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# taz.de -- Aktivist*innen im Aufmerksamkeitstief: Der liebe Teil der Klimabewe…
> Zweimal im Jahr Klimastreik und ab und zu eine Talkshow, war's das?
> Fridays for Future müssen sich auch mit sich selbst beschäftigen. Oder
> nicht?
Bild: Lautstarke Aktivist:innen 2019 in Berlin
Hamburg taz | Die offizielle Antwort auf die Frage „Wie geht es Fridays for
Future?“ lautet, dass das die falsche Frage sei. Obwohl die Bewegung im
Aufmerksamkeitstief steckt, wollen die Aktivist*innen von FFF ungern in
der Wunde bohren. Ende August [1][wurde die von der Schwedin Greta Thunberg
initiierte Bewegung fünf Jahre alt]. Zu diesem Anlass fragten viele Medien:
Ist die Bewegung überhaupt noch aktiv? Warum hört man so wenig von ihr? Und
wo sind die Massen, die in den letzten Jahren mit den Schüler*innen auf
die Straße gingen?
Zur Wahrheit gehört, dass es darauf nicht die eine einfache Antwort gibt.
Ja, die Bewegung ist noch aktiv. Es gibt [2][die international
koordinierten Streiks], es gibt Demos in vielen deutschen Städten, und es
gibt nach wie vor viele Ortsgruppen und regionale Projekte. Was es aber
auch gibt: rapide sinkende Teilnehmerzahlen, Ortsgruppen, die sich
auflösen, und Unzufriedenheit darüber, welche politischen Prioritäten
Fridays for Future setzt. Und wie über diese entschieden wird.
„Viele Aktivist*innen sind frustriert“, sagt eine*r, der*die sich
selbst nicht mehr als Teil von Fridays for Future versteht, aber noch zu
FFF-Aktionen geht und gut vernetzt ist. Seinen*ihren Namen möchte
er*sie nicht in der Zeitung lesen, er*sie soll hier Fill Schmidt heißen.
Es gebe verschiedene Strömungen innerhalb der Bewegung, sagt Schmidt.
Er*sie selbst komme aus dem linken Teil von FFF. Und, so Schmidt: „Der
linke Teil hat Machtkämpfe verloren.“
Zum Beispiel bei der Frage, welchen Schwerpunkt die Fridays setzen. Geben
sie sich damit zufrieden, ein bis zwei Großdemonstrationen im Jahr zu
organisieren und ansonsten in Talkshows mit Politiker*innen und
FDP-Wähler*innen für Klimaschutz zu streiten? „Man kann sich entscheiden,
die nette Klimabewegung von nebenan zu sein, die mit Oma und Opa auf die
Straße geht“, sagt Schmidt. „Oder man versucht, die Machtfrage zu stellen.…
## Störfaktor Letzte Generation?
Viele Fridays-Aktivist*innen seien der Meinung, die Letzte Generation habe
die Sympathien für die Klimabewegung verspielt, sagt Schmidt. Tatsächlich
hat sich [3][laut Umfragen die Zustimmung der Bevölkerung zur Klimabewegung
im vergangenen Jahr halbiert]. Seitdem bröckelt auch die Rückendeckung der
Letzten Generation innerhalb der Klimabewegung.
„Gewisse Aktionen“ könnten Bürger*innen und politische
Entscheidungsträger*innen im Zweifel eher abschrecken, sagte
FFF-Frontfrau Luisa Neubauer dem Newsportal Watson im August. Sie
distanzierte sich von der Auffassung, [4][radikalere Aktionen] würden zu
radikalerem Klimaschutz führen. Schmidt sagt: „Viele Aktivist*innen bei
Fridays teilen die Analyse: Wir müssen der liebe Teil der Klimabewegung
sein, um die Sympathien der Bevölkerung zurückzugewinnen.“ Zwar würden das
nicht alle so sehen, aber die Strömung habe sich durchgesetzt – auch weil
Entscheidungsprozesse nicht so demokratisch abliefen, wie es oft
dargestellt werde.
Formal haben die Ortsgruppen bei Fridays for Future die höchste
Entscheidungskraft. Jeden Sonntag schicken sie eine*n Delegierte*n in
eine Telefonkonferenz, kurz: die Deli-TK. Dort werden Anträge vorgestellt,
die die Delegierten in ihre Gruppen zurücktragen, sodass diese dann
innerhalb einer Frist per Onlinetool abstimmen können. Ein guter,
basisdemokratischer Vorgang eigentlich, für eine große, über ganz
Deutschland verteilte Organisation.
