# taz.de -- Spitzenfahrer bei der Spanienrundfahrt: Western-Szenen im Radsport | |
> Remco Evenepoel ist Titelverteidiger bei der Vuelta. Doch die Konkurrenz | |
> ist krass – vor allem im Rennstall von Tour-de-France-Sieger Vingegaard. | |
Bild: Zu Beginn der Vuelta trug noch Remco Evenepoel das begehrte rote Trikot | |
Die dritte Grand Tour des Jahres bietet mal wieder viel Stoff. | |
[1][Vorjahressieger Remco Evenepoel] muss sich aktuell gleich dreier Gegner | |
erwehren – die allesamt für den gleichen Arbeitgeber tätig sind. So eine | |
Konstellation einer gegen drei ist im Radsport sehr selten. Sie erinnert | |
eher an Western-Szenarien, wenn der eine – meist mit Attributen des Guten | |
ausgestattete – Revolverheld sich gegen eine ganze Schar schießwütiger | |
Finsterlinge durchsetzen muss. | |
Die Übermacht-Rolle nimmt Jumbo-Visma ein. Der Rennstall stellt auch den | |
Mann im roten Leadertrikot. Es handelt sich dabei aber nicht um den bereits | |
dreifachen Vuelta-Sieger Primoz Roglic, auch nicht [2][um den doppelten | |
Tour-de-France-Gewinner Jonas Vingegaard], sondern um deren Edelhelfer Sepp | |
Kuss. | |
Der Amerikaner ist auch gewillt, die Führungsposition über das Zeitfahren | |
am Dienstag hinaus zu verteidigen. Er sei zwar nicht so gut in dieser | |
Disziplin wie der aktuelle Weltmeister Evenepoel, Zeitfahrolympiasieger | |
Roglic oder auch Vingegaard, der bei seinem zweiten Tour-de-France-Sieg | |
sehr deutlich das Zeitfahren gewann, schränkte er ein. „Aber ich werde mein | |
Bestes geben. Es gibt keinen Grund, die Führung einfach abzugeben. Die | |
härtesten Etappen kommen ja auch erst noch“, bilanzierte er am ersten | |
Ruhetag der Rundfahrt. | |
Kuss unterstreicht mit seiner Leistung den Wahrheitsgehalt einer eher | |
lässig hingeworfenen Bemerkung, mit der Roglic zu Beginn des Rennens | |
jegliche Spekulation über teaminterne Duelle zwischen ihm und Vingegaard | |
abzubügeln versucht hatte. „Wir wollen als Team diese Vuelta gewinnen, und | |
ob ich das bin oder Jonas oder vielleicht auch Sepp Kuss, der ebenfalls da | |
ist für uns, ist ziemlich egal“, sagte der Slowene. | |
## Blutverlust nach Zusammenprall | |
Aktuell ist Kuss vorn. Und Titelverteidiger Evenepoel darf nicht den | |
Überblick verlieren, welcher Jumbo-Athlet für ihn gerade am gefährlichsten | |
ist. Bis zur Massenflucht auf der 6. Etappe, die Kuss auf den Kurs für Rot | |
brachte, hatte der Belgier die Lage noch gut im Griff. Er wog beim | |
verregneten Teamzeitfahren zum Auftakt von allen Favoriten am besten | |
zwischen Geschwindigkeit und Sicherheit ab. Er holte sich früh einen | |
Bergetappensieg und ließ sich nicht einmal von beträchtlichem Blutverlust | |
nach dem Zusammenprall mit einer Polizistin in Andorra aufhalten. | |
In Hochdopingzeiten [3][führten sich Profis bei Grand Tours noch | |
halbliterweise Eigenblut zu], um mehr Energie zu haben. Jetzt verliert | |
Evenepoel Blut – ist auch wesentlich genaueren Kontrollen aufgrund des | |
Blutpasses unterworfen – und trotzdem ist er weiter mit vorn dabei. Zwar | |
liegt er 2:22 Minuten hinter Kuss. Er behauptet aber sieben Sekunden | |
Vorsprung auf Roglic und deren elf auf Vingegaard. | |
Allerdings verliert er aufgrund der vielen Gegner aus dem gleichen Lager | |
mitunter die Übersicht. Auf der 8. Etappe machte er im Finale brutal Tempo, | |
ließ dann Roglic aber knapp an sich vorbei. „Ich hatte nicht gewusst, dass | |
vor uns gar keine Ausreißer mehr waren und es um den Etappensieg ging“, | |
erklärte er später. | |
## Sturm sorgt für mangelnde Sicherheit | |
Tags darauf sah er an der durch Verkehrshütchen markierten Zeitnahmestelle | |
etwa zwei Kilometer vor dem Ziel auch nicht sehr souverän aus. Roglic riss | |
eine kleine Lücke, Vingegaard allerdings fiel noch hinter Evenepoel zurück. | |
Aus unerfindlichen Gründen wurde alle drei mit der gleichen Zeit gewertet. | |
Die unkonventionelle Zeitnahme weit vor dem eigentlichen Ziel war dem | |
Sturmtief „Dana“ geschuldet, das weite Teile Spaniens überflutete und für | |
Schlamm im Zielbereich sorgte. | |
Nach harter Kritik einiger Fahrer wegen mangelnder Sicherheit der | |
Rennstrecke bei vorhergehenden Etappen wollten es die Vuelta-Bosse nun | |
besser machen. Weil es dann doch nicht regnete und die Favoriten ausnehmend | |
gemütlich zum Ziel hochschlichen, wirkte die Entscheidung aber etwas | |
unglücklich. | |
Nicht aufhalten von Dana-Gefahr und Zielmarkierungskorrekturen ließ sich | |
Lennard Kämna. Der Bora-hansgrohe-Profi holte sich als Solist den | |
Etappensieg. Er ist damit beim Giro, bei der Tour de France und bei der | |
Vuelta erfolgreich gewesen. | |
Im Klassement läuft es wohl darauf hinaus, dass entweder Evenepoel seine | |
zweite Spanienrundfahrt gewinnt, Roglic seine vierte oder Vingegaard | |
zeigt, dass er nicht nur Tour de France kann. Vielleicht gewinnt auch Kuss | |
und unterstreicht damit ganz furios die Jumbo-Dominanz. Der Rennstall hätte | |
nicht nur alle drei Grand Tours in diesem Jahr gewonnen, sondern dieses | |
Kunststück noch mit drei verschiedenen Fahrern vollführt. Sie wären dann so | |
etwas wie das Real-Bayern-City des Radsports. Und nur einer kann das | |
verhindern: Ex-Fußballer Remco Evenepoel. | |
5 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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