Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Polizeiruf 110: „Little Boxes“: Ein bisschen Gesellschaftssatire
> Ein Mord am Institut für Postcolonial Studies löst eine Grundsatzdebatte
> aus. Der Krimi spielt mit überzeichneten Figuren – was teilweise gelingt.
Bild: Kommissarin Cris Blohm beobachtet ihren Kollegen Nebenraum Fnan Berhe bei…
Der Titel des [1][Münchner „Polizeirufs“] führt zu einem Trugschluss. Denn
„Little Boxes“ passt ganz und gar nicht in irgendeine Box des klassischen
Sonntagskrimis. Wer sich auf nervenaufreibende Spannung, unlösbare
Verstrickungen und am Ende einen sprühenden Geistesblitz der Ermittelnden
freut, wird hier enttäuscht.
Trotzdem ist die Analogie zum Song der US-amerikanischen Aktivistin Malvina
Reynolds aus den 60ern klug gewählt. In ihrem Lied fungieren die „Little
Boxes“ als satirische Metapher für vorgefertigte Häuser in den Vorstädten.
Im neuen Polizeiruf sind damit die festgefahrenen Haltungen der Personen
gemeint.
Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter am [2][Institut für Postcolonial
Studies] wird tot aufgefunden. Auf seinem Rücken steht in blutroter Farbe
„Rapist“. Es ist der erste Fall für Kommissarin Cris Blohm (Johanna
Wokalek). Sie führt ihre Kollegen Dennis Eden (Stephan Zinner) und Otto
Ikwuakwu (Bless Amada) ins Universitätsmilieu.
Schnell merken sie, dass sie hier nicht willkommen sind, sie stoßen auf
Schweigen und hämische Zurufe. Die Ermittlungen gehen nur schleppend voran.
Häppchenweise werden neue Erkenntnisse serviert: Tatzeit, Todesursache,
Tatverdächtige. Doch der Mord wird zweitrangig, im Fokus stehen der
Vergewaltigungsvorwurf und Grundsatzdiskussionen über Rassismus und
Sexismus.
## Starre Standpunkte und scheiternde Kommunikation
Blohm, Eden, Ikwuakwu sowie die Studierenden und Lehrenden – sie alle
verkörpern die unterschiedlichsten Positionen in diesen Diskussionen. Ihre
Haltungen prallen kompromisslos aufeinander. Die Schauspieler:innen
setzen diese überzeichneten Figuren überzeugend um: Etwa Lise Risom Olsen
als Unidozentin, die sich als „Professex“ nicht der binären
Geschlechterordnung unterordnen möchte. Oder Stephan Zinner als
gutbürgerlicher Kommissar Eden, der mit den intellektuellen Sexismus- und
Rassismusdiskussionen wenig anfangen kann und das Ganze auf
Stammtischniveau bringt.
Der Plot lebt von der überspitzten Darstellung starrer Standpunkte und
scheiternder Kommunikation. Zwischen Aussagen wie „Ehrgeiz ist nicht
unbedingt eine attraktive Eigenschaft für eine Frau, vor allem für eine
gutaussehende“, „Es ist grundsätzlich immer Vorsicht geboten, wenn ein
Hetero-cis-Mann einen Raum betritt“ oder „Is ois oiwei gleich Rassismus?“
gibt es keinen gemeinsamen Nenner. Durch den ironischen Ton wirken die
Positionen bizarr. Genau da macht dieser Krimi vieles richtig: Er
provoziert. Als Zuschauer:in fühlt man sich ertappt in den eigenen
Vorurteilen, egal in welcher Box man sitzt.
Doch so gut man sich auch unterhalten fühlt, an einem Punkt scheitert die
Ironie. Denn all jene mit liberalen Haltungen kommen durchweg schlecht weg.
Die Studierenden und Lehrenden der Postcolonial Studies wirken befremdlich,
fast schon bekloppt. Alle anderen werden humoristisch normalisiert, in die
Kommissar:innen kann man sich emotional hineinversetzen.
Doch zum Glück gibt es genug, was davon ablenkt: die Musik von Dolly Parton
über Paul McCartney bis Michael Jackson. Oder die [3][schauspielerische
Leistung von Wokalek], die mit ihrer humorvollen Art der Rolle als
Hauptkommissarin mehr als gerecht wird. Die szenische Aufbereitung punktet
mit langen Fernaufnahmen. Und schlussendlich schafft auch der Inhalt eines
zweifellos: Er rüttelt auf, er ist unangenehm. Und er beweist einmal mehr:
Nur wer zuhört, kann verstehen.
17 Sep 2023
## LINKS
[1] /Polizeiruf-110-aus-Muenchen/!5852006
[2] /Postcolonial-Studies-und-Herrschaft/!5691524
[3] /Verfilmung-von-Die-Paepstin/!5154017
## AUTOREN
Franziska Mayr
## TAGS
Polizeiruf 110
ARD
TV-Krimi
Satire
Wochenendkrimi
Netflix
Spielfilm
Polizeiruf 110
Wochenendkrimi
## ARTIKEL ZUM THEMA
Satire-Serie „The Franchise“ auf Sky: Gelungene Selbstverarsche
Mit messerscharfen Dialogen und brillantem Cast entlarvt „The Franchise“
die absurden Mechanismen der Filmwelt. Ist es die lustigste Serie des
Jahres?
Neuer Rostock-„Polizeiruf“: Nächtlicher Anruf, neue Wendung
Ein deutscher Fernseh-Krimi, der eine Trigger-Warnung verdient hat: Das
müssen sich die Beteiligten erstmal erarbeiten. Und das machen sie sehr
gut!
Serie „Bodies“ auf Netflix: Und jahrzehntlich grüßt die Leiche
Die Netflix-Serie „Bodies“ nutzt tote Körper als Bindeglied zwischen
verschiedenen Zeitebenen. Das ist überzeugend und packend inszeniert.
Film „Sophia, der Tod und ich“: Märchen vom Aufschub
Charly Hübner hat den Roman von Thees Uhlmann in einer liebenswerten
Komödie verfilmt. Sie handelt vom Abschiednehmen.
„Polizeiruf 110“ aus Rostock: Amoklauf als Kopfgeburt
Im ARD-Sonntagskrimi aus dem Jahr 2021 werden Ostdeutsche vor allem als
willenlose Opfer dargestellt. Der „Polizeiruf“ steckt mitten im Diskurs.
„Polizeiruf 110“-Kommissarin tritt ab: Am Ende fährt die Story ins Dunkle
Beim Finale des "Polizeiruf 110"-Teams um Schauspielerin Verena Altenberger
driftet das Drehbuch gehörig ab. Schade ist es dennoch um das Team.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.