## Ungenutzter Raum für Debatten
De facto hat sich die Deli-TK über die letzten Jahre zu einem rein
verwalterischen Plenum entwickelt, berichten mehrere Aktivist*innen. Dort
würden keine Diskussionen über politische Strategien geführt, sondern es
werde lediglich Organisatorisches abgearbeitet, wie etwa: Wer verschickt
das Mobi-Material? Der Raum für politische Diskussionen und Entscheidungen
fehle, sagt Schmidt. „Fridays agiert nicht wie eine politische
Organisation, sondern eher wie ein Verein oder Naturschutzverband.“ Auch
auf [5][dem Sommerkongress in Lüneburg, wo sich Anfang August 400
Aktivist*innen aus ganz Deutschland trafen], hätten solche Diskussionen
nicht stattgefunden, geschweige denn, dass etwas entschieden worden sei.
Formal habe ja keine Beschlussfähigkeit bestanden – abstimmungsberechtigt
seien ja nur die Delegierten der Ortsgruppen.
„Die Bewegung hat ein Politik- und ein Demokratieproblem“, sagt Schmidt.
Dabei steht Fridays for Future schon lange vor der Frage, wie sie den Druck
aufrechterhalten können. Die Frage „Bringt das überhaupt noch was?“ stellt
sich nicht erst beim 13. Klimastreik. Außerdem ändern sich die
Anforderungen an die Bewegung ständig: Die [6][Pandemie, die
Ampelregierung, der Ukrainekrieg, das alles hat die Bedingungen des
Protests und der Aufmerksamkeitsökonomie verändert]. Zwischendurch mussten
die Klimaschützer*innen immer wieder [7][herbe realpolitische
Rückschläge] einstecken.
Auch die Frage, ob die Bewegung sich radikalisieren soll, ist nicht neu.
Die Ortsgruppen beantworten sie unterschiedlich: Die Frankfurter, Kölner
oder Göttinger rufen eher [8][zu Aktionen des zivilen Ungehorsams] auf und
finden schärfere Töne gegenüber politischen Entscheider*innen als etwa
die Hamburger*innen.
## Ziviler Ungehorsam
Im vergangenen Jahr haben sich sowohl [9][Fridays-Gründerin Greta Thunberg
als auch Luisa Neubauer medienwirksam von der Polizei von Blockaden
wegtragen lassen]. Ein grundlegender Kurswechsel von Fridays for Future
folgte daraus aber nicht. Bei Aktionen des zivilen Ungehorsams oder bei
Aktionen, die Konfrontationen mit der Polizei beinhalten, lautet die
Sprachregelung nach wie vor: Fridays for Future Deutschland beteiligt sich
nicht aktiv, einzelne Aktivist*innen oder Ortsgruppen tun dies
durchaus.
„Natürlich läuft nicht alles immer wie geschmiert“, sagt Pit Terjung, ein
Sprecher der bundesweiten Ebene von FFF. Deshalb laufe derzeit eine
Strukturreform, damit Abläufe transparenter und demokratischer würden. So
sollen künftig alle Mitglieder der Ortsgruppen an der Deli-TK teilnehmen
dürfen. Das Stimmrecht hätten weiterhin aber nur die Delegierten. Hat der
linke Flügel Machtkämpfe verloren, Herr Terjung? „Von Flügelkämpfen würde
ich nicht reden“, sagt der Sprecher. Es sei Konsens, dass FFF
überparteilich bleibe. Zudem sei unumstritten, dass Gerechtigkeit im
Zentrum des Klimaschutzes stehen müsse. „[10][Das Soziale und der
Klimaschutz müssen zusammengedacht werden“], sagt Terjung. So seien die
zentralen Themen der Streiks dieses Mal die Forderung nach einem Klimageld
zur gerechten Verteilung der finanziellen Lasten und die Verschärfung des
Klimaschutzgesetzes.
