# taz.de -- Die Wahrheit: Ehrliche letzte Worte | |
> Wenn die besorgte Mutter immer aufs Neue nach einem ordentlichen Beruf | |
> für einen sucht, wie wäre es denn dann mit dem eines | |
> Todesanzeigenlyrikers? | |
Am Telefon machte mir Mutter mal wieder einen Jobvorschlag: „Christian, du | |
kannst doch reden, warum wirst du nicht Beerdigungsredner?“ Und dann | |
wundert sie sich, warum ich sie so selten anrufe. Unlängst hat sie mir | |
wieder mit Vorwurf in der Stimme erzählt, dass die Nachbarin jeden Tag von | |
der Tochter angerufen werde. Ich schlug meiner Mutter vor, wenn sie nett | |
darum bittet, würde bestimmt die Tochter der Nachbarin auch jeden Tag bei | |
ihr anrufen. | |
Neben Reden ist meine grundlegende Kompetenz auch, ehrlich zu sein. Und | |
damit sollte man gleich bei der Todesanzeige anfangen. Normalerweise liest | |
man dort vorgefertigte Verse wie: „Dein gutes Herz hat aufgehört zu | |
schlagen.“ Das ist schon gedanklich nicht ganz sauber, denn wenn das Herz | |
gut gewesen wäre, hätte es vermutlich auch nicht einfach so mit dem | |
Schlagen aufgehört und der Tote könnte immer noch fröhlich leben. So ein | |
Herz ist eher ein Arschlochherz. | |
Die Hinterbliebenen sollten übrigens auch nicht selber dichten. Es ist | |
schon ohne Trauer schwer genug. Neulich fand ich im Todesanzeigenteil der | |
Mittelmäßigen Zeitung folgenden Vers: „FC Bayern war Dein Leben. / Für | |
Deine Familie hast Du alles gegeben.“ | |
Mal ganz davon abgesehen, dass das Versmaß nicht stimmt, kann man doch die | |
Verklärung eines Lebens, das den FC Bayern zum Inhalt hatte, nun wirklich | |
nicht durchgehen lassen. Was ich als professioneller Grablyriker anbieten | |
könnte, wäre also ehrliche Todesanzeigenlyrik. Ich arbeite indiskret, | |
jedoch zeitnah. Für einen Vierzeiler würde ich schlappe hundert Euro | |
nehmen. | |
Beispielsweise über einen Vater, den man vielleicht nicht ganz so sehr | |
gemocht hat: „Dein Herz hat aufgehört zu schlagen, / wir konnten dich nicht | |
mehr ertragen. / Nun bist du endlich abgetreten, / lasst dankbar uns zum | |
Herrgott beten.“ | |
Oder auf die Frau oder den Mann, mit der oder dem man es viel zu lange | |
ausgehalten hat: „Auf einmal bist du nicht mehr da, / und keiner kanns | |
verstehn. / Doch einer, nämlich ich. / Ich lass dich gerne gehn.“ | |
Oder bei einem plötzlichen, unerwarteten Tod: „Ich wollt, es wäre nur ein | |
Traum, / und könnt aus ihm erwachen. / Ach so, es ist ja gar kein Traum! / | |
Na, das bringt mich zum Lachen.“ | |
Oder die ehrliche Dankbarkeit, zum Beispiel dem Erbonkel gegenüber: „Du | |
hast gesorgt, du hast geschafft, / dann hat es dich hinweggerafft. / Nun | |
ruhe aus in Gottes Hand. / Wir erben viel, dafür sei Dank.“ | |
Oder über die Mutter, die gern mal ihre Kinder vermöbelt hat: „Am Ende | |
bleibt uns nur zu sagen: / Eine Mutter hat aufgehört zu schlagen.“ | |
Als ich dann Mutter von der Idee meiner ehrlichen Todesanzeigenlyrik | |
erzählte, sagte sie etwas pikiert: „Also wenn ich mal sterbe, kann ich mich | |
wohl auf eine schöne Todesanzeige gefasst machen.“ | |
„Keine Angst“, sagte ich, „bei dir werde ich mich ehrlich darum bemühen, | |
nicht ganz so ehrlich zu sein.“ | |
16 May 2024 | |
## AUTOREN | |
Christian Kreis | |
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