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# taz.de -- Aus für Musikmagazin „Spex“: Leise Trauer
> Wehmütiger Abschluss: Das legendäre Musikmagain „Spex“ muss den Betrieb
> einstellen. Gänzlich überraschend kommt das in der Coronakrise nicht.
Bild: „Spex“: Auf Papier schon länger nur noch in der Bücherei erhältlich
Das Pop-Magazin Spex war neben allem Diskurs auch für seine
Begeisterungsfähigkeit berühmt. Autor*innen und Gründer*innen wie
Clara Drechsler und Diedrich Diederichsen konnten bei Bedarf Hunderte
warmer Worte voller Hingebung zaubern. [1][Die derzeitige Hauptseite des
(mittlerweile digitalen) Organs] wird unterdessen von der nüchternen
Sprache der Marktwirtschaft beherrscht: „[…] leider hat die Coronakrise die
Spex in voller Härte getroffen. Deshalb können wir aktuell und bis auf
weiteres den bisherigen Betrieb in der Form nicht aufrechterhalten …“,
grüßt der Piranha Verlag – und nicht die Redaktion – unerwartet seit dies…
Wochenende per Pop-up. Weiter heißt es da: „Deshalb müssen wir den
drastischen Schritt gehen und den Betrieb der Spex einstellen, bevor sie
die Existenz des gesamten Verlages gefährdet hätte.“ Das Ende?
Besinnen wir uns noch einmal zurück: Ende 2018 verabschiedete man sich nach
39 Jahren vom Printformat. Damals meldete sich jede*r zu Wort, der in
irgendeiner Weise in den knapp vier Jahrzehnten beeinflusst, inspiriert
oder auch vergrämt worden war. Auch [2][in der taz betrauerten etwa die
Missy-Magazin-Mitgründerin Sonja Eismann oder Katja Lucker vom Musicboard
Berlin] die Einstellung der Printausgabe. Etliche kluge Köpfe tauschten
sich darüber aus, wie es dazu kommen konnte. Im Winter 2018 wurde für viele
Akteur*innen und Leser*innen der schleichende erste Tod der alten
Musikwelt (und damit auch des Pop-Journalismus) final offensichtlich.
Noch immer ist die Frage nach dem Anfang vom Ende nicht geklärt: War es
Ende der Neunziger, als sich viele Plattenfirmen eingestehen mussten, dass
durch gesättigte Märkte und Napster die Verkaufserlöse sowie
Marketingbudgets wegbröckelten? Den stets von Anzeigen abhängigen
Pop-Journalismus traf dies besonders hart. Oder war es doch zehn Jahre
später, als Blogs, Social Media und andere Gratisportale die
Gatekeeper-Rolle der Magazine übernahmen und nun eine neue Art von
Lackmustest darstellten?
Wer oder was „hot“ war, entschieden plötzlich kleine Grüppchen und
Bewegungen schlicht selbst. Auch die Feuilletons der Tageszeitungen hatten
sich verändert: Standen sie in den Anfangstagen der Spex noch als
konservativ-dogmatisch-hochkultureller Feind da, öffneten sie sich für
Experimente und randständigen Pop, übernahmen queer-feministische oder
postkoloniale Diskurse – dies stets tagesaktuell und nicht bloß einmal im
Monat.
## Es ging grad aufwärts
Nicht wenige Kommentator*innen verwiesen darauf, dass das Ende der
Spex auch mit dem Verlagshaus Piranha Media GmbH des findigen
Geschäftsmanns Alexander Lacher zu tun hatte. Lacher, der ebenso Verleger
für weitere geschätzte Magazine (Groove, Juice und Riddim) ist, hatte sie
2000 gekauft, als es finanziell übel aussah.
Diese Veräußerung des kulturellen Kapitals – Lacher gibt noch das
Burger-King-Advertorial-Heftchen „King“ raus – haben viele Begleiter*innen
der ersten zwanzig Jahre nie überwunden, den Standortwechsel von Köln nach
Berlin noch weniger. Trotz dessen schien die Spex seit der Umstellung auf
den Onlinebetrieb gefestigter denn je: „Es lief eigentlich gut, die Zahlen
waren positiv“, erklärt Dennis Pohl, „wir verzeichneten mehr und mehr
Abos.“ Pohl war seit Februar 2019 Chefredakteur, hatte mit seinem Team
erheblichen Anteil am Erfolg des Onlineservice, dem viele ein jähes Ende
prophezeit hatten. Stattdessen war das neue Abo-Modell mit gerade einmal 24
Euro pro Jahr durchaus angenommen worden.
Nun der Schock für alle Außenstehenden. Für Dennis Pohl war dies nicht die
große Überraschung: „Wir wussten seit Ende Mai Bescheid, dass dieser
Schritt kommen würde“, schon vorher habe es Anzeichen gegeben. Die
Redaktion war eh in Kurzarbeit gesetzt worden, Artikel an freie
Mitarbeiter*innen wurden nicht mehr vergeben, um die Kosten zu senken.
Während der Verlag indes auf einen Neustart hofft, stünde die gerade
gekündigte Redaktion der Spex-Geschichte „in dieser Form nicht bereit“, so
Pohl. Damit könnte der Titel des (womöglich) letzten Beitrags aus der Feder
des begnadeten Kristoffer Cornils kaum passender lauten: „[3][Tod und
Spiele]“. Doch könnte selbst dieser zweite Tod nicht endgültig sein; es
werden Stimmen laut, die einen Verkauf der Marke fordern und auf einen
Neustart bauen. Bis dahin darf man leise trauern.
22 Jun 2020
## LINKS
[1] https://spex.de/
[2] /Ende-des-Berliner-Musikmagazins/!5542913
[3] https://spex.de/tod-und-spiele/
## AUTOREN
Lars Fleischmann
## TAGS
Medienkrise
spex
Journalismus
Magazin
Pop-Literatur
Gender
Print
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