Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Jurist über Hamburger Allgemeinverfügung: „Das Verbot ist zu we…
> Hamburg hat ein pauschales Verbot für pro-palästinensiche Demonstrationen
> ausgesprochen. Jurist Michael Wrase hält das für rechtlich problematisch.
Bild: Versammlung am Freitag vergangener Woche in Hamburg-St. Georg, zu der die…
taz: Herr Wrase, wie bewerten Sie [1][die Hamburger Allgemeinverfügung],
die sogenannte Pro-Palästina-Demonstrationen über einen längeren Zeitraum
untersagt?
Michael Wrase: Insgesamt ist diese Verfügung weit formuliert und sehr
allgemein gehalten. Ohnehin sind pauschale Versammlungsverbote
problematisch, denn eigentlich darf es Demonstrationsverbote nur auf Basis
von Einzelfallprüfungen geben. Nun sind [2][alle pro-palästinensischen
Demonstrationen] verboten, die nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt
angemeldet wurden. Dabei gibt es schon Urteile des
Bundesverfassungsgerichts, in denen es klarstellt, dass das
Versammlungsrecht auch für kurzfristig angemeldete Demonstrationen gilt.
Die Versammlungsbehörde spricht von „pro-palästinensischen“ Aufzügen –…
das eine legitime Verallgemeinerung?
Es gilt der Bestimmtheitsgrundsatz – also habe ich hier schon starke
Bedenken, denn das ist viel zu weit gefasst: Darunter können schließlich
Demonstrationen fallen, die eine einfache Solidarität mit den Menschen in
Gaza fordern oder sich für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzen, bis hin zu
solchen Demonstrationen, die die Terrorakte der Hamas feiern. Aber nur
letztere rechtfertigen ein Verbot.
Was definiert die „[3][Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung]“, weswegen in Hamburg die Demonstrationen verboten wurden?
Polizeirechtlich gibt es dazu klar definierte Tatbestandsmerkmale, wenn
also Verstöße gegen Strafgesetze erwartet werden, die die Veranstaltung
prägen.
Ist relevant, ob Straftaten von einigen oder von vielen begangen werden
könnten?
Ein Verbot kann nicht damit begründet werden, dass sie von einzelnen
Teilnehmern begangen werden könnten. Es muss schon davon ausgegangen
werden, dass es die Veranstalter darauf anlegen oder es billigend in Kauf
nehmen, dass antisemitische Parolen verbreitet werden. Oder dass Straftaten
von der versammelten Menschenmenge ausgehen.
Die Versammlungsbehörde verweist auch auf die antisemitischen und die Hamas
feiernden Demonstrationen in Berlin – würden Sie so einen Verweis als
legitim ansehen?
Ganz klar: Nein. Es braucht eine konkrete Gefährdungseinschätzung vor Ort.
Und die muss belegt werden. Vor dem Verwaltungsgericht Berlin etwa legte
die Polizei Belege vor, dass die Veranstalter einer Demonstration der Hamas
nahestehen. Eine rein pauschale Einschätzung reicht nicht aus.
Die Hamburger Versammlungsbehörde hat aber nicht einzelne Demonstrationen
verboten, sondern gleich eine Allgemeinverfügung über einen längeren
Zeitraum erlassen – geht das?
Die Versammlungsfreiheit gilt in jedem Fall, generelle Verbote über einen
längeren Zeitraum sind eigentlich nicht haltbar. Da bräuchte es schon eine
besondere Gefährdungslage, dass also die öffentliche Sicherheit nicht
anders gewährleistet werden kann. Da könnte man etwa an tagelange
Straßenkämpfe denken, wobei das Bilder sind, die uns eher an Zeiten der
Weimarer Republik erinnern.
Am Ende dreht es sich juristisch immer um die Frage, ob ein Verbot
verhältnismäßig ist, oder?
Bei pauschalen Verboten ist die Verhältnismäßigkeit oft nicht gegeben. Es
muss schließlich ausgeschlossen werden, dass es keine milderen Mittel gibt,
dass also etwa die Veranstalter strenge Auflagen erhalten.
Eine von [4][der Schura] organisierte Demonstration war zuletzt unter
vielen Auflagen genehmigt worden. Hat es noch mit Meinungsfreiheit zu tun,
wenn die Versammlungsbehörde sogar dahingehend Vorschriften machen, welche
Parolen okay sind und welche nicht?
