| # taz.de -- Zu Besuch beim Maskentanz: Eine breite Unterlippe riskieren | |
| > Die Inuit-Performerin Elisabeth Heilmann Blind teilt ihr Wissen über den | |
| > traditionellen grönländischen Maskentanz mit anderen. Ein Selbstversuch. | |
| Bild: Elisabeth Heilmamn Blind | |
| Berlin taz | Im Westen von Grönland, wo ich herkomme, war der Maskentanz | |
| vergessen“, sagt Elisabeth Heilmann Blind, „nur im Osten hatte er sich | |
| erhalten.“ Wegen des dichten Packeises, das das Land umschließt, hätten | |
| dort keine Missionare landen können – wohl aber an den Küsten im Westen, | |
| die an offenes Wasser grenzen. Deshalb heißt Elisabeth Heilmann Blind so, | |
| wie sie heißt, denn mit der Christianisierung wurden den getauften Inuit | |
| deutsche Namen verliehen. Den Maskentanz ihrer Vorfahren, erzählt | |
| Elisabeth, habe sie tatsächlich erst kennengelernt, als sie in Dänemark | |
| Schauspiel studierte – eine seltsame [1][Ironie der | |
| Kolonisationsgeschichte]. | |
| Und jetzt tut die Performerin alles dafür, dass die wiederentdeckte | |
| Tradition lebendig bleibt, und trägt sie in die Welt. Mittlerweile lebt sie | |
| schon lange im Norden Schwedens, arbeitet dort viel mit Sami-KünstlerInnen | |
| zusammen und gibt Maskentanz-Performances und -Workshops, wo immer es sie | |
| hinträgt. Nun also auch nach Berlin. Für einen dreistündigen Workshop in | |
| grönländischem Maskentanz (auf Inuit: Uaajeerneq) haben sich acht | |
| Neugierige im Kulturzentrum Oyoun in Berlin-Neukölln eingefunden. Die | |
| Veranstaltung ist Teil der laufenden Reihe [2][„Sea Behind the Wall“], die | |
| sich mit der Kultur der Sami beschäftigt. | |
| Zu Beginn verteilt Elisabeth kleine, etwas zehn Zentimeter lange Stöckchen | |
| an die TeilnehmerInnen. Die müsse man in den Mund stecken, erklärt sie, | |
| quer vorne in die Unterlippe – und demonstriert es. Der Effekt ist immens: | |
| Gruselig sieht sie aus und gleichzeitig komisch. Das ist ein Gegensatz, | |
| der, wie wir lernen werden, im Maskentanz grundlegend zum Konzept gehört. | |
| ## Arbeit am Stöckchen | |
| Konzentriert arbeiten wir an unseren Stöckchen, schneiden sie so zu, dass | |
| sie mit etwas gutem Willen gerade so vor die untere Zahnreihe passen, und | |
| probieren vor dem Spiegel Gesichter. Leider, sagt Elisabeth, sei nicht | |
| genug Zeit zum Schminken. Die komplette „Maske“, die direkt aufs Gesicht | |
| aufgetragen wird, bleibt heute also nur angedeutet. | |
| In den Videos, die sie uns zeigt, bevor wir selbst in Aktion gehen dürfen, | |
| sehen wir sie in voller Bemalung: Schwarz, Weiß und Rot sind die Farben der | |
| Maske. „Jede Tänzerin und jeder Tänzer“, lese ich später auf Elisabeths | |
| Website, „hat ihre oder seine eigene spezielle Maske, die über lange Zeit | |
| entwickelt wird. Schwarz symbolisiert das Unbekannte und Magische, Rot | |
| steht für das Leben und Weiß für die Reinheit.“ Ähnlich wie der japanische | |
| Butoh-Tanz, mit dem Elisabeth sich ebenfalls lange beschäftigt hat, ist der | |
| grönländische Maskentanz eigentlich eine Form des Schauspiels. Musik passt | |
| gut dazu, es geht aber auch ohne. | |
| Wir probieren erste eigene Schritte: „Be grounded“, lautet die erste | |
| Lektion. Die Grundposition besteht darin, mit beiden Füßen allzeit einen | |
| breitbeinigen, festen Stand zu haben, die Knie leicht gebeugt und das | |
| Becken gerade zu halten. Yogaerfahrung kann dabei hilfreich sein. „Die | |
| Augen groß“, ruft Elisabeth, „und immer weit offen!“ Die Arme dürfen ni… | |
| herabhängen, sondern müssen in Spannung sein, sollen raumgreifend agieren | |
| können. „Der Maskentanz hat meine Vorfahren gerettet“, sagt Elisabeth. | |
| ## Angst, Erotik und Komik | |
| In den langen Wintermonaten, der ewigen Dunkelheit und Kälte, hätten die | |
| Menschen etwas gebraucht, das sie durchhalten ließ. Der Maskentanz, | |
| ursprünglich als eine Art Begleitprogramm schamanistischer Seancen | |
| entstanden, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem eigenständigen | |
| Unterhaltungsritual. | |
| Die tanzende Person agiert, so lernen wir, zwischen drei Hauptelementen: | |
| Angst, Erotik und Komik. Dazu kommen drei Dimensionen: die menschliche, die | |
| tierische und die geistige Sphäre. Wir erkunden die Elemente eines nach dem | |
| anderen in der Gruppe. | |
| Danach verteilt Elisabeth Bindfäden, mit denen wir uns die Nasen | |
| hochbinden, was den Verfremdungseffekt noch verstärkt. Zum Schluss müssen | |
| alle paarweise vor der Gruppe performen. Da echte SchauspielerInnen unter | |
| uns sind, gibt es großartige Einzelleistungen. Und die beiden teilnehmenden | |
| Journalistinnen trauen sich natürlich erst als Allerletzte nach vorne. | |
| Katharina Granzin | |
| 16 Oct 2023 | |
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| [2] https://oyoun.de/unsere-arbeit/listening-to-the-land/ | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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