| # taz.de -- Die Wahrheit: Honeckers Häppchen | |
| > Es war nicht alles schlecht damals in der DDR. Obwohl, ehrlich gesagt, | |
| > doch. Auf jeden Fall kulinarisch. | |
| Bild: Auch im Motorsport war die DDR nur beinahe Weltspitze | |
| Auf Facebook bekomme ich immer häufiger Seiten angezeigt, auf denen | |
| DDR-Produkte wie Simsons, Soljanka oder Wolfgang Lippert total toll | |
| gefunden werden. Da frag ich mich, warum ein so wunderbarer Staat überhaupt | |
| untergegangen ist. | |
| Mein Lieblingsessen war – ich will es nicht leugnen – Nudeln mit | |
| Tomatensoße. Nur wurde damals die Tomatensoße in Ermangelung von Tomaten | |
| ganz anders hergestellt. Sie bestand aus einer Mehlschwitze und etwas | |
| Tomatenmark – falls Mutti so was ergattern konnte, um die bei Tomatensoßen | |
| dann doch nicht ganz unwichtige Rotfärbung herbeizuführen. | |
| Honecker hätte sich die Finger danach geleckt. Kein devisenträchtiges | |
| Oregano oder valutateures Olivenöl musste dafür beschafft werden und | |
| keinerlei Knoblauch trübte den Genuss. Es mangelte allerdings nicht am | |
| Knoblauch in der DDR, sondern an der Toleranz dieser Knolle gegenüber. | |
| Knoblauch war der „Russe“ unter den Zutaten. Der kam bei unserer strikten | |
| Küchenapartheit nicht ins Haus. Deutsch-sowjetische Freundschaft hin oder | |
| her. Bis heute meidet meine Mutter Knoblauch, was mich dazu verleitet, in | |
| einer Revolte gegen die Küche meiner Herkunft riesige Mengen davon zu | |
| verzehren, sodass eine Dunstwolke über mir schwebt, als marschiere eine | |
| Kompanie Sowjets ins Eigenheim meiner Eltern, wenn ich zu Besuch bin. | |
| Bleibt festzuhalten: Die DDR-Küche war in ihren wesentlichen | |
| Erscheinungsformen eine Küche des Mangels, der sich daraus ergebenden | |
| Kompromisse und der sprachlichen Schönfärberei. | |
| ## Tote Oma | |
| Der VEB-Einheitsjogurt war dank der Gelatine aus Rinderknochen so stabil, | |
| dass man ihn aus seinem quadratischen Plastebecher komplett herausnehmen | |
| und auf einen Teller stellen konnte, im Sommer allerdings so flüssig, dass | |
| man ihn trank. Das Bier kippte schneller um, als man damit besoffen wurde. | |
| Die Schlagersüßtafel war gut, um jemanden zu erschlagen. „Tote Oma“ hieß | |
| nicht umsonst so. Wenn in Kuba von der Schweinemast noch Apfelsinen | |
| übrigblieben, wurden sie in die DDR exportiert. Fremdsprachen, die im Osten | |
| nicht wirklich gut beherrscht wurden, machten aus einem Stück Leder ein | |
| „Steak au four“ und aus einem ordinären Saft einen Juice. | |
| Nach dem Mauerfall, als wir unseren ersten Urlaub in Bayern verbrachten und | |
| das erste Mal nicht an der obligatorischen Ostsee waren, bestellte mein | |
| Vater, weil er noch ein paar Kilometer Richtung Alpen fahren musste, kein | |
| Bier bei der kräftigen Wirtin, die gerade an unseren Tisch getreten war, | |
| sondern einen Juice. Sie guckte ihn an und fragte: „A groaßes Wooßbier.“ | |
| Mein Vater wiederholte seinen Wunsch nach einem Juice. „A kloanes | |
| Wooßbier“, fragte die Wirtin. Mein Vater sagte schon langsam etwas | |
| entnervt: „Nein, einen Orangenjuice, bitte.“ Es dehnten sich die Sekunden | |
| zwischendeutscher Ratlosigkeit, und dann sagte sie: „Krutzitürkn, oanen | |
| Soft wollns.“ | |
| 24 Oct 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Kreis | |
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