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# taz.de -- 10 Jahre „Das Wetter“: „Wir entscheiden nach Leidenschaft“
> Zum Jubiläum ein Buch, so feiert „das Wetter“. Wie altert ein Magazin
> über Literatur und Musik und braucht es Förderung vom Staat, um zu
> überleben?
Bild: Sascha Ehlert und Katharina Holzmann in der Jospeh-Roth-Diele in Berlin-S…
wochentaz: Wenn man euch googelt, kommen Wetterberichte oder
Katastrophenmeldungen. [1][Wieso habt ihr euch Das Wetter ] genannt?
Sascha Ehlert: Unser Titel ist inhaltlich offen, allgegenwärtig und
zeitlos. Übers Wetter reden geht immer. Und das war unser Anspruch: Ein
Printmagazin muss insbesondere heute zeitlos sein, weil Zeitgeist längst im
Digitalen stattfindet.
Euer Magazin gibt es seit 10 Jahren mit über 30 Ausgaben und nun einem
Buch. Hättet ihr gedacht, dass ihr solange durchhaltet?
Katharina Holzmann: Auf keinen Fall. Wir haben lange kein Geld
erwirtschaftet und uns dementsprechend sehr wenig oder gar nichts bezahlt.
Sowohl dass wir so lange durchgehalten haben, aber auch, dass der
Kiwi-Verlag direkt fürs Buch zugesagt hat, ist eine Überraschung.
Beim Wetter macht ihr alles selbst. War es schwierig, Verantwortung
abzugeben?
Sascha Ehlert: Ich finde es generell schwierig, bei der eigenen Firma
Kontrolle abzugeben. Alle Texte lese ich vor dem Druck zwei bis drei Mal,
dabei bin ich nicht der Lektor. Aber meine Persönlichkeit der letzten zehn
Jahre ist eben sehr stark mit diesem Magazin verbunden. Es fühlt sich an,
als sei Das Wetter ein Lebewesen, das ich schützen muss. Das liegt auch
daran, dass es sich bei uns so familiär anfühlt mit den Autor*innen und
Fotograf*innen. Und manches ist auch tatsächlich familiär: Meine Mutter ist
neben Katharina die einzige Angestellte. Sie hält den Laden auf
geschäftlicher Ebene zusammen.
Auf euren Covern sind nicht zwingend große Stars, sondern oft Newcomer. Wie
entscheidet ihr, wer draufkommt?
Katharina Holzmann: Am Anfang haben wir die großen Stars gar nicht bekommen
und mussten uns eher am „Mittelfeld“ orientieren. Aber wir wollen uns eh
nicht an Hypes und Albumveröffentlichungen orientieren, sondern daran,
wessen Kunst wir interessant finden.
Sascha Ehlert: Wir haben uns schon immer rausgenommen, mehr nach
Leidenschaft als nach Verkäufen zu entscheiden. Als gelernter
Magazin-Journalist weiß ich, dass in der Regel die großen Namen auf die
Cover kommen. Meist zudem weiße Männer. Mir war es ein Anliegen, dass, wenn
ich schon ein wirtschaftlich hoffnungslos erscheinendes Magazin mache, dann
wenigstens nach meinen Idealen. Wir haben schnell gemerkt, dass das richtig
ist. In unserer Ausgabe 9 ist Hayiti auf dem Cover, die hatte zu dem
Zeitpunkt noch nicht mal ein Label. Die Leute sprechen uns bis heute darauf
an.
Gibt es einen Bestseller?
Sascha Ehlert: Casper war auf unserem ersten Cover und auch auf der 26.
Ausgabe. Das hat sich super verkauft. Nicht unbedingt, weil er der Künstler
mit der größten Reichweite ist, sondern weil er eine Fanbase hat, die auch
ein Interesse an Printporträts hat. Ein anderes Beispiel sind [2][Pashanim
und Symba]. Mittlerweile sind sie voll etablierte Größen, doch das Cover
haben wir zu Zeiten der ersten größeren Singles der beiden gemacht.
Trotzdem hat sich die Ausgabe direkt so gut verkauft. Bis heute werden wir
danach gefragt, was sicherlich auch daran liegt, dass es das erste und
einzige Presseinterview mit Pashanim ist.
