# taz.de -- Soloalbum von MPC Lafote: Wenn das Ich glitcht | |
> Elektronisch grundiert: Der Hamburger Musiker MPC Lafote tut sich für | |
> sein Debütsoloalbum „Aquarium“ mit dem Punk-Original Jens Rachut | |
> zusammen. | |
Bild: Kopf der Band Lafote, Jakob Groothoff, jetzt solo unterwegs | |
Am Anfang war eine Maschine und diese Maschine heißt MPC 1000. Ein | |
Hardwaresequenzer inklusive eingebautem Sampler, mit dem man im Prinzip | |
alles alleine machen kann, was sonst eine ganze Band schafft. Zum Beispiel | |
die Hamburger Band Lafote. Sie hatte schon ein paar gute Lieder | |
eingespielt, Eigenkompositionen, etwa „Zündschnur“, und auch eine | |
hörenswerte Coverversion von „Wahr ist was wahr ist“, einem Song von Die | |
Sterne. Und schließlich hatte sie auch ein komplettes Album mit dem Titel | |
„Fin“ produziert. Es sah eigentlich alles sehr, sehr gut aus für Lafote. | |
Doch dann kam diese seltsame Corona-Epidemie und es folgte eine lange Zeit | |
ohne Konzerte, ohne Publikum, wenn jemand sich noch erinnert. In dieser | |
Phase konnte Jakob Groothoff, Kopf von Lafote, nicht mit seinen Freunden | |
auftreten und musste zu Hause bleiben wie alle anderen auch. In der | |
kulturellen Abgeschiedenheit des Lockdown wurde also aus der Postpunk-Band | |
Lafote das Post-Wave-Einmannprojekt MPC Lafote und es produzierte fleißig | |
Beats, Beats und Beats. | |
„Tatsächlich war das Ringen mit der Maschine die eigentliche Inspiration | |
für die Musik“, erzählt Jakob Groothoff. Der 38-Jährige ist in Hamburg | |
geboren, fühlt sich aber nicht als Hanseat, sondern „eher wie eine Scherbe | |
vor der Elbphilharmonie“. So um die 100 Skizzen konnte Groothoff dem | |
virenbedingten Spannungsfeld zwischen Stagnation und Dynamik abringen, die | |
dazu passende musikalische Grundform ist der Loop. | |
Und so, wie sich in jener ereignislosen Zeit jeder Tag scheinbar endlos | |
wiederholte, wiederholt sich dann eben bei MPC Lafote auch ein Basslauf | |
scheinbar endlos. „Ich bin nicht so der Songwriter und suche eher nach | |
einer Atmosphäre oder Intensität.“ | |
## Stabiles Netz aus Sound | |
Und Repetition kann ja auch beruhigen, oder eben aktivieren – in Richtung | |
Tanz gedacht, zum Beispiel. Sie kann auch ein Fundament schaffen für das, | |
was da erzählt werden soll, so wie ein Filmscore. Ein stabiles Netz aus | |
Sound, das trägt, gerade wenn es inhaltlich an die Substanz gehen soll. Und | |
es soll. | |
Nach der verlorenen Zeit der Pandemie, die aber nicht für alle und alles | |
verloren war, kam dann bekanntlich wieder eine andere Zeit. Die kann man | |
auch wieder Krise nennen, aber immerhin: Gemeinsamkeit ist wieder möglich, | |
auch in der Musik. Und so kam es, dass MPC Lafote die Gemeinsamkeit mit | |
[1][dem Punk-Tausendsassa Jens Rachut] (Oma Hans, Blumen am Arsch der Hölle | |
u. v. a.) und dem Produzenten Tobias Levin fand. | |
Gemeinsam beschlossen sie, es sei nun an der Zeit, aus dem ganzen | |
Krisenoutput mal ein Album aufzunehmen. Man kannte sich schon eine ganze | |
Weile, schließlich ging Rachut ja in der [2][„Hanseplatte“ ein und aus – | |
jenem legendären Plattenladen im Schanzenviertel, in dem Groothoff | |
arbeitet], wenn er gerade nicht die MPC 1000 bearbeitet. | |
Schon im Mai 2010 spielte Rachut mit seiner Band Kommando Sonne-nmilch | |
sogar mal im Laden. So richtig intensiv wurde der Kontakt allerdings erst | |
im letzten Jahr. [3][Da plante die „Schlüsselfigur der deutschen | |
Punkszene“] (Wikipedia über Rachut) mal wieder eine Veröffentlichung und | |
Jakob Groothoff half ihm dabei. Im Zuge dessen verzehrten die beiden | |
zusammen ein Pilzgericht und Groothoff erzählte Rachut von seinen Skizzen. | |
„Schick mal“, sagte da der Jens und der Jakob schickte. | |
## Das Ich macht dich schwach | |
Die Folge war eine Einladung für MPC Lafote, doch mal als Vorgruppe für das | |
