# taz.de -- Archäologin über koloniale KZs: „Die Hälfte der Internierten s… | |
> Die Haifischinsel in Namibia barg von 1905 bis 1907 das berüchtigteste | |
> Konzentrationslager Deutsch-Südwestafrikas. Katja Lembke hat es | |
> erforscht. | |
Bild: Der Gedenkstein für den Nama-Anführer Cornelius Fredericks enthält kei… | |
t az: Katja Lembke, Sie sprechen bei der Haifischinsel vom „ersten | |
deutschen Konzentrationslager“. Das müssen Sie erklären. | |
Katja Lembke: Wir denken bei dem Wort „Konzentrationslager“ natürlich | |
zuerst an die NS-Zeit. Tatsächlich gab es aber eben vorher schon | |
Konzentrationslager. Die Bezeichnung stammt nicht von mir, sondern vom | |
damaligen Reichskanzler von Bülow, der die Lager einrichten ließ, | |
[1][nachdem er den Vernichtungsbefehl, den General Lothar von Trotha gegen | |
die Herero und Nama ausgesprochen hatte], zurückgenommen hatte. Das ist ein | |
wichtiger Punkt. Die Intention dieser Lager war zunächst einmal eine andere | |
als in der NS-Zeit. Sie dienten nicht von vornherein der Vernichtung. | |
Wenn es nicht um Vernichtung ging, um was denn dann? | |
Zunächst einmal kopierte man damit ein System, dass die Briten schon in | |
Südafrika angewandt hatten. Man versammelte die Bevölkerung, um sie „zu | |
schützen“, aber auch zu kontrollieren. Man muss sich klar machen, dass | |
diese Vernichtungspolitik, die Lothar von Trotha vorher betrieben hatte, | |
dazu führte, dass die Menschen ohne Essen und Trinken in die Wüste | |
getrieben wurden. Zehntausende starben, wer überlebte, war oft nur noch ein | |
Gerippe – wir sehen das auch auf den Fotos aus dieser Zeit. In den | |
Sammellagern sollten Missionare zunächst einmal dafür sorgen, dass diese | |
Menschen wieder aufgepäppelt wurden. Natürlich auch, weil man sie als | |
billige Arbeitskräfte benötigte – etwa für den Eisenbahnbau. | |
Trotzdem waren die Todesraten hoch. | |
Ja, man schätzt, dass fast die Hälfte der Internierten starb. Das lag zum | |
Teil daran, dass sie in so schlechtem Zustand ankamen, zum Teil aber auch | |
daran, dass man mit dieser Versorgung vollkommen überfordert war. Es | |
mangelte an allem: Essen, Kleidung, Behausungen. Krankheiten breiteten sich | |
aus, dazu kamen harte Arbeit und Gewalt. Die Bedingungen waren einfach | |
katastrophal, das galt für alle Lager, für die Haifischinsel aber ganz | |
besonders. | |
Warum stach die Haifischinsel in diesem Lagersystem heraus? | |
Es gab gezielte Transporte dorthin, wie später in der NS-Zeit. Das Lager | |
lag abseits der vertrauten Stammesgebiete, sowohl der Herero als auch der | |
Nama. Auch die klimatischen Bedingungen dort sind ausgesprochen rau: Es ist | |
ständig windig, neblig, feucht, das Wasser ist kalt. Es spricht vieles | |
dafür, dass von Trotha, als er diesen Ort auswählte, eigentlich seine | |
Vernichtungspolitik mit anderen Mitteln fortsetzen wollte. Es gibt eben | |
auch Berichte, die zeigen, dass die Soldaten weiter Jagd auf diese Menschen | |
machten, das endete erst mit der Abberufung von Trothas Ende 1905. | |
Das Lager bestand aber noch mehr als ein Jahr weiter. Warum wurde es am | |
Ende aufgelöst? | |
Man sah wohl ein, dass die Todeszahlen zu hoch waren. Es gibt | |
beispielsweise einen Bericht, nach dem von 1.600 Nama, die im Oktober 1906 | |
als Arbeitskräfte für das Hafenamt zur Verfügung stehen sollten, zu | |
Weihnachten nur noch 30 bis 40 Männer arbeitsfähig waren. Außerdem wurde | |
der Krieg für beendet erklärt. | |
Wenn Sie sagen, es gab hier – anders als bei den KZs der Nazis – keine | |
Vernichtungsabsicht, setzt man sich damit nicht dem Vorwurf der | |
Relativierung aus? | |
Ja, das ist eine schwierige Frage. Es gibt ja die wirklich bahnbrechende | |
Arbeit von Caspar W. Erichsen, die dieses Thema Anfang der 2000er-Jahre | |
überhaupt erst wieder ins Bewusstsein gerückt hat. Er hat das später | |
[2][sehr zugespitzt in seinem mit David Olusoga veröffentlichten Buch „The | |
Kaiser’s Holocaust“]. Das finde ich sehr problematisch, denn man muss | |
einfach sehen: Es gab hier einen Genozid-Befehl, der wurde aber nach | |
wenigen Wochen aufgehoben. Das ist etwas völlig anderes als die | |
systematische Ausgrenzung und Vernichtung der Juden über Jahre hinweg. Auch | |
die Tatsache, dass man die Lager nach zwei Jahren aufgegeben hat, spricht | |
ja dafür, dass hier noch eine andere Haltung am Werk war als in der | |
Nazizeit. | |
Sie haben das auf die Formel gebracht: „Die Haifischinsel war nicht | |
Auschwitz, aber sie war ein Schritt auf dem Weg dorthin.“ | |
Das hat ja letztlich schon Hannah Arendt postuliert. Und wenn Sie sich die | |
Bilder im Buch ansehen, sehen Sie sehr genau diese rassistische | |
