# taz.de -- Tierärzt*innen am Limit: Bluten für das Tierwohl | |
> Angestellte der Veterinärmedizin an der FU klagen über schlechte | |
> Arbeitsbedingungen. Selbst ein Streik scheint möglich. | |
Bild: Überstunden für das Tierwohl sind bei Angestellten der Veterinärmedizi… | |
Berlin taz | Was nutzt ein Tarifvertrag, der nicht umgesetzt wird? Die | |
[1][Beschäftigten am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität | |
(FU) klagen über schlechte Arbeitsbedingungen]: Personalmangel, | |
Marathonschichten, Arbeiten ohne die vorgeschriebenen Ruhezeiten, und das | |
für weniger Geld, als es ihnen der Tarifvertrag zusichert. | |
Um dessen Umsetzung einzufordern, erwägen sie nun einen Streik. In einem | |
Schreiben, das der taz vorliegt, berufen sie sich auf die Auslegung des | |
Streikrechts der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO): Der zufolge | |
kann das Streikrecht zur Geltung kommen, wenn sich Arbeitgeber bewusst | |
tarifwidrig verhalten. | |
In einem offenen Brief ans Präsidium haben technische und medizinische | |
Fachkräfte, wissenschaftliche Mitarbeitende und Tierärzt*innen schon im | |
März schwere Vorwürfe erhoben: So würden im Tarifvertrag vereinbarte | |
Zuschläge für Nacht- und Feiertagsdienste sowie Überstunden teils nicht | |
gezahlt – seit Jahren. Im Falle einer Tierpflegerin seien es über 10 Jahre | |
mehr als 13.000 Euro gewesen, einer Tierärztin hätten in einem Jahr rund | |
6.800 Euro für Wechselschichten gefehlt. | |
Die Missstände bestehen schon lange. Bereits im Januar 2021 wies der | |
Personalrat Dahlem, der die Beschäftigten der FU vertritt, darauf hin. Es | |
habe Individualklagen gegeben, sagt Lukas Schmolzi von der | |
Verdi-Betriebsgruppe der FU, der mit vielen Beschäftigten im Gespräch ist. | |
## Überstunden durch Personalabbau | |
Zumindest der offene Brief hat etwas bewirkt: Anfang Juni beschloss das | |
Präsidium, dass Ausstände einmalig für drei Jahre rückwirkend eingefordert | |
werden können. Einreichungsfrist: der 30. September – weit weniger als die | |
üblichen 6 Monate. | |
Für die Tierpflegerin würde das zwar eine Zahlung von rund 4.100 Euro | |
bedeuten – gleichzeitig entgingen ihr über 9.000 Euro. Zumal die Zahlungen | |
nicht das einzige Problem sind: Die Beschäftigten beklagen auch „stetigen | |
Personalabbau“, die Arbeit aus gestrichenen Stellen sei einfach auf die | |
verbliebenen verteilt worden. | |
Überstunden waren die einzige Lösung: „Jede nicht besetzte Schicht hätte | |
zwangsläufig zu einer Beeinträchtigung des Tierwohls geführt“, heißt es in | |
dem Brief. [2][Die ständige Überlastung] führt auch dazu, dass | |
Kolleg*innen kündigen. Wegen Personalmangels musste die | |
24/7-Notfallambulanz der Tierklinik bereits eingestellt werden. | |
## Schwere Arbeitsunfälle | |
Doch gute Arbeitsbedingungen sind kein Luxus, sie sichern die Gesundheit | |
der Beschäftigten ab. Was anderenfalls passieren kann, machte Anfang August | |
ein schwerer Arbeitsunfall in der Abteilung für Tierernährung deutlich. Bei | |
einer Begehung des Landesamts für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und | |
technische Sicherheit sowie der Unfallkasse wurden mehrere Mängel | |
festgestellt, darunter Arbeitszeitverstöße. | |
Der Personalrat weist darauf hin, dass er die Dienstpläne nicht überprüft | |
konnte, weil sie ihm nicht vorlagen. Laut Verwaltungsgericht ist das eine | |
Verletzung des Mitbestimmungsrechts. Bereits 2017 hatte es einen schweren | |
Arbeitsunfall im Zusammenhang mit Arbeitsschutz gegeben: Der Angestellte | |
arbeitete allein in der Nachtschicht, seine Ablösung wäre erst zehn Stunden | |
nach dem Unfall eingetroffen. | |
Verdi-Sekretärin Julia Dück, für die Hochschulen in Berlin und Brandenburg | |
zuständig, sagt, die ausstehenden Zahlungen an der FU seien ein besonderer | |
Fall. Personalmangel und Unterfinanzierung seien aber ein verbreitetes | |
Problem: „Beschäftigte in Verwaltung und Technik arbeiten an der | |
Belastungsgrenze. Das gilt auch für die Wissenschaft.“ | |
22 Aug 2023 | |
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[1] /Tarifstreit-an-der-FU-Berlin/!5777815 | |
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## AUTOREN | |
Lisa Bor | |
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