Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zahl der Arbeitnehmer in Deutschland: Mehr Arbeit als Leute
> Die Babyboomer gehen in den Ruhestand, bald beginnt wohl die Zahl der
> Beschäftigten zu sinken. Was bedeutet das für Wachstum und Wohlstand?
Berlin taz | Seit Jahren steigt die [1][Zahl der Beschäftigten von Rekord
zu Rekord]. Mittlerweile gehen 45,7 Millionen Menschen einer bezahlten
Arbeit nach. Doch bald wird wohl der Höhepunkt erreicht sein und die Zahl
der Erwerbstätigen abnehmen – weil sehr viele Beschäftigte in Rente gehen.
Was bedeutet das für die langfristige Wirtschaftsentwicklung und den
gesellschaftlichen Wohlstand?
Das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit (IAB) veröffentlichte
unlängst eine weitreichende Untersuchung. Demnach wird die
[2][Einwohnerschaft Deutschlands] bis 2060 um etwa 12 Millionen auf 72
Millionen Leute sinken und die Zahl der Erwerbspersonen auf gut 40
Millionen zurückgehen – ein Minus von etwa 4 Millionen Arbeitenden im
Vergleich zu heute. Ein wesentlicher Grund liegt darin, dass sich die
[3][Babyboomer] bald in den Ruhestand verabschieden. Wer 1960 geboren
wurde, ist nun 63 Jahre alt und wird die bezahlte Tätigkeit demnächst
deutlich reduzieren oder ganz einstellen. Das gilt für Millionen Angehörige
der geburtenstarken Jahrgänge.
Hinzu kommen laut IAB weitere Entwicklungen: So könnte die Zuwanderung
unter dem Strich abnehmen. Das liegt zum Beispiel an der steigenden
Lebensqualität in Ländern wie Rumänien. Damit vermindert sich der Druck,
das Land zu verlassen. Die Geburtenrate in Deutschland könnte der
Projektion zufolge zwar steigen, die Erwerbsbeteiligung von Frauen und
Älteren zunehmen, doch diese Effekte würden den Verlust an Arbeitskräften
nicht ausgleichen. Außerdem mag sich die Einstellung zur Arbeit ändern.
Viele Bürgerinnen und Bürger wollen nicht mehr 40 oder 50 Stunden pro Woche
schuften, sondern eher 30.
Solche Prozesse führen dazu, „dass die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt
sowie in Relation zur Gesamtbevölkerung schrumpft“, sagt Dominik Groll vom
Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Die Konsequenz formuliert der
Ökonom so: „Das Bruttoinlandsprodukt und auch die Wirtschaftsleistung pro
Kopf werden daher in den kommenden Jahren langsamer wachsen.“
## Nicht alle Ökonomen sehen einen Abschwung
Das ist keine Einzelmeinung, andere Institute für Wirtschaftsforschung
teilen diese Einschätzung. Während das potenziell mögliche BIP-Wachstum im
vergangenen Jahrzehnt zwischen 1 und 1,5 Prozent jährlich lag, könnte es
bis 2027 auf 0,5 Prozent sinken, heißt es in der jüngsten
Gemeinschaftsdiagnose des IfW und seiner Partner. Als wesentliche Ursache
nennen die Forscherinnen und Forscher die Abnahme des Arbeitsvolumens,
worin sich auch die niedrigere Zahl der Beschäftigten niederschlägt.
Kombiniert man diese Aussage mit der IAB-Prognose bis 2060, dürfte
Deutschland eine längere Phase geringeren Wachstums bevorstehen.
Wohlgemerkt würde die hiesige Wirtschaft selbst dann noch Zuwachs erzielen,
aber nicht mehr so viel wie bisher.
Doch es gibt auch Ökonomen, die die künftige Entwicklung optimistischer
beschreiben. Einer von ihnen ist Peter Bofinger, Wirtschaftsprofessor der
Universität Würzburg und ehemaliger Wirtschaftsweiser, der die
Bundesregierung beriet. Er stellt die Thesen der abnehmenden Bevölkerungs-
und Arbeitskräftezahl in Frage: „Entgegen vielem Prognosen der vergangenen
20 Jahre sind die Zahlen der Einwohner und Beschäftigten in Deutschland
permanent gestiegen. Daran sollte man denken, wenn für die Zukunft
Schrumpfungen vorausgesagt werden.“
Außerdem hängt die zukünftige Entwicklung stark vom technischen Fortschritt
ab – der eigentlichen Quelle zunehmenden Wohlstands. Wenn bessere Maschinen
und neue Produktionsverfahren die menschliche Arbeit effektiver machen,
können auch weniger Menschen in kürzerer Zeit mehr Produkte herstellen.
„Ein entscheidender Punkt ist die Produktivität“, sagt Bofinger deshalb.
„Ich bin optimistisch, dass die [4][künstliche Intelligenz] erhebliche
Leistungssteigerungen ermöglicht.“ IfW-Forscher Groll sieht das ähnlich.
