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# taz.de -- Prozess gegen die Letzte Generation: Schläge, die keine waren
> Zwei Vertreterinnen der Letzten Generation wurden am Mittwoch
> freigesprochen. Bei der Aktion in der Hamburger Kunsthalle waren sie
> nicht gewalttätig.
Bild: Brennende Wälder: Abgewandeltes Kunstwerk der Letzten Generation auf dem…
Tränen sind keine juristische Kategorie, von daher ist es in einem
Gerichtssaal eher unerheblich, ob eine Journalistin weint oder ob die
Wimperntusche verlaufen ist. Aber sie sind interessant in einem Prozess,
den die Angeklagten als Gelegenheit verstehen, die Dringlichkeit ihres
Anliegens verständlich zu machen. Am Mittwoch standen Eika J. und Gertrudis
K. vor dem Hamburger Amtsgericht, weil sie als [1][Mitglieder der „Letzten
Generation“] versucht haben, ein Gemälde in der Hamburger Kunsthalle zu
überkleben.
Das Gemälde war „Wanderer über dem Nebelmeer“ von Caspar David Friedrich
und laut Eika J. hat der Direktor der Kunsthalle im Nachhinein erklärt,
dass er die Bildauswahl der Letzten Generation schlüssig fand. Die wollte
es mit einem Poster überkleben, auf dem der Sächsische Wald nicht mehr im
Nebel liegt, sondern brennt.
Die Pressebank ist dicht gefüllt an diesem Mittwoch, weil [2][Prozesse
gegen die „Letzte Generation“] immer Leserschaft garantieren, aber dieser
ist besonders interessant, weil die Anklage Eika J. und Gertrudis K. neben
versuchter gemeinschädlicher Sachbeschädigung auch gefährliche
Körperverletzung vorwerfen. Sie sollen mit Fäusten auf den Wachmann Farid
S., der sich schützend vor das Gemälde stellte, eingeschlagen haben.
Das wäre für eine Aktion der Letzten Generation, die sich zivilen
Ungehorsam und Gewaltfreiheit gleichermaßen auf die Fahnen geschrieben hat,
verheerend. Kein Wunder also, dass auf der Bank rechts vorne fünf Männer
und Frauen sitzen, die, nach den aufmunternden Gesten Richtung Anklagebank
zu urteilen, ebenfalls zur Letzten Generation gehören.
## Mülltrennung reicht eben nicht
Und kein Wunder, dass Gertrudis K. in ihrer Erklärung zum
Verhandlungsauftakt sagt, dass Gewaltfreiheit die „oberste Maxime“ sei und
dass sie den Wachmann „nicht körperlich angegangen“ hätten. K. ist eine
schmale Frau mit leiser Stimme, 57 Jahre alt und Mutter zweier Kinder. Ihre
Hand mit dem Papier zittert, als sie die Erklärung vorliest.
Es ist tatsächlich im engeren Sinne eine Erklärung, wie sie als Tochter
eines sehr christlichen Elternhauses dazu angehalten worden sei,
„selbstständig zu denken“. Dass sie eben als „durchschnittliche Bürgerin
Deutschlands“ erkannt habe, dass es nicht ausreiche, treu seinen Müll zu
trennen, wenn die Politik ihre Aufgabe, die Lebensgrundlagen zu erhalten,
nicht erfülle.
Bildungsbürgerliche Menschen wie K. und J. sieht man in der Regel eher als
Schöffen denn als Angeklagte im Gericht und K. thematisiert diesen
Hintergrund auch: „Ich sehe uns besser Situierte in der Pflicht“, sagt sie
und erst am Schluss erlaubt sie sich etwas Pathos: „Ich bin bereit,
Repressionen auf mich zu nehmen, um meinen Kindern weiter in die Augen
schauen zu können.“
Eika J., die zweite Angeklagte trägt ein Blumenkleid, das nicht über ihre
Entschlossenheit hinwegtäuscht, sie ist Mutter vierer Kinder und hat
Mathematik und Biologie studiert. Sie hat sich [3][bei Fridays for Future
engagiert], Vorträge gehalten, aber ihre Wut, dass „Lobbyismus und
Einzelinteressen die Überhand behalten“ wuchs. Sie findet, „dass wir uns
Protest, der ignoriert werden kann, nicht mehr leisten können“.
## Gemälde blieb heile
Gut für beide Angeklagte, das zeigt sich schnell, dass die Letzte
Generation die Aktion in der Kunsthalle im März dieses Jahres gefilmt hat.
Das Gericht nimmt ein Video in Augenschein, auf dem zu sehen ist, wie sich
die Angeklagten in Warnwesten dem Gemälde nähern, das durch eine
Glasscheibe geschützt ist. Der Wachmann Farid S. stellt sich mit dem Rücken
schützend davor. „Hört auf“, „Security“ ist zu hören, ein Besucher z…
weg, die sich nicht dagegen wehrt. Anschließend kleben K. und J. das Poster
auf den Boden und J. ruft „Wir lassen euch nicht länger wegschauen“.
An keiner Stelle attackieren K. und J. den Wachmann. Der kommt als Zeuge,
ein kompakter Mann mit weißem Hemdkragen unter dem dunklen Pullover. Er
sagt, dass die Aktivistinnen ihn attackiert hätten, dann versuchten, das
Poster aufzukleben und als das gescheitert sei, es auf den Boden geklebt
hätten. Er sagt, dass er das Bild geschützt habe und dass die Kollegen ihn
später dafür gelobt hätten.
Die Staatsanwältin hält ihm vor, dass seine Aussage bei der Polizei eine
andere gewesen sei: Dort habe er gesagt, dass die Frauen erst versucht
hätten, das Poster anzubringen, dann Farid S. schubsten und danach an dem
Gemälde gezogen hätten. „Es war so, wie es im Papier steht“, sagt Farid S.
Das Gericht lässt das Video noch einmal abspielen. „Das ist doch Quälerei
für ihn“, sagt Gertrudis K.
Danach geht alles ziemlich schnell. Die Staatsanwältin plädiert auf
Freispruch. Die Anwältinnen schließen sich an. Und die Richterin gibt ihn.
Es gebe keine Anhaltspunkte für eine Körperverletzung, sagt sie. Warum
Farid S. das behaupte, sei nicht zu klären. Die Angeklagten hätten eine
Beschädigung des Gemäldes nicht gewollt – damit bleibe deren Handeln knapp
im Bereich der Fahrlässigkeit. Dann merkt sie noch etwas an, was das
Formaljuristische verlässt: Sie könne die Motive der Angeklagten menschlich
nachvollziehen. Aber was sie täten, „hat durchaus Konsequenzen für Dritte�…
30 Aug 2023
## LINKS
[1] /Airport-Blockaden-der-Letzten-Generation/!5951698
[2] /Letzte-Generation-vor-Gericht/!5934954
[3] /Letzte-Generation-in-der-Kritik/!5924697
## AUTOREN
Friederike Gräff
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