgte der Lust, einfach alles zu | |
> erzählen, was den Sport betrifft. Es geht um den anderen Blick – damals | |
> und heute. | |
Bild: „Die kaiserlose Zeit ist endlich vorbei.“ Die taz 1984 über Franz Be… | |
Es war eine Zeit des Aufbruchs. Der Fußball schickte sich an, Bereiche zu | |
erobern, aus denen er zuvor tunlichst herausgehalten worden war. Bunte | |
Ligen hatten sich gegründet, in denen bunte Vögel kickten. Linke Studenten | |
legten ihren Peter Weiss schon mal zur Seite, wenn samstags in Radio live | |
aus den Bundesligastadien berichtet wurde, und wer sich noch ein paar Jahre | |
vorher noch nicht getraut hat, eine linke Demo zu verlassen, weil er | |
unbedingt ins Stadion zu seinem Klub gehen wollte, der begann offen über | |
seine Leidenschaft zu sprechen. | |
Links und Fußball hatte begonnen zusammenzupassen, spätestens als die | |
Legende einem verweigerten Handschlag beim Finale der Weltmeisterschaft | |
1978 in Buenos Aires Verbreitung fand. Der argentinische Weltmeistertrainer | |
hatte bei der Siegerehrung nach dem Gewinn des WM-Titels dem brutal | |
herrschenden Militärdiktator Jorge Rafael Videla nicht die Hand | |
geschüttelt, und César Luis Menotti wurde auch deshalb zu einer Symbolfigur | |
für alle Linken, die von einem anderen als dem bis dahin herrschenden | |
Fußball träumten. | |
Sport konnte links sein. Warum sollte er also keinen Platz in einer jungen, | |
linken Tageszeitung haben? Nein, es war kein Streich von durchgeknallten | |
Fußballnarren, die einem politischen Projekt wie der taz eine Sportseite | |
unterjubeln wollten. Die Zeit war einfach reif. Und so erschien im Oktober | |
1983 zum ersten Mal eine Seite über der in dicken Lettern das Wort | |
„Leibesübungen“ prangte. | |
Das kannten die ersten Sportredakteure nur zu gut. Es stand auf ihren | |
Schulzeugnissen. Heute wirkt das Wort ein wenig aus der Zeit gefallen und | |
so, als wollten diejenigen, die über Sport schreiben, sich irgendwie auch | |
von ihrem Thema distanzieren. | |
Tun sie ja auch. Bisweilen jedenfalls. Dem heiligen Ernst, mit dem etwa das | |
Fachmagazin Kicker darüber berichten konnte, wie ein Stürmer „das | |
Spielgerät“ über die Linie „bugsiert“ hat und so einen „lupenreinen | |
Hattrick“ erzielt hat, wollten die taz-Sportler eh einen anderen Ton | |
entgegensetzen. [1][„Frech, krumm, ölig, high“] stand über den | |
Sportmeldungen der ersten Leibesübungen-Jahre. So wollten die taz-Sportler | |
sein, während die bürgerliche Sportpresse noch arg turnväterlich seriös | |
dahergekommen ist. | |
## Der Ton macht den Sport | |
Es war ein ganz eigener Ton, mit dem sich die ersten Gesichter der | |
Leibesübungen, Manfred Kriener, Matti Lieske und Norbert Thomma an den | |
Leistungssport herangetastet haben. Um den sollte es gehen, auch wenn sich | |
die Autoren in einer schier endlosen Artikelserie auch mal auf die Suche | |
nach der [2][„randigsten Randsportart“] begeben haben. Die kleine taz wurde | |
oft missverstanden in der großen Sportwelt. Georg Hackl, der bayerische | |
Schlittenfahrer mit dem Goldabonnement bei Olympischen Spielen, war für die | |
taz die [3][„rasende Weißwurst“]. Dass die Redaktion damit nichts als pure | |
Hochachtung zum Ausdruck bringen wollte, wollte der nicht verstehen. | |
Als die taz Jürgen Klinsmann [4][nach seiner Entlassung als Trainer des FC | |
Bayern München] auf einer Titelseite ans Kreuz genagelt hat, war das für | |
den Klub Ausdruck tiefster Menschenverachtung. Dabei hat es die Redaktion | |
doch eigentlich nur gut gemeint mit Klinsmann und ihn sogar als | |
eingeborenen Sohn des Fußballgotts messianische Größe zugemessen. | |
Manchmal war wirklich Schluss mit lustig. Vor der Heim-WM 2006 widmete sich | |
die taz auf Seite eins den „Öko-Schweinen von der Fifa“. Der Weltverband | |
hatte – ja das war seinerzeit schon Usus – ein klimaneutrales Turnier | |
versprochen. Und weil die taz den Organisatoren das Versprechen nicht | |
