| # taz.de -- Die Wahrheit: Der prächtige Wäscheberg | |
| > Die wahre und abgeschlossene Kurzgeschichte im alles andere als | |
| > Schonwaschgang. | |
| Der große Wäscheberg lag gemütlich schnarchend in irgendeiner Ecke herum | |
| und ließ den lieben Gott einen guten Mann sein. Manchmal bemerkte er stolz | |
| im Halbschlaf – wenn mal wieder eine bis zwei oder drei Socken oder anderes | |
| Gedöns auf ihn geworfen wurden –, dass er beachtlich wuchs und standesgemäß | |
| ordentlich muffelte. | |
| An seine Kindertage konnte er sich nur schemenhaft erinnern. Wenn er | |
| wirklich angestrengt zurückdachte, dann war ihm, als wären möglicherweise | |
| eine khakifarbene Shorts und ein geblümtes T-Shirt sein Anfang gewesen, | |
| doch das hätte er niemals geschworen, es war schon so lange her … Er war | |
| halt ein liebenswerter Wäscheberg, der niemandem etwas zuleide tat und | |
| daher auch noch nie Ungemach erfahren hatte. Eine gestreifte lange | |
| Unterhose hatte ihm zwar, als er heranwuchs, mit diebischer Freude erzählt, | |
| auch sein Leben werde nicht für immer so friedlich verlaufen. Sie, die | |
| gestreifte lange Unterhose, hätte nämlich die Welt da draußen schon | |
| gesehen, und zwar alles! | |
| Am schlimmsten aber wäre so eine Art Vorhölle, nämlich die sogenannte | |
| Waschmaschine, die in ihrem Grauen nur noch von der echten Hölle, dem | |
| Wäschetrockner, übertroffen würde. Und dann ginge dasselbe von vorne los. | |
| Doch da die gestreifte lange Unterhose den Wäscheberg nie wieder verlassen | |
| hatte, maß der Wäscheberg ihren fantastischen Märchen keine weitere | |
| Bedeutung zu, und schlummerte milde lächelnd weiter vor sich hin. So hätte | |
| es für den Rest seines Lebens gerne weitergehen dürfen, doch das Schicksal | |
| hatte etwas anderes mit ihm vor … | |
| Ein schrilles Schrieken und ein Lichtschein rissen ihn aus seinem | |
| Nickerchen. Der Wäscheberg kannte dieses Geräusch und das Licht von | |
| früher, doch sie waren ihm noch nie unangenehmer als heute vorgekommen. | |
| Normalerweise wurde bei einer solchen Gelegenheit, die in seiner | |
| Zeitrechnung nur alle Jubeljahre vorkam, nur eine kleine obere Schicht von | |
| ihm abgetragen, die dann aber irgendwann völlig durch den Wind wieder | |
| zurückkam – zu entsetzt, um über die Erlebnisse zu berichten … Doch diesm… | |
| war es anders! Wie ein Feuerwerk zuckten die Blitzlichter um ihn herum, | |
| Menschen umkreisten ihn, er hörte hysterische Stimmen, und hier und da kam | |
| es ihm vor, als vernehme er joviales, deppertes Gelächter. Er wusste | |
| wirklich nicht, wie ihm geschah, er wurde vermessen und offensichtlich | |
| fotografiert. Anscheinend wurden hektische Telefonate geführt, und beinahe | |
| schien es ihm, als würde sogar telegrafiert! Verwirrt befragte er Mütze, | |
| Seidenschnupftuch, Piratenhemd, Stirnband, Unterhemd, Halstuch und Speckige | |
| Knickerbocker, was da vor sich ginge. Doch die braven Gesellen konnten dazu | |
| keine ermittlungsrelevanten Erkenntnisse liefern, hatten sie doch seit der | |
| Entstehung des Wäschebergs die angebliche Welt da draußen nie wieder | |
| erblickt. | |
| ## Rumpeln und pumpeln | |
| Dem Wäscheberg wurde mulmig. Doch er hatte keine Zeit, länger über sein | |
| seltsames Geschick nachzudenken, denn schon wurde er in all seiner Pracht | |
| von irgendetwas aufgehoben und in einen großen Kasten gesteckt, von dem der | |
| vergilbte Briefumschlag, der nur versehentlich in dem friedlichen | |
| Schmutzwäscheberg gelandet war, behauptete, es sei ein Panzerwagen. | |