Alles Rapper. Liegt euer Schwerpunkt generell auf dem Genre?
Katharina Holzmann: Wir sind beide mit Berliner Rap groß geworden. Wir
kannten uns also gut aus, und dann ist Rap in den letzten Jahren natürlich
zu einer der populärsten Musikrichtungen im Mainstream geworden.
Sascha Ehlert: Rap war nicht nur am mainstreamigsten, sondern auch die
Musikrichtung, in der am meisten Neues passiert ist. Aber in den letzten
Zeit ist mir Deutschrap fast zu erfolgreich geworden und die Musik zu sehr
auf den nächsten Hit ausgelegt. HipHop war mal die Musik der Underdogs,
doch wenn ich heute durch Berlin laufe und gucke, wer sich HipHop-mäßig
kleidet, merke ich, dass das mittlerweile viel mehr die Gewinner sind. Auch
die reichen Grunewald-Kids sehen aus wie aus einem Pashanim-Video. Bei Das
Wetter wollen wir auch immer das abbilden, wo gerade das Gegenkulturelle
stattfindet. Und das sehe ich aktuell ein Stück weit eher im Indie als im
Rap.
Das entsteht oft unter Jugendlichen. Wie geht ihr damit um, dass euer
Abstand zu denen immer größer wird?
Sascha Ehlert: Natürlich schauen wir mit Mitte 30 ein bisschen
distanzierter auf Jugendkultur als am Anfang. Auf unseren aktuellen Covern
sind gerade Nils Keppel und Modular, beide noch nicht so groß. Aber deren
Energie fand ich so geil, dass mich das abholt, auch wenn die mittlerweile
halt 15 Jahre jünger sind als ich. Und solange ich mich mit dem Kram, den
junge Leute feiern, noch identifizieren kann, kann ich diesen Job noch
machen.
Ihr schreibt über Musik, Film und Literatur. Seid ihr ein Feuilleton für
junge Leute?
Sascha Ehlert: Durch unseren Ton und unsere Art heben wir uns von anderen
ab. Im Feuilleton geht es bis heute darum, durch Sprache eine Hierarchie
zwischen Autor*in und Leser*inschaft aufzubauen. Unser Gestus soll nie
sein: Wir erklären euch jetzt die Welt. Wir schreiben über Rap, Indie-Rock
und Literatur und stellen das auf die gleiche Ebene. Bei uns gab es nie
eine Hierarchie zwischen Haftbefehl und Tocotronic, wie es das bei Spex und
Co gab.
Eure Texte und Interviews sind sehr lang, die Autor*innen treten meist
selbst auf, die Sprache ist alltagsnah mit viel Slang. Dadurch entsteht
eine Nähe, die es in journalistischen Texte nicht oft gibt. Dafür müsst ihr
euch immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, dass ihr zu nett zu den
Künstler*innen seid.
Katharina Holzmann: Früher hat mich dieser Vorwurf genervt, mittlerweile
nicht mehr. Wir sind kein Nachrichtenmagazin, haben keine Pflicht zur
Aufklärung der Öffentlichkeit über Kultur. Wir wollen ein kuratiertes Bild
einer großen Kulturszene geben und da behalten wir uns vor, Leuten
Aufmerksamkeit zu schenken, die wir cool finden.
Ihr hattet auch Künstler auf dem Cover, gegen die es heute schwere Vorwürfe
der sexuellen Übergriffe gibt.
Katharina Holzmann: Wenn es im Nachhinein Vorwürfe gegen eine Person gibt,
glaube ich, dass da was dran ist. Für uns ist dann klar: Jetzt hört die
Unterstützung auf. Wir sehen uns aber nicht in der Pflicht, das in der
Öffentlichkeit noch mal abzuurteilen.
Sascha Ehlert: Mir käme es wohlfeil vor, dann ein Statement zu setzen: Wir
distanzieren uns. Was sich aber verändert hat, ist, wie wir Musik mit
sexistischen Inhalten bewerten. Als mit Rap Sozialisierte haben wir das
lange mit Authentizität verteidigt. Heute sehe ich das anders.
