# taz.de -- Die Wahrheit: Arno Schmidt lebt! | |
> New York statt Bargfeld: Vom Großliteraten zum Großkoch. Ein | |
> eigenwilliger Schriftsteller ergreift die Flucht vor seiner Fangemeinde. | |
Am Wochenende erschütterte die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 9. | |
Dezember 2023 die Welt der Literatur mit einem brisanten Interview. Die | |
Investigativabteilung der Münchner hatte einen der wichtigsten deutschen | |
Schriftsteller an einem Ort aufgespürt, an dem ihn niemand erwartet hatte: | |
Arno Schmidt lebt! Als Rentner im New Yorker Viertel Jackson Heights. | |
Sofort waren die Jünger des exzentrischen Großliteraten elektrisiert. Die | |
Drähte zwischen den Zettelkasten-Entzifferern der Dechriffier-Syndikate | |
glühten. Bislang war bekannt, dass Arno Schmidt im Jahr 1979 gestorben war. | |
Und nun die Sensation: Der mittlerweile 92-Jährige lebt auf der anderen | |
Seite des großen Teichs und erzählt den Reportern putzmunter, er habe in | |
New York die Küche des Hotels Waldorf Astoria geleitet und „für die Reichen | |
und Mächtigen aus der ganzen Welt“ gekocht. Für die SZ ein gewöhnliches | |
„Gespräch über Löwenfleisch zum Dinner, den Kaffee für Conrad Hilton und | |
den Unterschied zwischen Queen Elizabeth und Imelda Marcos“, für die | |
Schmidtianer ein Erdbeben, ein Vulkanausbruch und ein Wirbelsturm in einem. | |
Der im niedersächsischen Heidedörfchen Bargfeld einsiedlergleich mit seiner | |
Frau Alice lebende Wortkünstler galt mit seinen sprachlich eigenwilligen | |
Werken wie „Zettels Traum“ lange als Außenseiter der deutschen Literatur. | |
Erst in den siebziger Jahren kam der Erfolg, und eine schier fanatische | |
Lesergemeinde scharte sich um den Meister, dem der Mäzen Jan Philipp | |
Reemtsma mit einer Stiftung den Fortbestand seines Werkes sicherte. Kurz | |
darauf starb Schmidt. Angeblich. | |
Offenbar wollte er sich mit seinem vorgetäuschten Tod den Nachstellungen | |
seiner Anhänger entziehen und flüchtete ins Waldorf Astoria, wo es „in den | |
goldenen Jahren der Hotelküche kaum einen Prominenten gab, der nicht bei | |
ihm gegessen hätte“, wie die SZ schreibt. Schmidt habe „für Frank Sinatra | |
und Liza Minnelli, für Queen Elizabeth und den Kaiser von Japan gekocht“, | |
über die er nur Gutes sagt: „Die meisten Gäste waren freundlich und haben | |
gegessen.“ | |
## Flucht unter Klarnamen | |
Das Besondere an seiner Flucht war, dass Schmidt, um Verfolger | |
abzuschütteln, weiterhin seinen Klarnamen verwendete und sich „Arno | |
Schmidt“ nannte. So schlug er den hartnäckigen Enträtslern seiner | |
Fangemeinde ein Schnippchen, die erwarteten, dass er einen Tarnnamen | |
erfinden würde. Ein verschlüsseltes Anagramm wie „Martin D. Ochs“ wäre d… | |
Mindeste gewesen. | |
Offensichtlich waren Arno Schmidt die Banalitäten der oberen Zehntausend | |
wichtiger als die Bedrängungen der Literaturwelt. Vermutlich war er aber | |
auch einfach nur leergeschrieben. Also entschied er sich für den frühen | |
„Tod“ mit 65 Jahren, um aus der Ferne seinen Nachruhm persönlich beobachten | |
zu können. Eine Entscheidung, die unbedingt respektiert werden sollte. Dem | |
Ruheständler Arno Schmidt in New York sei noch ein langes und ruhiges Leben | |
gewünscht. | |
11 Dec 2023 | |
## AUTOREN | |
Michael Ringel | |
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Kolumne Die Wahrheit | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Sahra Wagenknecht | |
Antisemit | |
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