Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Umstrittenes „Lex Tusk“-Gesetz: Agentenjagd in Polen
> Nach internationaler Kritik erneuert Polens Regierung ihr
> Antiagentengesetz. Doch Oppositionelle fürchten, bald als „Agenten
> Moskaus“ zu gelten.
Bild: Teilnehmer einer Demonstration gegen die Regierung, angeführt von Donald…
Warschau taz | In Polen wimmelt es von russischen Agenten. Zumindest ist
das laut den in Polen regierenden Nationalpopulisten von der Partei Recht
und Gerechtigkeit (PiS) so. Deswegen hat die Partei vor den Wahlen im
kommenden Herbst ein Antiagentengesetz durch den Sejm, das polnische
Abgeordnetenhaus, gebracht. Auf dessen Basis soll eine Kommission Agenten
aufspüren. Nach Startschwierigkeiten gilt nun eine neue Fassung.
Offiziell trägt das Gesetz den recht sperrigen Titel: „Gesetz über die
Kommission zur Erforschung des russischen Einflusses auf die innere
Sicherheit der Polnischen Republik in den Jahren 2007 bis 2022“.
Inoffiziell heißt es: „Lex Tusk“. Nach Ansicht der demokratischen
Opposition richtet es sich gegen [1][den führenden Oppositionellen Donald
Tusk] von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO).
Die erste Version des Gesetzes hatte Präsident Andrzej Duda (PiS) am 29.
Mai unterschrieben, obwohl die Rechtsexperten des Senats, der zweiten
Kammer des polnischen Parlaments, mehr als ein Dutzend verfassungswidriger
Punkte kritisierten. Doch im Sejm überstimmten die rechtspopulistischen
Stimmen den Senat, und mit der Unterschrift des Präsidenten trat das Gesetz
in Kraft.
Erst als [2][die US-Regierung und die Europäische Kommission das Gesetz
massiv kritisierten], reichte Präsident Duda eine neue Version ein. Sie
sollte den Eindruck mildern, es gehe der PiS darum, Oppositionelle als
„russische Agenten“ bis zu zehn Jahre von öffentlichen Ämtern
auszuschließen.
## Russische Spione in Polen
Die Novelle „Lex Tusk 2.0“ hat drei Monate gebraucht, um alle Hürden zu
nehmen – so lange wurde die alte Version nicht angewendet. Nun können die
Sejmparteien Kandidaten für die Untersuchungskommission vorschlagen.
Eigentlich sollte das ein „Expertenkreis“ sein. Das Gesetz legt jedoch
keine Kriterien fest, die Qualifikationen sicherstellen. Es dürfen
lediglich keine im Inland tätigen Politiker sein, durchaus aber polnische
EU-Parlamentarier.
Schon bei der nächsten Sejm-Sitzung am 16. und 17. August könnten die
Abgeordneten die neun Mitglieder der „Bolschewisten-Kommission“ wählen, wie
der Volksmund das Gremium schon getauft hat. Viele Polen assoziieren mit
dem Gesetz die sowjetischen [3][Schauprozesse gegen vermeintliche Spione]
aus dem Westen.
Zwar kann die Kommission niemanden mehr für bis zu zehn Jahren von
öffentlichen Ämtern ausschließen. Allerdings kann sie jeden, ob Politiker,
Journalist, Professor oder Beamter, als „ungeeignet für öffentliche Ämter�…
einstufen – und das lebenslänglich. Inwiefern das eine Milderung darstellt,
bleibt abzuwarten.
Auch die Berufungsmöglichkeit hat sich geändert. Während in der ersten
Fassung des Gesetzes noch das Verwaltungsgericht dafür vorgesehen war, soll
es laut der neuen ein Sondergericht geben – speziell für die Widersprüche
verurteilter „Agenten“. Beide Varianten haben ihre Nachteile: Das
Verwaltungsgericht braucht im Schnitt zwei bis drei Jahre, um ein Urteil zu
fällen. Das Sondergericht ist zwar schneller, wird aber voraussichtlich mit
PiS-loyalen Richtern besetzt sein.
In den vergangenen acht Jahren PiS-Regierung ist es den Sicherheitsbehörden
jedoch noch nicht gelungen, die angeblich zahlreichen polnisch-russischen
Agenten zu enttarnen und bestrafen.
Schwer einzuschätzen ist hingegen die Zerschlagung eines „russischen
Spionagerings“ durch polnische Behörden. Am Freitag wurde ein russischer
Staatsbürger als inzwischen 16. Person aus diesem mutmaßlichen Spionagering
festgenommen. Dem Mann, der 2021 nach Polen kam, wird vorgeworfen,
weiterhin Kontakt zu Russen gehalten zu haben – in St. Petersburg, aber
auch auf der von Russland illegal besetzten Krim.
Die anderen Festgenommenen haben mutmaßlich kritische Infrastruktur in
Polen ausspioniert. Speziell Bahngleise, über die Militärhilfe Richtung
Ukraine gelangte, Häfen und Militäranlagen. Noch wurde keiner der
russischen, belarussischen und ukrainischen Staatsbürger vor Gericht
gestellt. Die Prozesse können aber – wie vereinzelt schon in der
Vergangenheit – hinter verschlossenen Türen stattfinden.
8 Aug 2023
## LINKS
[1] /Demokratie-in-Polen/!5935604
[2] /Polens-Regierung-in-der-Kritik/!5936085
[3] /Historischer-Schauprozess-in-Moskau/!5376983
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Polen
Donald Tusk
PiS
Agenten
Russland
Polen
Polen
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Lkw
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Wladimir Putin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neuer Premier in Polen bestätigt: Tusk will die EU näher bringen
Knapp zwei Monate nach der Parlamentswahl kommt der Machtwechsel. Auf acht
Jahre rechtspopulistische PiS folgt nun eine Bürgerkoalition (KO).
Rechte Regierungspartei in Polen: Wahlkampf mit Pseudoreferendum
Parallel zur Parlamentswahl am 15. Oktober wird ein Volksentscheid in Polen
stattfinden. Die vier Fragen wurden am Donnerstag im Parlament debattiert.
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Angriff auf Wohnhaus
Bei Angriffen auf die ostukrainische Region Donezk werden Dutzende
Zivilisten getötet und verletzt. In Russland lobt ein neues Schulbuch die
russischen Militäroperationen.
Lkw-Fahrer kämpfen um Geld: Ganz hinten in der Lieferkette
Auf einer Raststätte im hessischen Gräfenhausen streiken erneut Lkw-Fahrer
um ihren Lohn. Ihr polnischer Arbeitgeber scheint auf Eskalation zu setzen.
Polnisch-belarussische Grenze: Wahlkampf mit Wagner-Gefahr
Angeblich planen rund 100 Wagner-Söldner an der belarussisch-polnischen
Grenze eine Provokation. Das behauptet die Regierung Polens.
Belarus droht Polen: Rhetorik der Angst
Söldner der Gruppe Wagner könnten einen „Ausflug“ nach Polen machen, droht
der belarussische Diktator Lukaschenko. Das soll spalten und Ängste
schüren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.