# taz.de -- Kinder sind teuer und machen abhängig: Fangen Sie gar nicht erst an | |
> Anfangs sind Kinder süß und günstig. Je älter sie werden, desto schlimmer | |
> wird es. Eine Shoppingtour zur Einschulung. | |
Bild: Eltern sehen da nicht nur ein schönes Bild. Sie sehen ihren Kontostand i… | |
Finden Sie Kinder süß? Achtung, ich kann Sie nur warnen, sich eines | |
anzuschaffen. Sie sind teuer und machen süchtig, fangen Sie gar nicht erst | |
an. Am Anfang lohnt sich das ja noch: ein bisschen Milch, ein bisschen Brei | |
und ein paar Windeln. Mit dem Kindergeld kommt man da schon weit. Aber je | |
älter sie werden, desto schlimmer wird es. | |
Während Deutschland über die [1][Kindergrundsicherung] diskutiert, über | |
Armut und die Frage, was uns Kinder wert sein sollten, beginnt in den | |
meisten Bundesländern die Schule. Zehntausende Erstklässler werden | |
eingeschult. Sie kennen die Bilder: fröhliche Kinder mit Schultüten in den | |
Händen und Ranzen auf dem Rücken. Eltern sehen da nicht nur ein schönes | |
Bild. Sie sehen ihren Kontostand ins Bodenlose rutschen. So schnell, dass | |
bald schon der Zahlenraum bis 100 reicht, um sich auf dem Konto | |
zurechtzufinden. | |
Mein Einschulungskind wächst in einer Mittelschichtsfamilie auf, mit zwei | |
Eltern mit zwei sehr mittelmäßigen Einkommen. Und selbst für die ist die | |
Einschulung eine finanzielle Herausforderung. Viele seiner Mitschüler haben | |
weniger Glück: Jedes fünfte Kind in Deutschland ist [2][armutsgefährdet]. | |
Keine Statistik bringt das Versagen von Politik so auf den Punkt. Kann man | |
eigentlich noch von Versagen sprechen? Vielleicht besser: unterlassene | |
Hilfeleistung. Oder man sagt, dass man es ganz in Ordnung findet, dass | |
nicht nur die Schule, sondern die Gesellschaft in Klassen eingeteilt ist, | |
von der Geburtsstation bis zum Friedhof. | |
## Ranzen, Schultüte, Malzeug | |
Rechnerisch sind in einer Schulklasse 5 von 27 Kindern armutsgefährdet. Da | |
deutsche Schulen und Stadtviertel ungefähr so segregiert sind wie ein | |
Apartheidstaat, sind die armen Kinder natürlich ungleichmäßig verteilt, | |
aber das ist eine andere Geschichte. | |
Jeder Erstklässler bekommt von seiner Schule eine Einkaufsliste, was er zum | |
ersten Schultag mitbringen soll. Ich nehme Sie mal mit auf Shoppingtour: | |
Ein ordentlicher Schulranzen kostet etwa 200 Euro. Wenn sie dem | |
Kinderrücken etwas Gutes tun wollen und ein Modell nehmen, das empfohlen | |
wird, 250. Damit ist das Kindergeld für den Monat schon weg. Dazu kommen | |
die Schultüte, der Schreibtisch (gebraucht), ein Fahrrad (gebraucht) für | |
den Schulweg, Sportschuhe, eine täglich gefüllte Brotdose, Malsachen. Wenn | |
Sie Pech haben und in einem Bundesland wohnen, wo Bücher nicht von der | |
Schule gestellt werden, es kein kostenloses Mittagessen, kein Schülerticket | |
und keinen Hort gibt, wird es noch teurer. | |
Und nach der Einschulung geht es weiter: Es wird Herbst, das Kind ist | |
gewachsen, also bitte einmal komplett neu einkleiden. Also nicht neu, | |
sondern gebraucht, wir sind doch nicht Krösus, haha. Wäre schön, wenn | |
wenigstens die Schuhe neu sind, die sind sonst oft so durchgelatscht. Aber | |
70 Euro für ein Paar Kinderschuhe, das nur ein paar Monate hält? | |
Die Bundesregierung will in Zukunft alle Leistungen für Kinder bündeln und | |
digital zugänglich machen, das klingt toll. Die 250 Euro Kindergeld sollen | |
weiterhin jedem Kind zustehen, für arme Familien soll es mehr geben. Aber | |
Geld ist angeblich keins da. | |
Vielleicht ist es zu viel verlangt, dass Christian Lindner meine | |
Einkaufsliste bezahlt. Geld muss schließlich nicht nur für Eltern, sondern | |
auch für Schulen und Kitas da sein. Aber trotzdem kann man an dieser Stelle | |
mal populistisch werden, damit es jeder Grundschüler versteht: Für | |
steuerlich subventionierten Diesel ist Geld da, 8 Milliarden Euro im Jahr, | |
für Geld gegen Kinderarmut leider nicht. | |
Mein Sohn war bei seiner Geburt nicht nur süß, sondern hat ohne eigene | |
Leistung sehr viel Schwein gehabt. Und hat auch noch das Glück, zwei | |
solvente Großmütter zu haben. Wie andere Familien das machen, ist mir ein | |
Rätsel. | |
28 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Kersten Augustin | |
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