Seine skeptische These vom abnehmenden BIP schränkt er ein: „Verhindern
könnte dies nur noch eine spürbare Beschleunigung des technischen
Fortschritts.“
## Verteilungskonflikte könnten zunehmen
Augenblicklich lahmt der Produktivitätszuwachs allerdings. Die
Gemeinschaftsdiagnose beziffert ihn mit deutlich unter 1 Prozent pro Jahr –
zu wenig, um den Arbeitskräfteschwund auszugleichen. Da müsste deutlich
mehr passieren. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister
Robert Habeck (Grüne) nähren diese Hoffnung, wenn sie auf die hohen
privaten und staatlichen Investitionen verweisen, die augenblicklich
getätigt werden und in den kommenden Jahrzehnten nötig sind. Das könnte
funktionieren: Die Digitalisierung kann die Produktivität der Arbeit und
grüner Strom die Produktivität der Energie erhöhen.
Was aber, wenn das nicht im gewünschten Maße klappt? „Wächst die Wirtschaft
langsamer, dürften die Verteilungskonflikte innerhalb der Gesellschaft
zunehmen“, sagt Ökonom Groll. Der Zusammenhang ist dieser: Liegt der
BIP-Zuwachs nur bei 0,5 Prozent pro Jahr, kommen weniger Steuern und
Sozialabgaben herein als bei 1 Prozent Plus. Die Gewinne der Firmen und
Lohnerhöhungen fallen ebenfalls bescheidender aus. Viele Interessengruppen
müssen mit ihren Wünschen etwas kürzertreten. Das macht öffentliche
Debatten und Kompromisse schwieriger, als wenn Überfluss herrscht.
Selbst das muss aber keine Katastrophe sein. Grundsätzlich ist die deutsche
Gesellschaft so reich, dass sie Investitionen und Konsum teilweise auch aus
der Substanz finanzieren kann. Nach Angaben der Bundesbank beträgt das
Nettovermögen der Privathaushalte etwa 13 Billionen Euro – 13.000
Milliarden Euro. Eine moderat höhere Besteuerung dieses Schatzes ist
möglich, wenngleich umstritten.
Andere, ebenfalls kontroverse Wege: höhere Verschuldung oder Akzeptieren
der Wachstumsschwäche. Mit Letzterem käme die deutsche Gesellschaft einem
Stadium nahe, das manche Leute ohnehin für unausweichlich halten: Abschied
vom Dogma des Wirtschaftswachstums. Zumindest aus ökologischer Sicht hätte
diese Variante einige Vorteile.
31 Aug 2023
## LINKS
[1] /Arbeitsmarkt-in-Deutschland/!5903568
[2] /Fluchtmigration-nach-Deutschland/!5899434
[3] /Babyboomer/!t5033724
[4] /kuenstliche-Intelligenz/!t5025529
## AUTOREN
Hannes Koch
## TAGS
Arbeitsmarkt
Arbeitslosigkeit
Beschäftigung
Wachstum
Babyboomer
GNS
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Armut
Bürgergeld
Arbeitslosigkeit
DIW
Schwerpunkt Flucht
## ARTIKEL ZUM THEMA
Berufsbildung in Hamburg: Mehr Hilfe für die Jugend ohne Plan
Hamburg will seine Jugendberufsagentur neu aufstellen. Berater sollen die
Jugendlichen nun aufsuchen und auch bei anderen Lebenssorgen helfen.
Prognose für Beschäftigte in Deutschland: Rente von weniger als 1.500 Euro
Etwa 9,3 Millionen Menschen in Deutschland werden eine Rente von weniger
als 1.500 Euro im Monat beziehen. Das zeigt eine aktuelle Recherche.
Bürgergeld und Kindergrundsicherung: Vorsicht, vergiftete Erzählungen!
Nur sehr wenige richten sich mit einer Kombi aus Schwarzarbeit und
staatlichen Hilfen ein. Die Hunderttausenden Bedürftigen sollten dafür
nicht in Geiselhaft genommen werden.
Flaute am Arbeitsmarkt: Arbeitslosenzahl steigt im August
Die Konjunkturflaute strahlt zunehmend auf den Arbeitsmarkt. Im August gab
es mehr als 2,6 Millionen Arbeitslose, 148.000 mehr als vor einem Jahr.
DIW-Chef Fratzscher über Subventionen: „Es braucht ein neues Steuersystem“
DIW-Präsident Marcel Fratzscher ist gegen einen Industriestrompreis und
Steuersenkungen für Firmen. Er wünscht sich mehr Mittel gegen Kinderarmut.
Geflüchtete im deutschen Arbeitsmarkt: Sie schaffen das, nach und nach
Mehr als die Hälfte der im Jahr 2015 hierher Geflüchteten hat einen Job,
viele davon sogar als Fachkraft. Die Einkommen sind aber noch gering.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.