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# taz.de -- Die Wahrheit: Feuerwasser und Schwert
> Drei ältere Herren verhandeln in einer Berliner Shisha-Bar den
> Nahost-Konflikt. Die Altinternationalen der Religion suchen nach einer
> Lösung.
Abraham, Moses und Mohammed sitzen in einer Berliner Shisha-Bar und reden
über den Nahost-Konflikt. Und an der Stelle muss gleich der allmächtige
Autor eingreifen. Denn es ist schon sehr unwahrscheinlich, dass drei
Altinternationale der Religionsstiftung ausgerechnet in der deutschen
Hauptstadt heutzutage friedlich beisammenhocken und die Weltlage erörtern.
Außerdem ist das hier kein typisch jüdischer Witz, der drei gegensätzliche
Personen versammelt, um dann im Dreischritt mit einer Exposition, in der
die Figuren vorgestellt werden, einer Complicatio, bei der ein
irritierender Konflikt die Leser auf die falsche Spur schickt, und einer
Pointe, die mit einem kurzen Knall alles auflöst, lachend die Katharsis zu
vollenden.
Das klingt jetzt etwas theoretisch, und zu lachen gibt es momentan
angesichts des Terrors der Hamas in Israel und des Elends in Gaza wahrlich
nichts – aber vielleicht dennoch, ist das Lachen doch die einzige
Möglichkeit, dem Grauen entgegenzuwirken. Weshalb wir der
Grundkonstellation dieser Erzählung hiermit weiter folgen werden. Kurz wie
ein Witz aber kann der komplexe Konflikt nicht einmal in einer Shisha-Bar
abgehandelt werden.
Es sitzen da also die drei Propheten, saugen an ihren Pfeifchen und nehmen
Getränke zu sich. Mohammed trinkt selbstverständlich keinen Alkohol,
sondern Tee und ist ein eher unscheinbarer blasser Mann. Wobei hier schon
wieder der Allmächtige eingreifen muss, denn von Mohammed darf sich nach
islamischem Recht niemand ein Bild machen. Zwar kennt der Koran kein
Bilderverbot, aber Mohammed hat es so gesagt: „Die Engel betreten kein
Haus, in dem sich ein Hund oder eine bildliche Darstellung befindet.“ Dann
lassen wir Erzählengel eben Mohammed in diesem Shisha-Haus wie einen
Schattenriss erscheinen. Und nirgendwo bellt ein Hund.
Moses führt sich einen Whisky zu Gemüte, natürlich einen israelischen von
„M&H Whisky Distillery“. Seit einigen Jahren produzieren die Neu-Brenner
„unter der Sonne Tel Avivs“ einen Single Malt namens „Classic“, der zwar
noch nicht an die schottischen heranreicht, aber durchaus trinkbar ist:
„Typisch Juden“, spottet Moses, „erst ein paar Jahre im Geschäft, und sc…
nennen sie ihr Feuerwasser ‚Classic‘.“
## Ein Gesicht mit einem Hordenbart wie aus einem alten Sandalenfilm
Moses sieht tatsächlich ein wenig aus wie Charlton Heston in dem berühmten
Sandalenfilm von 1956 „Die zehn Gebote“. Sein kantiges Gesicht ist umrahmt
von einem wie aus Stein gemeißelten grauen Haarhelm mit gepflegtem
Hordenbart. Allerdings trägt er kein kaftanartiges Gewand, sondern einen
dreigeteilten Straßenanzug. Und wie üblich zieht ihn Abraham mit dem
Hollywood-Schauspieler auf: „Aber den Whisky müssen wir nicht deinen
kalten, toten Händen entreißen, oder?“
Abraham trinkt Bier. Seit er in Berlin lebt, ist „der Alte von Kreuzberg“,
wie er auch genannt wird, auf dem Schlicht-Trip. Er hat in seinem Leben
alles gesehen, viele Kinder gezeugt und nun genießt er das einfache Leben
mit Currywurst und Pommes und Berliner Kindl. „Herrlich!“, ruft er ein ums
andere Mal ins Rund, während seine Kollegen nur den Kopf schütteln über die
seltsame Kleidung des Vaters der Völker.
Abraham trägt eine Jogginghose und eine grell pinkfarbene Trainingsjacke.