„Herrenmenschen“-Haltung, die die Nationalsozialisten letztlich auf die | |
Spitze getrieben haben. Auch die zeitgenössischen Berichte sprechen da eine | |
deutliche Sprache. Und von der Haifischinsel wurden Schädel für Forschungen | |
zur „Rassenkunde“ nach Berlin geschickt. | |
In ihrem Buch zur Haifischinsel zeigen Sie viele Bilder, die schwer | |
auszuhalten sind. Vor allem auch, weil sie diese Ideologie ja letztlich | |
noch einmal reproduzieren. | |
Wir haben darüber lange diskutiert und manche Personen aus ethischen | |
Gründen anonymisiert. Es gab Aufnahmen, bei denen ich gesagt habe: Das | |
lassen wir vielleicht lieber weg. Es war dann oft meine namibische Kollegin | |
Emma Haitengi, die darauf bestand, sie aufzunehmen. Und ich glaube sie hat | |
recht: Es ist wichtig, sich mit diesen Bildern zu konfrontieren, auch wenn | |
sie brutal sind. Wir müssen da auch aufpassen, dass wir uns keine falsche | |
Zurückhaltung auferlegen. | |
Wie wurden Ihre Forschungsergebnisse vor Ort aufgenommen? | |
Ich habe gerade vor ein paar Tagen gehört, dass der Campingplatz, der sich | |
auf dem Gebiet des ehemaligen Lagers befand, gesperrt wurde. Man hat dort | |
nach unseren Vermessungen jetzt angefangen, zu graben und weitere | |
Untersuchungen durchzuführen. Als ich 2017 privat dort war, hat es mich | |
schon sehr betroffen gemacht, dass es kaum Hinweise darauf gab, was dort | |
passiert ist. Als wir im Juni 2022 dort waren, hatten wir Kontakt zu | |
einigen Namibiern, die sich dafür eingesetzt haben, das dort etwas | |
passiert. | |
Vorher gab es dort nichts? | |
Das Gebiet ist ja erst 2019 zum nationalen Gedenkort erklärt worden. Lange | |
Zeit gab es dort nichts als ein Monument für den Kolonisator Lüderitz, ein | |
Denkmal für die gefallenen deutschen Soldaten und ab 2011 einen Gedenkstein | |
für Kaptein Cornelius Fredericks, einem Kriegshelden der Nama, und seine | |
Angehörigen. Auf dem fehlte aber auch der Hinweis auf die Zusammenhänge. | |
Einem unvorbereiteten Betrachter wurde gar nicht klar, dass es da ein Lager | |
gab, in dem Tausende zu Tode kamen. Geschweige denn, dass darunter auch | |
Herero waren. Im Frühjahr dieses Jahres gab es zum ersten Mal ein | |
gemeinsames Gedenken dieser beiden Gruppen. Das gibt mir ein bisschen | |
Hoffnung, dass aus diesem gemeinsamen Erinnern vielleicht ein positiver | |
Effekt für die Zukunft erwächst. | |
Warum kommt diese Aufarbeitung auf beiden Seiten so spät? | |
Nun ja, ich kann natürlich nicht für die namibische Seite sprechen. Mein | |
Eindruck ist: Das waren erst einmal andere Themen wichtig. Das Land ist ja | |
erst 1990 unabhängig geworden, vorher standen sie unter südafrikanischer | |
Herrschaft – und damit auch unter der Apartheid. Im Nationalmuseum ist | |
dieser Kampf um die Unabhängigkeit das zentrale Thema. | |
Und in Deutschland? | |
Auf deutscher Seite muss man sagen: Da ist eben viel verdrängt worden. Man | |
sieht ja, wie lange es allein gedauert hat, sich der Nazizeit wirklich | |
zuzuwenden. Der postkoloniale Diskurs, den wir jetzt seit vielleicht 25 | |
Jahren sehen, ist sicher ein Phänomen des 21. Jahrhunderts. Und auch der | |
hat sich natürlich erst einmal auf die „großen“ Kolonialmächte | |
konzentriert. Als ich 2011 neu an das Landesmuseum in Hannover kam und | |
sagte, ja, wenn wir Provenienzforschung betreiben, dann sollten wir | |
vielleicht auch noch mal verstärkt unser Augenmerk auf die kolonialen | |
Objekte richten, bin ich damit erst einmal auf Unverständnis gestoßen. | |
Damals konzentrierte man sich auf das Kulturgut, das durch die | |
NS-Verfolgung entzogen wurde. | |
Aber es gab doch mit [3][Uwe Timms Roman „Morenga“] von 1978 und der | |
Verfilmung Anfang der Achtziger schon einmal einen Anlauf, den kolonialen | |
Völkermord an den Herero und Nama zum Thema zu machen. | |
Ich glaube, das war das einzigartige Werk eines wichtigen deutschen | |
Literaten, der damit sehr, sehr lange – also praktisch ein | |
Vierteljahrhundert – auf einsamem Posten stand. Das ist jetzt wirklich | |
anders. Für unser Projekt war auch das quasi gleichzeitige Erscheinen des | |
Films „[4][Der vermessene Mensch“ von Lars Kaume], der diesen Stoff noch | |
einmal bearbeitet und im Februar auf der Berlinale gefeiert wurde, ein | |
Glücksfall. Ich werde Aufführungen in Mainz und Hannover mit einem Vortrag | |
begleiten. | |
24 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Voelkermord-an-den-Herero-und-Nama/!t5012219 | |
[2] https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-15419 | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Morenga_(Roman) | |
[4] /Spielfilm-Der-vermessene-Mensch/!5921347 | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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