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# taz.de -- Proteste in der arabischen Welt: Ungebrochene Solidarität
> In Tunesien ist die Unterstützung Palästinas quasi Staatsräson. Nach dem
> Vorfall am Al-Ahli-Krankenhaus haben viele Menschen demonstriert.
Bild: „Stoppt den Genozid“, skandieren Protestierende am Mittwoch vor der U…
Tunis taz | „Frankreich und die USA sind mitschuldig an dem Genozid an den
Palästinensern“, sagt die Studentin Miriam Kasmi an einer Polizeisperre,
die das riesige Gelände der Amerikanischen Botschaft in Tunis schützt. Nach
dem tödlichen Raketeneinschlag am Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza am
Dienstagabend protestierten mehrere zehntausend Menschen am Mittwochmittag
in Tunis. Während Studenten und Schüler versuchten, vor die US-Botschaft zu
ziehen, skandierten mehr als 10.000 Demonstranten vor der französischen
Botschaft im Stadtzentrum.
Seit letzten Donnerstag sind in Tunesien immer wieder Menschen aus
Solidarität mit den Palästinensern auf die Straßen gegangen. Die
Enttäuschung über das Ausbleiben der Verurteilung israelischer Angriffe auf
palästinensische Zivilisten hat in der Region eine Welle der Empörung
ausgelöst.
„Glückwunsch, weißer, christlicher Westen. Das nächste Mal, wenn ihr von
Menschenrechten und Demokratie sprecht, wird euch hier niemand mehr
glauben.“ Der Post von Tunesiens beliebtestem Radiomoderator [1][Haitham
al-Mekki] auf der Social-Media-Plattform X drückt aus, was viele junge
Menschen in der arabischen Welt gerade denken. Haitham al-Mekki moderiert
die populäre Sendung Midi Show.
In dieser sprach al-Mekki zuletzt direkt all jene westlichen Diplomaten an,
die Tunesiens aktive Zivilgesellschaft bisher immer tatkräftig unterstützt
haben. „Wir werden euch nicht mehr zuhören. Nicht weil wir diese Werte
nicht teilen, sondern weil wir derzeit nichts als Heuchelei und
Doppelstandards von euch sehen.“ Haitham al-Mekki regte sich zudem darüber
auf, dass Angriffe auf ukrainische Zivilisten als russische Verbrechen
bezeichnet werden, während man Israel zugesteht, die gesamte Bevölkerung
Gazas für die Taten der Hamas verantwortlich zu machen.
## Ein nationales Trauma
Auch wenn Tunesien und seine Nachbarländer keine Grenze mit Gaza und Israel
teilen, die Solidarität mit den Palästinensern ist am südlichen Mittelmeer
quasi Staatsräson. Die Live-Berichterstattung aus Gaza steigert den Unmut
über das vermeintliche Schweigen westlicher Medien über die israelischen
Angriffe auf Zivilisten. Am Dienstagvormittag dominierten die Videos von
den nächtlichen israelischen Luftangriffen auf Chan Yunis und Rafah in Gaza
mit über 70 Toten die sozialen und staatlichen Medien. Am Mittwochmorgen
schauen sich Menschen in Cafés gemeinsam die Bilder der Opfer in den
Trümmern des Al-Ahli-Krankenhauses an. Noch immer ist ungeklärt, wer für
den Raketeneinschlag verantwortlich war.
[2][In Tunesien], ein Land, in dem Opposition und Präsident zutiefst
zerstritten sind, ist man sich bei einer Sache einig: Man fordert ein Ende
der Luftangriffe auf den Gazastreifen und ein Ende der israelischen
Besatzung Palästinas. Israel wird in tunesischen Medien seit Jahrzehnten
als „Zionistische Entität“ bezeichnet. Neben Palästina-Flaggen dominieren
Schals mit der al-Aksa-Moschee die Protestzüge der letzten Tage.
Die Räumung der [3][auf dem Tempelberg] in Jerusalem gelegenen heiligen
Stätte durch israelische Sicherheitskräfte hatte in den letzten Jahrzehnten
immer wieder zu Demonstrationen in der arabischen Welt geführt. Bei einer
Demonstration am Freitag, an der zahlreiche islamistische Gruppen
teilnahmen, wurde die Hamas als Verteidiger der Bewohner von Gaza
dargestellt.
Nachdem die palästinensische PLO 1982 ihre Exilregierung in der Nähe von
Tunis aufgeschlagen hatte, interessierten sich viele mehr für den
palästinensisch-israelischen Konflikt als für die eigene Geschichte. Dass
Ende der 60er Jahre mehrere Hunderttausend tunesische Juden nach dem
Sechstagekrieg das Land verlassen mussten, wissen nur wenige.
Ein nationales Trauma ist aber der [4][1. Oktober 1985]. Zehn israelische
Kampfflugzeuge griffen das Hauptquartier von PLO-Chef Jassir Arafat in
Tunis an. 56 Palästinenser und 15 Tunesier starben, Arafat hielt sich
während des Angriffs nicht in Tunis auf.
„Die Solidarität mit Palästina ist Teil meiner Identität und war das
wichtigste politische Thema in meiner Schule und Familie“, sagt Emna
Younis. Am Donnerstag war die 30-Jährige mit Freunden bei einer
Solidaritätsdemo für Gaza.
So wie die religiösen Konservativen sieht auch sie die Terrororganisation
Hamas als notwendiges Übel im Kampf der Palästinenser für ihre Freiheit.
Die israelischen Opfer des Hamas-Angriffs sind für sie, wegen der
zahlreichen Menschenrechtsverletzungen der israelischen Armee, kein Thema.
Wer in Tunesien öffentlich Mitleid mit Israel äußert, wird schnell als
Zionist abgestempelt. Präsident Kais Saied fährt seit seinem Putsch im
Sommer 2021 einen streng anti-israelischen Kurs, das Parlament diskutiert
derzeit ein Gesetz, das jegliche Kooperationen mit israelischen
Institutionen oder Privatpersonen verbieten soll. „Wir unterstützen
uneingeschränkt das Freiheitsbestreben der Palästinenser“, kommentierte
Saied nach dem Angriff der Hamas auf Israel.
19 Oct 2023
## LINKS
[1] https://twitter.com/haythemelmekki?lang=en
[2] /Migration-nach-Lampedusa/!5958536
[3] /Israel-und-Palaestina/!5926641
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Wooden_Leg
## AUTOREN
Mirco Keilberth
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