Katharina Holzmann: Wir lernen weiter dazu und gucken auch, wer welche
Texte schreibt. Also, wir wählen nicht nach Minderheitengruppen aus, wer
über den berichten darf. Aber wir denken darüber nach, was angebracht ist.
Manchmal ist es ja auch vielleicht eine Entscheidung, Menschen zum
Interview zu schicken, wo man weiß, dass es ein bisschen crashen wird.
Ihr habt also einen politischen Anspruch, wer bei euch vorkommt und wer
schreibt?
Sascha Ehlert: Seit einigen Jahren achten wir immer auch auf das
Geschlechterverhältnis. Aber am Anfang ging es immer nur darum, genug Geld
für die nächste Ausgabe aufzutreiben und überhaupt fertig zu kriegen. Und
wenn du das irgendwann drauf hast, dann kannst du an anderen Dingen
arbeiten.
Katharina Holzmann: Wir hatten noch nie nur weiße Menschen auf dem Cover,
aber als 2015 Pegida aufkam, dachten wir: jetzt erst recht. Denn die
Magazin- und Feuilletonlandschaft war damals noch super weiß, wir wollen
aber die Normalität in Deutschland oder zumindest Berlins abbilden.
Ihr habt euch gegründet in der Zeit des großen Magazin-Sterbens,
[3][Musik-Magazine gibt es kaum mehr], viele unabhängige Medien sind in der
Krise. Berührt die euch nicht?
Katharina Holzmann: Doch voll! Am Anfang haben wir die Wochenenden
durchgearbeitet, nebenbei studiert, Sascha hat Vollzeit gearbeitet. Jetzt
ist die Situation anders, wir haben die letzten zehn Jahre unseres
Berufslebens mit dem Wetter verbracht und irgendwie auch geopfert.
Natürlich wollen wir das weitermachen, doch die Krise packt uns auch.
Sascha Ehlert: Corona hat uns schon existenziell bedroht, aber wir hatten
genug kulturelles Kapital, um das zu überstehen. Wäre das drei Jahre vorher
passiert, hätte uns das gekillt, und mich in die Privatinsolvenz getrieben.
Obwohl wir heute wachsen, Anzeigen und Verkäufe besser laufen, stagnieren
wir, weil alles so teuer geworden ist.
Katharina Holzmann: Wir wirken natürlich erfolgreich, groß und glänzend,
aber dahinter stecken sehr geringe Löhne und sehr viel Arbeit.
[4][Allen unabhängigen Magazinen] geht es da ähnlich. Was könnte allen
helfen?
Katharina Holzmann: In Österreich und Schweiz gibt es Förderungen für
unabhängige Verlage. Ich frage mich, warum Deutschland, das sich immer so
mit seiner Kultur schmückt, nicht mal aktiv wird. Ich halte das wirklich
für eine Unverschämtheit.
Aber ist man noch völlig unabhängig, wenn man sie auf staatliche Gelder
verlässt?
Katharina Holzmann: Früher hätte ich staatliche Förderung aus
idealistischen Gründen abgelehnt, aber heute seh’ ich das anders,
vielleicht realistischer. Ich will halt nicht, bis ich 50 bin, von 1.000
Euro im Monat leben.
Sascha Ehlert: Die Alternative wäre wohl, das Magazin englischsprachig
auszurichten, um sich einen internationalen Nischenmarkt zu erschließen.
Oder wie Lifestyle-Magazine Cover an Modelabels zu verkaufen. Aber anstatt
von denen, wäre ich lieber abhängig vom Staat. Dabei ist auch das natürlich
eine potenziell gruselige Vorstellung. Unter der Ampel wäre es vielleicht
noch okay, aber stellen wir uns vor, die AfD wird Teil einer konservativen
Koalition und übernimmt das Kultusministerium. Aber trotz aller Bedenken,
sehe ich solche Förderungen gerade als einzige Lösung, um eine diverse
Magazinlandschaft zu retten.
17 Sep 2023
## LINKS
[1] https://wetter-magazin.com/
[2] /Debuetalbum-des-Rappers-Symba/!5914551
[3] /Aus-fuer-Musikmagazin-Spex/!5691041
[4] /Das-Missy-Magazine-ueber-die-Krise/!5952679
## AUTOREN
Carolina Schwarz
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Magazin
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