„Pink ist Geschmackssache, aber Schwein geht gar nicht!“, rüffelt Mohammed
den Alten, der süffisant mit einem Zitat des großen muslimischen Gelehrten
Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah
antwortet: „Deine Klugheit ist so kurz wie eine Blutwurst.“
Da Mohammed den Humor nicht erfunden hat, würde eine solche Schmähung
normalerweise einen Religionskrieg mit Kreuzzug auslösen, aber als
Stammvater darf sich Abraham alles erlauben und kommt nun endlich zum Kern
der aktuellen gefährlichen Weltlage: „Ich habe unsere kleine Runde
zusammengetrommelt, weil ich euch darüber informieren wollte, dass im
nächsten Monat die Welt untergeht.“
Sofort bestellt sich Moses einen weiteren Whisky, und Mohammed wird weiß
wie eine Wand: „Ich liebe Feuer und Schwert, aber für diese barbarische
Hamas würde nicht mal ich meine Prophetenhand ins Feuer legen.“
„Nu, mein Freund,“ stichelt Moses, „aber eine gewisse Mitschuld an deinen
Terror-Freunden kannst du nicht verleugnen, oder?“ Beleidigt zieht Mohammed
eine Schnute, bis Abraham das Zauberwort ausspricht: „Putin!“
Moses und Mohammed erstarren. Sie wissen ganz genau, was jetzt kommt. Seit
Abraham an der Volkshochschule Neukölln einen Kurs über menschliche
Verhaltenspsychologie belegt hat, hält er nach zwei, drei Bieren gern einen
Vortrag mit dem immer gleichen Inhalt – „Mo und Mo“ würden an einem
Doppelsyndrom leiden: Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn.
## Keine Gewinner oder Verlierer in einem völlig zerstörten Landstrich
„Beim letzten Gazakrieg“, setzt Abraham zielsicher an, „als die israelisc…
Armee wieder abrückte, erklärte ein Sprecher der Hamas vor den
Fernsehkameras, dass ‚Israel als Verlierer vom Schlachtfeld‘ ziehe. Hinter
ihm waren Bilder eines völlig zerstörten Landstrichs zu sehen, in dem es
keine Gewinner oder Verlierer mehr gab – erst recht nicht eine siegreiche
Hamas. Und auch jetzt wird es keine Gewinner oder Verlierer geben. Es gibt
nur elende Übertreibung, gespeist durch diese unselige Mischung aus
Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn, die alle in Nahost antreibt.
In eurem gemeinsamen, extrem kleinen Stückchen Land, wo ihr eng
aufeinanderhockt wie eine Flüchtlingsfamilie in ihrer winzigen Bude in
Neukölln, nehmt Ihr euch allesamt einfach zu wichtig. Dabei gibt es
anderswo Teufel, die sich jetzt ihre schmutzigen Hände reiben und den
Weltuntergang planen. Ich sage nur: Putin! Den müssen wir gemeinsam
bekämpfen!“, beendet Abraham seine Standpauke.
Und da Mo und Mo, gelangweilt und uneinsichtig, wie sie nun einmal sind,
verstummen und der alte Sack Abraham die junge Kellnerin, deren Urgroßvater
er sein könnte, mit einer zotigen Bemerkung über ihr Aussehen beglückt,
greift an dieser Stelle noch einmal der allmächtige Autor ein. Eigentlich
ist ja damit alles gesagt, aber wenn wir als Leser, Autor und Figuren uns
schon mal in dieser seltenen Konstellation hier eingefunden haben, dann
lassen wir doch noch den jüdischen Witz zu seinem verdienten Recht kommen.
Wie immer übernimmt Abraham nonchalant die gesamte Rechnung, dann geht er
nach Hause und erzählt seiner Frau: „Nach meiner Ansprache wird die Welt
doch nicht im nächsten Monat untergehen.“ Mohammed geht ebenfalls nach
Hause und verkündet seiner Frau: „Im nächsten Monat wird der Islam siegen.�…
Moses aber kehrt heim und sagt seiner Frau: „Ich habe eine gute und eine
schlechte Nachricht: Die Welt wird im nächsten Monat untergehen. Und ich
habe gerade eine Whisky-Firma in Tel Aviv gekauft.“
14 Oct 2023
## AUTOREN
Michael Ringel
## TAGS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Religion
Weltuntergang
Kolumne Die Wahrheit
Arno Schmidt
Anti-Israel
Sahra Wagenknecht
Antisemit
Wladimir Putin
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