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# taz.de -- Die Wahrheit: Gewaltiger Kinderfußball 2.0
> Aus gegebenem Anlass drillt der Deutsche Fußball-Bund jetzt mit allen
> Mitteln allerjüngste Kickerinnen und Kicker auf Weltmeister.
Bild: Können diese Knirpse ab sofort den deutschen Fußball retten?
Nach einem Dribbelsolo checkt der bullige Stoßstürmer den zierlichen
Innenverteidiger mit links ins Gras und hämmert den Ball in die Maschen.
Die achtjährige Torfrau hat nicht den Hauch einer Chance. Während die
kleinen Spielerinnen und Spieler des DFB-2038-Perspektivteams mit hängenden
Köpfen über den Platz schleichen, sind die hünenhaften Männer des TSV
Oerlinghausen bereits bestens gelaunt auf dem Weg zurück in die eigene
Hälfte.
Das Ergebnis ist niederschmetternd, steht es zum Ende der ersten Halbzeit
doch bereits 456:0 für den Herren-Landesligisten. Zum Glück kommt nach dem
Spiel der Eiswagen.
„Aber nur für die Gewinner! Für euch Pfeifen heißt es Extrarunden laufen
und danach ab in die Eistonne“, raunzt Hans-Joachim Watzke den Kids vom
Spielfeldrand zu. Der Vizepräsident des DFB kümmert sich um die
professionelle Ausrichtung des Verbands und ist neuerdings persönlich für
die Nachwuchsförderung zuständig.
Heute möchte er der Presse die Ü-9-Auswahl und sein Ausbildungskonzept für
den Kinderfußball 2.0 vorstellen. Während Deutschlands nächste goldene
Generation sich für eine gepfefferte Halbzeit-Predigt ihres Trainers Felix
Magath in die Kabine trollt, beginnt Watzke mit uns die Tour durch das neue
DFB-Hochleistungstrainingszentrum im sauerländischen Marsberg.
## Winziger Pimpf mit Handschuhen
„Fußball muss Spaß machen“, stellt der 64-Jährige unterwegs zu einem
benachbarten Übungsfeld klar. „Und zwar in erster Linie mir, dem Trainer,
dem Verband und den Sponsoren. Aber auch dann ist noch genug Gaudi für die
Kinder übrig. Nehmen Sie zum Beispiel unser Torwarttraining. Wir fangen im
zarten Alter von fünf Jahren gleich mit üblichen Herrentoren an. Das stellt
die Welt-Torhüter von morgen vor Herausforderungen und befeuert den
Ehrgeiz.“
Watzke deutet auf ein Tor von der Größe eines doppelten Doppeldeckerbusses.
Nur mit Mühe können wir in dessen Mitte einen winzigen Pimpf mit
Handschuhen entdecken, der beim Schusstraining von seinen Mitspielern jedes
Mal problemlos überwunden wird.
„Zudem haben die Stürmer mit unserem Konzept die von der Basis immer wieder
geforderten Erfolgserlebnisse. Dass unsere Torhüter alle paar Monate wegen
Burn-out ins Erholungsheim müssen, macht sie auf lange Sicht nur noch
härter.“ Wir gehen weiter und lassen uns im angrenzenden Gebäudekomplex den
berüchtigten Kraftraum zeigen, in dem ein Dutzend Sechsjähriger gerade an
Hantel- und Ruderbänken schuftet.
„Athletik und Fitness sind im modernen Fußball das A und O“, zischt
BVB-Boss Watzke, als er sich eine Zigarette anzündet und von seinem
Assistenten ein frisch gezapftes Pils gereicht bekommt. Bedauerlicherweise
dürfe man aus gesetzlichen Gründen nicht vor dem Grundschulalter damit
anfangen.
„Na, du Racker!“, schnappt Watzke sich für ein Pressefoto einen zufällig
vorbeikommenden Steppke und wuschelt ihm so wild durch die Frisur, dass
sich dessen Haare knisternd aufrichten. Dabei ascht er ihm gleich mehrfach
auf den Kopf.
„So, und jetzt geh gefälligst weiter trainieren, du Stöpsel, sonst knallt
et!“, schickt er dem Blondschopf im westfälischen Zungenschlag hinterher.
## Komplett aufs Anschreien beschränken
Wir folgen Watzke und seinem Tross durch den Flur in den modernen
Konferenzraum. Hier bekommen Kinder regelmäßig Karrieretipps von ehemaligen
Bundesligaspielern. Die Gäste werden laut Watzke mit allergrößter Sorgfalt
ausgewählt. „Als Dozenten laden wir ausschließlich gescheiterte Ex-Profis
ein, die sich für ihr Auskommen als TV-Fußballexperten in der
Doppelpass-Talkrunde blamieren müssen“, schwadroniert der Borusse, während
das leere Pilsglas gegen ein volles ausgetauscht wird. „Durch die
erschütternden Beispiele werden motivierende Ansprachen in der Regel
überflüssig, und der Trainer kann sich komplett aufs Anschreien während des
Spiels beschränken.“
Unser Rundgang mit „Aki“ Watzke endet dort, wo er angefangen hat. Unterwegs
zum Kunstrasenplatz kommen uns elf gestandene Seniorenspieler entgegen, die
an ihren Eiskugeln lecken, während die dreistellig unterlegene
DFB-Auswahlmannschaft nicht nur sprichwörtlich am Boden liegt.
Als Watzke zur Aufmunterung drei mächtige Kopfballpendel aus den Siebzigern
auf den Platz rollen lässt, regt sich Widerstand. Nach flüchtiger Beratung
und einem Angriffsschrei der Spielführerin stürmt die meuternde Horde mit
Medizinbällen bewaffnet auf den Verbandsvize zu. Einer kurzen Gewaltorgie
folgt die Flucht des gesamten Kaders ins nahe Trampolin-Spieleparadies.
Uns bleibt nicht mehr, als dem aus der Ohnmacht erwachten Funktionär zu
gratulieren. „Aki“ Watzke hat es tatsächlich geschafft, mit seinem
fabulösen Kinderprogramm den Grundstein für eine letzte glückliche
Generation zu legen. Respekt!
19 Sep 2023
## AUTOREN
Patric Hemgesberg
## TAGS
Sportvereine
Deutscher Fußballbund (DFB)
Kinder
Deutsche Fußball-Nationalmannschaft
Einsamkeit
Fußballfans
Köln
Deutscher Fußballbund (DFB)
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