Rachut-Projekt Alte Sau tätig zu werden. Beim letzten Lied dieser | |
Vorgruppenperformance kam der Meister dann an die Bühne heran und sagte | |
etwas wie: „Ja, ist doch gar nicht so schlecht! Aber sag nicht immer ‚Ich�… | |
das macht dich schwach.“ | |
Wie um ganz sicher zu gehen, textete Rachut für das darauf folgende | |
gemeinsame Ding dann einfach selbst und wer ihn kennt, hört das, auch wenn | |
es Groothoffs Stimme ist, die den Text singt. Punk-poetisch entfalten sich | |
hier Momentaufnahmen des Alltäglichen und allzu Alltäglichen zwischen einem | |
nicht mehr so blauen Himmel und einer dahinsiechenden Erde und können dabei | |
jederzeit ins Surreale kippen. | |
In Sachen Ich haben sich die Kreateure dabei voll unter Kontrolle und sind | |
tatsächlich besonders stark, wenn das Pronomen fehlt. Eindrücklich ins Ohr | |
springt in diesem Zusammenhang der Song „Der Blitz wird wach“. Im Text | |
werden die Naturgewalten droben am Himmel auf eine Weise personifiziert, | |
die bei oberflächlicher Betrachtung zum Lachen verleitet. „Leider, leider, | |
leider ist es ihnen egal, wen sie treffen.“ Aber Rachut wäre nicht Rachut, | |
wenn nicht hinter jeder dieser vermeintlichen Albernheiten ein Abgrund | |
lauerte. | |
Ironischerweise ist der stärkste MPC-Lafote-Track dann aber doch einer, bei | |
dem das Ich klar im Zentrum steht: „In Laberlaune“ traut sich der singende | |
Beobachter, über seinen eigenen, verständlichen Prä-Endzeit-Nihilismus | |
hinauszugehen und am Ende gar in einer Art unbegründeter Lebensfreude zu | |
explodieren, dabei umflort von einem Chor – teils zufällig bestehend aus | |
den Lebensgefährtinnen der Hauptakteure sowie Thomas Wenzel ([4][Goldene | |
Zitronen], ehemals Die Sterne). „Ich werde zum Glitch an der Schwelle einer | |
anderen Zeit und ich lach mich schlapp“, singt Groothoff da in ihrer Mitte | |
und warum auch nicht, so als Glitch. | |
## Fehler im Code | |
Was das ist, ein Glitch, wissen zum Beispiel Gamer*innen, nämlich eine Art | |
Fehler im Code. Kann nerven, aber auch Vorteile bringen. So wie hier bei | |
„In Laberlaune“, wenn das reine Fehlersein im Falschen eine ganz besondere | |
Heiterkeit hervorruft. Eine Heiterkeit, die dringend gebraucht wird in | |
dieser auch wieder mal seltsamen Zeit. | |
Vielleicht auch eine Frage der Perspektive, diese Heiterkeit zu erzwingen. | |
Ob nun beim Nikotin-Craven in einer Tasse über der Stadt schwebend („Ich | |
will rauchen“, der Auftaktsong) oder aus dem albumtitelgebenden „Aquarium“ | |
zurückstarrend in die abgründige Welt, auf die man an sich keinen Einfluss | |
hat, daran wird von MPC Lafote im Großen und Ganzen kein Zweifel gelassen. | |
Ein Habitus des Beobachtens, der vielleicht schon als Empowerment | |
verstanden werden muss in diesem Zustand der Gefangenschaft hinter Glas. | |
Kein Zufall wohl, dass das „Aquarium“ als Titelbild erst beim Finale ins | |
Zentrum rückt: „Geld und Haut“, ein gänzlich aus dem Rahmen gefallenes, | |
antikapitalistisches Liebeskummerlied ganz ohne Beats, dafür mit [5][Fritzi | |
Ernst] (ehemals Schnipo Schranke) am Piano – all das bleibt hängen. | |
Und nachdem der letzte Ton mehrfach verklungen ist, lässt sich sagen, dass | |
MPC Lafote und Rachut hier ein Werk gelungen ist, das mit jedem Hören | |
runder klingt. Gerade weil sie es verstehen, ihre Geheimnisse bis zuletzt | |
zu wahren, sodass für Neugier immer noch genug Raum da ist. In diesem Raum | |
aus programmatischer Uneindeutigkeit schaltet sich der eigene | |
Gedankenapparat an und das ist ja grundsätzlich immer gut. Schmerzhaft aber | |
auch. Denn leider, leider, leider ist es uns nicht egal … | |
26 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Karin Jirsak | |
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