Einigen, die sich dem linken Flügel von FFF zurechnen oder sich schon ganz
von der Bewegung abgewendet haben, reicht das nicht. Die rheinländische
Anti-Braunkohle-Aktivistin [11][Lakshmi Thevasagayam forderte Ende Juli
wörtlich]: „Die Klimabewegung muss sterben, wenn sie ihren Kampf nicht mit
sozialen Fragen verbindet.“ Die Bewegung habe in Deutschland zu viel Platz
eingenommen, ohne wirklich breite Teile der Gesellschaft mitzunehmen und
sich etwa mit der Gesundheits- oder Flüchtlingsbewegung zu verbinden.
„Lebt Gerechtigkeit vor oder macht Platz“, forderte Thevasagayam – Fridays
for Future Bremen habe es vorgemacht. Die Bremer Ortsgruppe hatte sich
Anfang Juli aufgelöst. Aber wie soll das konkret aussehen, die soziale
Frage ins Zentrum zu stellen – oder die Machtfrage zu stellen? Was genau
will der linke Teil von Fridays for Future? „Viele suchen aktuell Antworten
auf die Frage, wo es hingehen soll und wie wir für mehr Klimagerechtigkeit
einstehen können“, sagt Kaja Schwab, FFF-Aktivistin aus Hannover. Ein
Ansatz, wieder einen Schritt nach vorn zu machen, sei etwa die Kampagne
„Wir fahren zusammen“, derzeit ein Hauptprojekt für viele Ortsgruppen. Die
Idee ist, mit Beschäftigten und Gewerkschaften zusammen einen besseren ÖPNV
zu fordern.
Über die Verbindung der Interessen von Arbeitnehmer*innen und
Klimaschützer*innen könnte die Klimabewegung die eigene Blase
verlassen und ihre gesellschaftliche Basis verbreitern – und gleichzeitig
für die Verkehrswende kämpfen, die Deutschland dringend braucht, um sich
den Pariser Klimazielen zu nähern. Schon im Sommer 2020 und im März 2023
hatten FFF und Verdi gemeinsam gestreikt. Die Beschäftigten des Nahverkehrs
legten den Verkehr in mehreren Bundesländern lahm und lösten durch die
Kooperation mit FFF eine Diskussion über politische Streiks aus. Kaja
Schwab hofft: „Wenn wir daran anknüpfen und das ganze noch mal größer
machen, können wir den Druck erhöhen.“ Dann ließe sich die Machtfrage noch
einmal ganz anders stellen als mit den Klimademonstrationen, meint Schwab.
Ihr persönlich gebe es ein völlig neues Gefühl von Solidarität und
Widerstand, morgens um vier mit Arbeiter*innen am Streikposten an einer
Feuertonne zu stehen. Aber die Klimastreiks blieben trotzdem zentral für
Fridays for Future, betont auch Schwab. Man müsse eben beides verbinden. Ob
die Großdemonstrationen lediglich eines der zentralen Elemente bleiben oder
das zentrale Element der bundesweiten Organisation – über solche Fragen
entscheidet sich wohl, welche Strömung bei Fridays for Future künftig den
Ton angibt. Ob FFF primär der liebe Teil der Klimabewegung sein wollen oder
[12][die Aktivist*innen Schulen und Unis besetzen, Arbeitskämpfe
organisieren] oder gar zu Sachbeschädigungen aufrufen. Offiziell möchte
natürlich kein Fridays sich darauf beschränken, „nett“ zu sein. In der
Realität wird sich die Organisation, wie alle anderen im Politikbetrieb
auch, an ihren Taten messen lassen müssen.
15 Sep 2023
## LINKS
[1] /5-Jahre-Schulstreik-von-Greta-Thunberg/!5954480
[2] /Fuenf-Jahre-globaler-Klimastreik/!5956857
[3] /!s=umfrage++klimabewegung/
[4] /Den-SUVs-die-Ventile-aufdrehen/!5956721
[5] /Sommerkongress-von-Fridays-for-Future/!5953832
[6] /KlimaschuetzerInnen-streiken-weltweit/!5841202
[7] /Nach-dem-Aiwanger-Skandal/!5955309
[8] /Klimaprotest-von-Letzte-Generation/!5933638
[9] /Geldbusse-wegen-Klimaprotest/!5946291
[10] /Kritik-am-Gebaeudeenergiegesetz/!5956526
[11] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174909.klimagerechtigkeit-die-klimabewe…
[12] /Aktivisten-ueber-die-Letzte-Generation/!5926422
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
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