abgenommen hat, verschwanden flugs die Akkreditierungen für die | |
taz-Reporter aus dem Presseportal der WM-Organisatoren. | |
Man hat sich dann wieder vertragen. Ein bisschen zumindest. Die WM-Reporter | |
durften in die Stadien. Es wäre sonst wirklich schwer geworden, die vielen | |
Zusatzseiten zu füllen, die dem Heimturnier gewidmet waren. Denn die | |
Leibesübungen hatten sich gemausert. Die ganze Gesellschaft über den Sport | |
zu erzählen, gehörte längst zur DNA der taz. Die Weltpolitik im | |
Stadionrund, vom Beckenrand oder von der Radstrecke aus zu finden, wurde | |
vor allem bei den sportlichen Großereignissen zum Programm der taz. | |
## Trampen für die taz | |
Es ist einfach wichtig, vor Ort ganz genau zu beobachten, wie so | |
umstrittene Events wie die Fußball-Weltmeisterschaften in Katar und | |
Russland oder Olympischen Spiele in Peking und Sotschi durchgezogen werden. | |
Dass eine gestandene Berichterstattende bei aller notwendigen | |
Politisiererei auch in der Lage sein sollte, zu erklären, warum ein Team | |
gegen das andere gewonnen hat, versteht sich von selbst. | |
Die Großereignisse wurden beschickt, auch wenn die taz sich das eigentlich | |
gar nicht leisten konnte. Um ein Haar, so hat es Michaela Schießl im | |
[5][taz Talk zum Jubiläum der Leibesübungen-Seite] erzählt, wäre die | |
Akkreditierung für die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona verfallen, weil | |
die offiziellen Unterkünfte für den Etat der taz viel zu teuer waren. Eine | |
Leserin hat der taz schließlich ihr Apartment zur Verfügung gestellt, und | |
so war Schießl dabei, als Dieter Baumann – ja, der mit der Zahnpasta – | |
Olympiasieger über 5.000 Meter geworden ist. Trampen war übrigens für | |
tazler damals noch eine ganz normale Fortbewegungsart, auch das hat Schießl | |
erzählt. | |
Ganz so sparsam geht es heute nicht mehr zu, wenn jemand für die taz zu | |
einer sogenannten Sportgroßveranstaltung fährt. Zu solchen gehören längst | |
auch die Welt- und Europameisterschaften der Fußballerinnen. Und während | |
andere Medienhäuser ihre Reporterinnen abziehen, sobald die Deutschen | |
ausgeschieden sind, bleibt die taz am Ball. Das können uns die anderen | |
gerne nachmachen. | |
So wie sie sich an dem ganz speziellen Stil der Sportbeschreibung | |
orientiert haben, der in der taz etabliert worden ist. Der Spielbericht ist | |
da von einer Textsorte abgelöst worden, die sich am besten vielleicht mit | |
dem Wort Sportfeuilleton beschreiben lässt. Wie man zum schönen Spiel den | |
schönen Text baut, das hat Matti Lieske, der über zwanzig Jahre eines der | |
Gesichter des taz-Sports war, ganzen Generationen vom Fußballautoren | |
vorgemacht. Und so steckt in vielen großen Fußballtexten anderer Zeitungen | |
immer auch ein Stückchen taz. Diese Behauptung wird auf einer | |
Jubiläumsseite ja wohl erlaubt sein. | |
Zumal wir ganz genau wissen, dass nicht immer erfolgreich war, was die | |
Leibesübungen angefasst haben. Als der Autor dieser Zeilen 2012 [6][für das | |
Amt des DFB-Präsidenten kandidiert hat], war er letztlich chancenlos gegen | |
einen gewissen Wolfgang Niersbach. Am Ende bleibt der Versuch stehen, das | |
doch bisweilen dröge Thema Sportpolitik und Funktionärswesen auf eine ganz | |
eigene Art aufzubereiten. Anders eben. Das war ja ein Versprechen bei der | |
Gründung des taz-Sports: anders sein. Und was ist heute das Versprechen? | |
Anders bleiben. Klar. | |
Andreas Rüttenauer bildet gemeinsam mit Johannes Kopp und Markus Völker den | |
Kern der taz Leibesübungen. | |
27 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /!1653215/ | |
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[3] /!475204/ | |
[4] /Klinsmann-und-die-Krise-des-FC-Bayern/!5164773 | |
[5] https://www.youtube.com/watch?v=DmG8JAYmV50 | |
[6] /Andreas-Ruettenauer-will-DFB-Chef-werden/!5102673 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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