# taz.de -- Arbeitskonflikte an der FU Berlin: Ein echter Knochenjob | |
> An der Veterinärmedizin der FU protestieren Beschäftigte gegen schlechte | |
> Arbeitsbedingungen. Jetzt fordern sie in diesem Zusammenhang ein | |
> Streikrecht. | |
Bild: Zähne zusammenbeißen und durch? Das wollen die FU-VeterinärInnen nicht… | |
BERLIN taz | Seit Wochen steht der Fachbereich Veterinärmedizin an der | |
Freien Universität (FU) Berlin [1][wegen schlechter Arbeitsbedingungen in | |
der Kritik]. In einem offenen Brief vom März 2023 hatten Beschäftigte | |
bereits die hohe Arbeitsbelastung durch fehlendes Personal beklagt. Im Juli | |
erregte dann ein schwerer Arbeitsunfall am Fachbereich die Aufmerksamkeit | |
der Unfallkasse und des Landesamts für Gesundheitsschutz (LAGetSi). Bei | |
einer Begehung des Arbeitsplatzes, an dem Tiernahrung hergestellt wird, | |
wurden Mängel beim Arbeitsschutz und Verstöße gegen die | |
Arbeitszeitregelungen festgestellt. | |
Mit der Aktion „Tag der Offenen Zuschläge“ prangerte die Gewerkschaft Verdi | |
an, dass Beschäftigten in allen Lohngruppen des Fachbereichs Geld für | |
Überstunden, Nachtdienste und Gefahrenzulagen vorenthalten wurde, die ihnen | |
der geltende Tarifvertrag TV-L Berlin zusichert. Als Reaktion darauf | |
verlängerte die Universität den Zeitraum für die Mitarbeiter*innen, | |
einmalig ausstehende Zahlungen für sechs Monate geltend zu machen. Die Höhe | |
der geleisteten Nachzahlungen ist noch nicht bekannt. | |
Ende Oktober stehen nun Tarifrunden im öffentlichen Dienst an. Neben den | |
üblichen Punkten wie Löhnen und Arbeitsumfang könnte es diesmal um mehr | |
gehen: Unter dem Namen „Aktionskomitee zur TV-L-Tarifrunde 2023 an der FU“ | |
haben Beschäftigte am 7. September eine Petition mit neun Forderungen in | |
Umlauf gebracht, die von den Gewerkschaften in die Verhandlungen | |
eingebracht werden sollen. Darin sprechen sich die Unterzeichnenden dafür | |
aus, gewerkschaftlich für die Einhaltung des Tarifvertrags streiken zu | |
dürfen. | |
Damit hätten die Arbeitenden ein neues Druckmittel – denn bislang bleibt | |
oft nur der individuelle und oft langwierige Gang vor Gericht, wenn der | |
Arbeitgeber gegen den Tarifvertrag verstößt. Innerhalb der Gewerkschaft | |
Verdi sei diese Forderung auch umstritten, sagt Lukas Schmolzi von der | |
Verdi-Betriebsgruppe der FU. Die Gewerkschaften im Deutschen | |
Gewerkschaftsbund (DGB) streiken üblicherweise nur nach der Rechtsauslegung | |
in Deutschland: nämlich um Tarifverträge zu gestalten und abzuschließen. | |
Ein individueller Ausweg aus schlechten Arbeitsbedingungen bleibt die | |
Kündigung. Ronny Weigang ist ein Beispiel dafür: Der technische Assistent | |
war seit 2018 in der Röntgenabteilung der Klinik für Pferde angestellt, die | |
zum veterinärmedizinischen Lehrkrankenhaus der FU gehört. Studierende | |
absolvieren hier einen Teil ihrer Ausbildung. Halter*innen bringen ihre | |
Tiere zu Untersuchungen und Operationen, auch eine Notfallversorgung wird | |
angeboten. | |
## Kaum Zeit für Sorgfalt | |
Für Weigang waren die Arbeitsbedingungen nicht mehr auszuhalten, vor ein | |
paar Wochen hat er den Betrieb verlassen. „Die psychische und körperliche | |
Belastung war mit der Zeit einfach zu groß“, fasst er seine Entscheidung | |
zusammen. Mehr als drei Jahre hat er versucht, gegen eine falsche | |
Lohneingruppierung vorzugehen. Auch ihm wurden die tariflich geregelten | |
Zuschläge nicht verlässlich gezahlt. Unterbezahlung und Personalmangel | |
griffen ineinander: Wie viele Kolleg*innen machte Weigang Überstunden | |
und übernahm ständig zusätzliche Aufgaben. Seine eigentliche Arbeit, das | |
Röntgen der Tiere, litt darunter. Sorgfalt, Überprüfen und Nachbereitung | |
der Bilder? Dafür sei kaum Zeit gewesen. Dabei ist hohe Qualität für | |
Diagnostik und die Vorbereitung von Operationen notwendig. | |
Die dauernde Behelfssituation birgt Risiken für die Beschäftigten. Die | |
Fachkräfte sind nicht beliebig austauschbar, denn jede Arbeit der | |
Ärzt*innen, Tierpfleger*innen und des technischen Personals erfordert | |
eine spezielle Ausbildung, Routine und Wissen. Zwei Arbeitsunfälle hat | |
Weigang erlitten, als er einem Pferd Hufeisen abnehmen sollte – eigentlich | |
Aufgabe eine*r Schmied*in. Diese Stelle ist seit Jahren unbesetzt. „Die | |
Arbeit hat mich in dieser Hinsicht wirklich kaputt gemacht“, sagt Weigang. | |
Auch in Sachen Tierwohl findet er die Situation bedenklich. Lange habe er | |
versucht, im Betrieb etwas zu ändern, nun aber aufgegeben. | |
Im Fachbereich ist derzeit eine Stelle in der Radiologie ausgeschrieben: | |
Erwünscht seien „ausgeprägte Leistungsbereitschaft und Zuverlässigkeit“, | |
heißt es darin. | |
18 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Lisa Bor | |
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