# taz.de -- 50 Jahre nach dem Militärputsch in Chile: Zwischen Erinnerung und … | |
> In ganz Chile erinnern die Menschen am 50. Jahrestag des Militärputschs | |
> an die Opfer. Rechte Parteien rechtfertigen den Putsch als | |
> „unausweichlich“. | |
Bild: Chile am 11. September: Kerzen vor dem Nationalstadion in Santiago | |
SANTIAGO taz | Tausende Menschen sind am Nationalstadion in Santiago de | |
Chile zusammengekommen, um an den Militärputsch vom 11. September 1973 zu | |
erinnern. Das Stadion war eines der größten Gefangenen- und Folterlager der | |
Pinochet-Diktatur. „Chile fordert Gerechtigkeit und Erinnerung“, war auf | |
einem Transparent zu lesen, das eine Gruppe von Studierenden und | |
Dozent:innen zum Stadion trug. Sie hielten Schwarz-Weiß-Fotos in die | |
Höhe, die die Gesichter von denjenigen zeigten, die damals ermordet wurden | |
oder verschwanden. | |
Es war die größte Gedenkveranstaltung am 50. Jahrestag des Militärputschs | |
von General Augusto Pinochet gegen die sozialistische Regierung von | |
Salvador Allende. Auf den Putsch folgten 17 Jahre Militärdiktatur mit über | |
40.000 Opfern von Folter und Verfolgung und mehr als 3.000 Toten, von denen | |
über 1.000 bis heute verschwunden sind. Das Militär verfolgte Linke, | |
Gewerkschaftsmitglieder, Studierende. | |
„Ich habe den Putsch zwar nicht selbst miterlebt, aber ich bin hier, damit | |
die Verbrechen der Diktatur nicht vergessen werden“, sagte die 41-jährige | |
Sozialarbeiterin Betsabé Concha, die zu der Gedenkfeier am Nationalstadion | |
gekommen war. „Wir erleben bis heute die Folgen der Diktatur, nämlich durch | |
die Verfassung, die bis heute in Kraft ist“, sagte sie. Ein Entwurf für | |
eine neue, progressive Verfassung [1][wurde im September 2022 abgelehnt]. | |
Jetzt arbeitet ein von Rechten dominierter [2][Verfassungsrat] einen neuen | |
Text aus. | |
Das Nationalstadion war umringt von Tanz-, Musik- und Trommelgruppen. Sie | |
spielten Lieder von [3][Víctor Jara], dem berühmten Sänger und Musiker, der | |
während der Diktatur gefoltert und ermordet wurde. „Menschen wie er haben | |
ihr Leben geopfert, weil sie für eine gerechtere Welt gekämpft haben“, | |
sagte Concha. | |
## Rechte Parteien verteidigen den Putsch | |
Der linke Präsident [4][Gabriel Boric] empfing am Morgen des Jahrestags bei | |
einer Gedenkveranstaltung im Regierungspalast La Moneda nationale und | |
internationale Gäste, darunter den kolumbianischen Präsidenten Gustavo | |
Petro, den mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador und den | |
Ex-Präsidenten Uruguays José Mujica. Auch Angehörige von Opfern der | |
Diktatur waren unter den Gästen. Um 11.58 Uhr hielten sie eine | |
Schweigeminute ab, genau zu der Uhrzeit, zu der die Luftwaffe am 11. | |
September 1973 das Regierungsgebäude bombardierte. | |
„Heute tragen wir in unseren Herzen diejenigen, die wegen ihrer Ideen | |
verfolgt wurden, die starben oder verschwinden mussten, die Gefängnis, | |
Folter, und Exil erlebten“, sagte Boric bei seiner Ansprache. „Es sehr | |
wichtig, klar zu sagen, dass der Staatsstreich nicht von dem zu trennen | |
ist, was danach kam“, fügte er hinzu. | |
Damit richtete er sich gegen die Mitglieder rechter Parteien, die nicht an | |
der Gedenkveranstaltung teilnehmen wollten: das Bündnis Chile Vamos und die | |
rechtsextreme Republikanische Partei. Eine [5][Erklärung der rechten Partei | |
UDI], die zum Bündnis Chile Vamos gehört und unter deren Mitgliedern sich | |
zahlreiche zivile Komplizen der Diktatur befinden, hatte im Vorfeld eine | |
Diskussion entfacht. | |
„Zwischen 1970 und 1973 kam es zu einem sozialen, politischen und | |
institutionellen Zusammenbruch, in dessen Folge der 11. September | |
unausweichlich wurde“, hieß es in dem Dokument. Die Erklärung reiht sich in | |
eine Reihe von Aussagen rechter Politiker:innen der vergangenen Wochen | |
ein, die den Militärputsch als „unvermeidbar“ bezeichnen und sich gegen | |
eine „einzige Wahrheit“ aussprechen, weil es ihrer Ansicht nach „mehrere | |
Wahrheiten“ gibt. | |
## Nunca más – Nie wieder! | |
Boric hatte außerdem alle im Parlament vertretenen Parteien eingeladen, | |
eine gemeinsame Erklärung zu unterschreiben, um sich zum Schutz der | |
Demokratie und der Menschenrechte zu bekennen. Auch das lehnten sie ab. | |
„Wir wehren uns gegen die, die sagen, dass es keine Alternative gab. | |
Natürlich gab es eine Alternative“, entgegnete Boric den Aussagen der | |
Rechten. | |
Auf der Plaza de la Constitución vor dem Regierungsgebäude legen Menschen | |
Blumen an der Statue von Salvador Allende nieder. Nicht weit entfernt tanzt | |
das Kollektiv Cueca Sola 50 Cueca-Tänze, einen für jedes Jahr, das seit dem | |
Putsch vergangen ist. Cueca ist der chilenische Nationaltanz, Angehörige | |
von Opfern der Diktatur tanzen ihn alleine, daher kommt die Bezeichnung | |
„Cueca Sola“. Eine Gruppe von Performance-Künstler:innen färbt das Wasser | |
dutzender Brunnen in Santiago mit roter Farbe, um auf das Blutvergießen der | |
Diktatur aufmerksam zu machen. | |
„Die Rechten wollen sich immer rechtfertigen. Aber es gibt nichts, was | |
rechtfertigen könnte, was sie getan haben“, sagt Betsabé Concha am Abend am | |
Estadio Nacional. Während langsam die Sonne untergeht, zünden die | |
Besucher:innen Kerzen an, um an die Toten der Diktatur zu erinnern. | |
Nunca Más – „Nie wieder“ ist auf vielen Transparenten zu lesen. | |
12 Sep 2023 | |
## LINKS | |
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[3] /Gerichtsurteil-im-Mordfall-Victor-Jara/!5957183 | |
[4] /Amtsantritt-von-Gabriel-Boric/!5838576 | |
[5] https://www.theclinic.cl/2023/09/11/el-11-de-septiembre-se-transformo-en-al… | |
## AUTOREN | |
Sophia Boddenberg | |
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