# taz.de -- Erdbeben in Afghanistan: Zur Sicherheit draußen übernachten | |
> Eine Erdbebenserie im Westen Afghanistans fordert über 2.000 Tote und | |
> Verletzte. Hunderte Menschen seien in der Provinz Herat unter Trümmern | |
> begraben. | |
Bild: Menschen, die von Erdbeben betroffen sind, ruhen in Herat im Freien aus | |
BERLIN taz | Eine Serie von acht Erdstößen über fünf Stunden zerstörte am | |
Samstag gegen Mittag (Ortszeit) in Westafghanistan etwa ein Dutzend Dörfer. | |
Nach vorläufigen Angaben der Nationalen Behörde für Katastrophenmanagement | |
von Sonntagmittag forderte sie 2.053 Tote und Verletzte, bei insgesamt | |
9.240 Einwohnern. Ein anderer Taliban-Sprecher sprach von 1.240 Verletzten. | |
Das würde bedeuten, dass 813 Menschen ums Leben kamen. Zwei Erdstöße | |
erreichten laut dem Geologischen Dienst der USA die Stärke von 6,3, | |
Nachbeben eine halbe Stunde später 5,5. | |
Mindestens sechs Dörfer und insgesamt 1.320 Häuser seien komplett zerstört | |
worden. In einem Dorf hätten nur 100 von 300 Familien vollständig überlebt. | |
Die UNO hatte am Samstagabend zunächst von etwa 100 Toten in acht Dörfern | |
berichtet. Von ihr gab es bis Redaktionsschluss keine neuen Zahlen. | |
Betroffen waren die Provinzen Herat, Badghis und Ghor. Das Epizentrum der | |
Beben lag im Distrikt Sindedschan 40 Kilometer nordwestlich der | |
Provinzhauptstadt Herat und gut 100 Kilometer östlich der Grenze zu Iran. | |
Auch dort waren die Erdstöße zu spüren, Berichte über Opfer oder größere | |
Schäden gibt es aber nicht. Die Nachrichtenagentur AFP zitierte den | |
42-jährigen Baschir Ahmad aus dem Dorf Sarboland bei Sindedschan, dass | |
„beim allerersten Erdstoß alle Häuser“ einstürzten. Telefonverbindungen | |
brachen zusammen. Viele Straßen sind blockiert. | |
## Die Lehmbauweise hält die Zahl der Opfer relativ gering | |
Videos und Fotos, die aus dem betroffenen Gebiet in soziale Medien | |
gelangten, zeigten Dörfer, die nur noch aus Schutt bestehen, und Menschen, | |
die darin nach Überlebenden gruben. Ein Video aus einem nicht | |
identifizierten Ort zeigt, wie Anwohner ein etwa zweijähriges Kind bergen, | |
ein anderes, wie ein alter Mann gerettet wird. Ein drittes Video zeigt | |
einen Mann, der auf den Trümmern seines Hauses 14 getötete | |
Familienmitglieder beklagt, darunter ein fünf Tage altes Baby. | |
Normalerweise heißt es, dass die örtlich vorherrschende Lehmbauweise bei | |
Erdbeben die Zahl der Opfer noch relativ gering hält. | |
In der Großstadt Herat flüchteten die Menschen aus Wohnungen, Büros und | |
Geschäften ins Freie. Der Samstag ist in Afghanistan erster Arbeitstag der | |
Woche. Wegen befürchteter weiterer Nachbeben übernachteten viele in Straßen | |
und Parks. Die Menschen erinnern sich nur zu gut an [1][das Beben im | |
Südosten des Landes im Juni 2022] mit mindestens 1.000 Toten und 1.500 | |
Verletzten und das noch schwerere [2][in der Türkei und Syrien im | |
vergangenen Februar]. | |
Doch die Stadt selbst, die der Romanautor Salman Rushdie wegen ihrer | |
kulturgeschichtlichen Bedeutung als „Florenz des Ostens“ beschreibt, | |
scheint glimpflich davongekommen zu sein. Die im 15. Jahrhundert | |
errichteten, 55 Meter hohen und bereits durch frühere Beben und Kriege | |
beschädigten Minarette der Mahalla zeigen neue Risse; Mosaikfliesen fielen | |
herab. | |
## Der Rote Halbmond braucht „Ärzte und Ärztinnen“ | |
Die Taliban-Behörden, der Afghanische Rote Halbmond, UN-Hilfswerke und | |
lokale wie internationale Nichtregierungsorganisationen schickten | |
Trinkwasser, Nahrungsmittel, Bekleidung, Notfallpäckchen und Zelte als | |
Notunterkünfte für die Überlebenden sowie Rettungs- und mobile | |
Behandlungsteams. Der Rote Halbmond sprach ausdrücklich von „Ärzten und | |
Ärztinnen“. Der Sprecher des Taliban-Emirats, Sabihullah Mudschahed, sagte | |
in Kabul, auch Militär sei in das Katastrophengebiet beordert worden. | |
Herats Gouverneur Nur Ahmad Islamjar forderte in einer Videobotschaft die | |
Bewohner der Provinz zur Unterstützung der Betroffenen auf, insbesondere | |
die Apotheker, mit Medikamenten zu helfen. | |
Laut Weltgesundheitsorganisation gab es in der Provinz Herat neben dem | |
zentralen Provinzkrankenhaus 201 Gesundheitseinrichtungen, darunter vier | |
Distrikthospitäler und 24 Gesundheitszentren. Wie viele davon durch das | |
Beben betroffen wurden, ist bisher nicht klar. Laut dem britischen | |
[3][Guardian] war das Provinzhospital von Herat mit einer Kapazität von 600 | |
Betten bereits am Samstagnachmittag überlastet. „Dutzende“ Patienten | |
mussten im Freien behandelt werden. Die UNO richtete zehn örtliche | |
Notaufnahmen ein und entsandte drei Traumabehandlungsteams in das | |
Feldkrankenhaus Herat. Zurzeit evaluiert sie den weiteren Bedarf an Hilfe. | |
In Deutschland bittet unter anderen der Afghanische Frauenverein e. V. mit | |
Sitz in Hamburg um Spenden. | |
8 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Erdbeben-in-Afghanistan/!5862992 | |
[2] /Erdbeben-in-der-Tuerkei-und-Syrien/!5949094 | |
[3] https://www.theguardian.com/world/2023/oct/08/afghanistan-earthquake-has-ki… | |
## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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