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# taz.de -- Finale der Tour de France: Scharfe Sägezähne
> Ein großes Duell geht zu Ende. Mit einer Strategie der Zermürbung hat es
> das Team von Sieger Jonas Vingegaard geschafft, Tadej Pogacar zu brechen.
Bild: Duell der Dominatoren: Jonas Vingegaard (m.) vor Tadej Pogacar (r.)
„Endlich bin ich wieder ich“, sagte der Slowene strahlend. Im Ziel riss er
die Arme in einer Freude hoch wie noch selten gesehen in seiner an Siegen
reichen Karriere. Denn dieser Etappensieg am vorletzten Tag der Tour de
France kam nach zwei schlimmen Niederlagen. Beim Zeitfahren im Alpenvorland
verlor er anderthalb Minuten auf Vingegaard. Bei der Bergetappe danach fast
sechs Minuten.
Pogacar, den auch sein Rivale Vingegaard voller Respekt den „besten Fahrer
der Gegenwart“ nennt, war geschlagen. „Niemals werde ich die traurigen und
entsetzten Augen vergessen, mit denen mich Marc Soler am Col de la Loze
angeguckt hat, wenn er sich umgeblickt hat“, erzählte Pogacar in den
Vogesen. Und man konnte sich gut diesen Blick ausmalen. Denn Soler,
Teamkollege von Pogacar, schleppte diesen regelrecht über den Berg, als dem
Slowenen alle Kraft aus den Beinen gewichen war. Pogacar war gebrochen,
physisch kraftlos, aber auch mental erschöpft.
Das geschah auf der 17. Etappe. Drei Tage später war Pogacar zumindest in
Umrissen wieder der Alte. Er spielte ein bisschen mit Vingegaard, ließ dann
auch noch ein paar Verfolger herankommen, weil sich unter ihnen sein
anderer Helfer Adam Yates befand. Und dann spielte er seine große Stärke,
die Explosivität, aus.
Geholfen hat ihm das aber alles nichts. In Paris auf die Champs-Elysees bog
er am Sonntag nur im Weißen Trikot des besten Jungprofis ein. In Gelb aber,
dem Trikot des Besten im Gesamtklassement, fuhr Jonas Vingegaard auf den
prächtigen Boulevard. „Mein letzter Tag in Weiß. Ich werde erwachsen“,
scherzte Pogacar noch am Wochenende. Im nächsten Jahr ist der zweifache
Toursieger nicht mehr berechtigt für die Kategorie des Weißen Trikots, das
vier Jahre lang seine Standardbekleidung bei dieser Rundfahrt war. Dann
muss er ernst machen.
Obwohl: „Er war schon immer der Clown der Familie. Immer, wenn es
Spannungen gab unter den Geschwistern oder mit uns, war es Tadej, der
versucht hat, dies mit einem Scherz aufzulösen und für eine gute Atmosphäre
zu sorgen. Ich glaube, er wird bis an sein Lebensende das verspielte Kind
bleiben“, sagte Pogacars Mutter Marjeta am Rande der Tour der französischen
Tageszeitung Aujourd’hui.
## „Irgendwann bricht das Material“
Das Verspielte, diese kindliche Freude am Radsport, die übertrug Pogacar
auch [1][bei dieser Tour de France] auf die Zuschauer. Er war es, der das
Rennen belebte, der der mächtigen Phalanx des Jumbo– Visma-Rennstalls die
Stirn bot. Der dabei aber auch in die gut konstruierte Falle der
Niederländer ging. Denn die wollten ihn brechen.
[2][Jumbo–Vismas Teamchef Richard Plugge] verglich dies mit der Arbeit im
Sägewerk. „Du sägst und sägst. Am Anfang geschieht noch nicht viel, aber
irgendwann bricht das Material“, erläuterte er gegenüber der taz das
Vorhaben seiner Männer. Acht Profis waren an der Säge. Im Flachen waren vor
allem Nathan van Hooydonck, Dylan van Baarle und Christophe Laporte die
Sägezähne, die sich ins Fleisch von Pogacar fräsen sollten.
In den Bergen übernahmen dann Tiesj Benoot, Wilco Kelderman, Wout van Aert
und Sepp Kuss diesen Job, bevor schließlich Vingegaard die letzten Schnitte
übernahm. Geführt wurde die Säge vom Mannschaftswagen aus. 15 Tage wurde
gesägt, ohne dass etwas passierte. Dann gewann Vingegaard in überragender
Manier das Zeitfahren, nahm Pogacar mehr als anderthalb Minuten ab. Und
tags darauf spielten sich am Col de la Loze die Szenen mit den traurigen
Augen Marc Solers ab.
Ein guter, ein brachialer Teamplan brachte den unumstritten talentiertesten
Radprofi der Gegenwart zu Fall. Und der, der den schwersten Teil dieses
Planes umsetzte, war ein junger Bursche aus Dänemark, den am Anfang noch
nicht einmal die Frau ernst nahm, die heute seine Ehefrau ist. „Als wir uns
kennenlernten, war er so still und scheu, dass ich ihn für 14 hielt“,
erzählte Trine Hansen einmal. Mit einem 14-Jährigen wollte sie nichts
anfangen.
Vingegaard, damals immerhin um die 20, ließ aber nicht locker. Und diese
Entschlossenheit, Ziele zu erreichen, selbst wenn sie fern liegen mögen,
zeichnet ihn auch als Rennfahrer aus. „Er ist im Laufe der Jahre bei uns
sehr gewachsen. Anfangs war er sehr ruhig, sehr introvertiert“, erzählte
der sportliche Leiter Artur van Dongen der taz. „Ich hielt auch dem Druck
nicht gut stand, konnte nicht immer die Leistung abrufen, die ich
eigentlich dauf hatte“, erinnerte sich Vingegaard selbst.
Inzwischen hält er nicht nur dem Druck stand. Er übt ihn auch aus. Und wie
er selbst versicherte, nimmt er dazu keine pharmazeutischen Mittel zu
Hilfe. „Ich nehme nichts, was ich nicht auch meiner Tochter geben würde“,
versicherte er. Rennstallchef Plugge erzählte der Sportzeitschrift l’Equipe
sogar, dass Vingegaard nicht einmal Ketone nimmt, jene
Nahrungsergänzungsmittel, die manch andere in der Reihe der Jumbo-Sägezähne
so superscharf machen.
23 Jul 2023
## LINKS
[1] https://www.letour.fr/de/landing-page
[2] https://www.teamjumbovisma.com/
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
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