Es hängt davon ab, ob zum Beispiel eindeutig strafbare Parolen gerufen
werden sollen, die unter den Paragraf 130 der Strafgesetzbuchs fallen –
also der Volksverhetzung. Wir sehen aber, etwa in Berlin, dass Behörden
teilweise dazu tendieren können, den Rahmen zu weit zu fassen. Sinnvoll,
allerdings ungewöhnlich, können aber solche Auflagen durch die
Versammlungsbehörde schon sein. Und die können im Übrigen auch
Veranstaltern eine gewisse Sicherheit bei der Durchführung geben.
Die besagte Demonstration von der Schura wurde abgebrochen, weil manche
Teilnehmer „Free Palastine“ skandierten. Da sind wir doch weit entfernt von
Straftaten wie Beleidigung oder Volksverhetzung.
Das ist eine Äußerung, die ganz unterschiedlich interpretiert werden kann:
Einerseits gibt es eine militante Organisation, die sich so nennt. Aber man
kann den Ruf auch so interpretieren, dass es schlicht eine Forderung zur
Umsetzung des Völkerrechts ist, im Sinne der Zwei-Staaten-Lösung. Das ist
ein bisschen so wie bei der Parole „Soldaten sind Mörder“. Diese Parole
ist, so hat es das Bundesverfassungsgericht festgestellt, eine zulässige
pazifistische Äußerung, im Übrigen auch ein Zitat von Kurt Tucholsky, kann
aber unter bestimmten Umständen den Charakter einer Beleidigung haben, wenn
ich das zum Beispiel einem Soldaten ins Gesicht sage. Grundsätzlich ist
aber von der Meinungsfreiheit auszugehen.
Die Versammlungsbehörde argumentiert in Hamburg letztlich, dass sich der
Kontext geändert habe, es also einen Krieg zwischen Israel und der Hamas
gebe, vor dessen Hintergrund derlei Parolen zu sehen seien. Ist das
juristisch zulässig?
Natürlich ist der konkrete Konflikt der Ausgangspunkt, aber das bedeutet
nicht, dass sich viel daraus ableiten ließe. Es ist ein komplexer Konflikt,
der nicht ausschließlich schwarz-weiß ist. Sinn der Versammlungsfreiheit
ist, dass unterschiedliche Positionen geäußert werden dürfen – dass eine
Kontroverse auch auf der Straße sichtbar wird.
Demonstrationen können auch ein sinnvolles Ventil für Wut sein.
Es mag Zufall sein: Auch in Berlin gab es erst ein generelles Verbot und in
diesen Tagen kam es zu Ausschreitungen. Seitdem Demonstrationen zugelassen
wurden, hat sich die Lage ein wenig beruhigt. Ich habe den Eindruck: Zuvor
gab es viel Wut und auch Hass, aber die staatlichen Verbote haben das nicht
besser gemacht.
30 Oct 2023
## LINKS
[1] https://www.polizei.hamburg/resource/blob/692848/d0eece4a4acbaa930c6ef16a90…
[2] /Linker-Antisemitismus/!5966630
[3] https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/recht-a-z/323421/gefaehrdung-der-oeffe…
[4] /Hamburg-und-die-muslimischen-Verbaende/!5943427
## AUTOREN
André Zuschlag
## TAGS
Gaza
Demonstrationsrecht
Verbot
Demokratieprojekte
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Greta Thunberg
Militär
## ARTIKEL ZUM THEMA
CDU-Vorschlag zu Demokratiefördergesetz: Staatsgeld nur mit Israel-Bekenntnis
Der Abgeordnete Christoph de Vries fordert neue Regeln bei staatlich
geförderten Demokratieprojekten. Sie sollen sich gegen Antisemitismus
aussprechen.
100 Jahre türkische Republik: Gaza-Solidarität als Innenpolitik
Vor dem hundertjährigen Jubiläum der Türkischen Republik ruft Erdoğan einen
Palästina-Tag aus. Es ist ein weiterer Schritt weg vom säkularen Staat.
Antisemitismus bei Fridays for Future: Luisa Neubauer distanziert sich
Die Klimaaktivistin nimmt Abstand von internationalen
Fridays-for-Future-Kanälen, auf denen antisemitische Inhalte geteilt
wurden. Nun legt Greta Thunberg nach.
Militärexperte über Terror in Nahost: „Hamas ist eine Ideologie“
Israel will die Hamas zerstören, doch das sei schwierig, sagt der Militär-
und Hamas-Experte Assaf Moghadam. Denn sie ist mehr als nur eine
Organisation.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.