| Es rumpelte und pumpelte, die Zeit schien sich ewig in die Länge zu ziehen, | |
| und der Wäscheberg war gerade dabei, friedlich wieder einzuschlafen, als | |
| er erneut ins Rampenlicht gezogen wurde – greller als je zuvor! Er | |
| versuchte, sich in irgendeinem Winkel zu verstecken, doch die Schmutzsocken | |
| und Schwimmschlappen waren vor Angst wie paralysiert. Außerdem gab es | |
| nirgendwo einen Winkel, er war einer gierigen Pressemeute einfach schutzlos | |
| ausgeliefert. | |
| Fortan war sein Leben – ganz wie es die gestreifte lange Unterhose ihm | |
| einst geweissagt hatte – nur noch von Stress und Arbeit bestimmt. Wie die | |
| Mütze und das Stirnband herausgefunden haben wollten, solle er fortan als | |
| Body-Double für irgendeinen Hollywood-Schauspieler eingesetzt werden, wenn | |
| es um öffentliche Auftritte wie beispielsweise Gerichtsverhandlungen ging. | |
| Die verfilzten Püschohrenschützer, die ihren ersten und letzten Waschgang | |
| von anno dazumal niemals überwunden hatten, konnten leider den Namen des | |
| Stars nicht verstehen, aber sie hatten vernommen, dass die Ähnlichkeit | |
| zwischen dem Star und dem Wäscheberg vor allem optisch frappierend sein | |
| solle. | |
| Nun fühlte sich der Wäscheberg doch irgendwie geschmeichelt. Sicher würden | |
| die Menschen nicht so einen Aufwand betreiben, wenn es nur um irgendeinen | |
| hergelaufenen Hollywoodstar ginge. Das musste ein prächtiger Schauspieler | |
| sein! Fortan erledigte der Schmutzwäscheberg seine Double-Aufgabe mit | |
| Stolz. Sogar für Waschmittelreklame wurde er eingesetzt – eine Demütigung, | |
| die er mit souveränem Lächeln und einem leichten Anflug von Arroganz | |
| professionell wegsteckte. | |
| Und wenn es Abend wurde in Hollywood, dann erzählte er all den tränennassen | |
| Seiden-Taschentüchern, verschwitzten Hemden, muffelnden Stiefelsocken und | |
| auch all den anderen Muffel-Groupies, die sich fortan begeistert um ihn | |
| scharten, wie herrlich doch das Leben als Hollywoodstardouble war. Einzig | |
| die gestreifte lange Unterhose runzelte zuweilen kritisch ihren Gummizug | |
| und dachte: „Was für ein Depp …“ | |
| 2 Oct 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Corinna Stegemann | |
| ## TAGS | |
| Waschmaschine | |
| Haushaltsgeräte | |
| Kurzgeschichte | |
| Poesie | |
| Bildung | |
| Slowenien | |
| Ernährung | |
| Anekdoten | |
| Kiffen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wahrheit: Poesiealbum | |
| Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich die geneigte | |
| Leserschaft an einem Poem über ein unerfreuliches Büchlein erfreuen. | |
| Die Wahrheit: „Schule macht blöd“ | |
| Osmose in der Raucherecke – das exklusive Wahrheit-Interview mit der | |
| deutschen Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). | |
| Die Wahrheit: Planschen im Pulver | |
| Slowenische Woche der Wahrheit: Ljubljanas das Jucken über alle Maßen | |
| liebender Buchhändler und seine weit verzweigte Familie mit 27 Brüdern. | |
| Die Wahrheit: Edel wirst du, matter Kopfsalat! | |
| Die Wahrheit-Sommerserie „Wahre Wunder“ (4): Das Mysterium der abseitigen, | |
| aber überaus hilfreichen Surig Essigessenz. | |
| Die Wahrheit: „Ich bin sauber wie ein Hundezahn“ | |
| Der allerneueste englische König: die schönsten Anekdoten über den | |
| sympathischen Ohrenhenkelkopf Charles III. anlässlich seiner Krönung. | |
| Die Wahrheit: Eine Spinne namens Mary Jane | |
| Neulich auf der Nebenbank belauscht: Was sagen eigentlich die Konsumenten | |
| zur Cannabisfreigabe? Und was ist ihnen dabei besonders wichtig? |