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# taz.de -- Meeresökologe über Korallenriffe: „Bleichen finden häufiger st…
> Korallenriffe sind die wahrscheinlich wichtigsten Ökosysteme der Erde,
> meint Meeresökologe Christian Wild. Doch den Riffen geht es immer
> schlechter.
Bild: Forscher:innen der Universität Florida untersuchen die Korallenbleiche v…
taz: Herr Wild, seit Jahren steigt die Temperatur in den Weltmeeren. In
diesem Jahr aber gab es einen Sprung um [1][mehrere Zehntel-Grad Celsius].
Was ist da los?
Christian Wild: Der Klimawandel verursacht die klassische Ozeanerwärmung.
Es wird nicht nur an Land immer wärmer, sondern natürlich auch im Wasser.
In diesem Jahr kommen zwei Sondereffekte dazu: 2022 ist ein
Unterwasservulkan ausgebrochen, wodurch den Meeren zusätzlich Wärmeenergie
zugeführt wurde. Und im Juni begann das Wetterphänomen El Niño. Das führt
am Anfang zu einer starken Erwärmung der oberen Wasserschichten im Pazifik
in Tropennähe entlang der mittel- und südamerikanischen Küste.
70 Prozent unseres Planeten sind mit Wasser bedeckt. Nach Berechnungen des
Weltklimarates ging mehr als 90 Prozent der Energie, die der
menschengemachte Klimawandel bisher verursachte, in die Ozeane. Das ist bis
zum Jahr 2019 gerechnet so viel Energie [2][wie 3,6 Milliarden Atombomben]
der Hiroshimagröße. Wie sehe die Erde aus, wenn die Ozeane diese Wärme
nicht aufgenommen hätten?
Dann hätten sich die Landmassen längst viel stärker aufgeheizt. 2 Grad mehr
wären Realität. Wir würden höchstwahrscheinlich ein viel unruhigeres Leben
mit stärkeren Wetterextremen führen: extremeren Dürren, heißeren
Hitzewellen, noch zerstörerischen Starkregenereignissen und gigantischen
Überschwemmungen.
Der Weltklimarat sagt [3][in einem Gutachten zu den Ozeanen] aus dem Jahr
2018, dass bei einer Temperaturerwärmung von 1,5 Grad ungefähr 70 bis 90
Prozent aller Korallen weltweit verlorengehen. Was steckt dahinter?
Hier sind in erster Linie tropische Steinkorallen gemeint. Sie leben oft in
Symbiose mit Mikroalgen und dieses Zusammenleben ist ihr Erfolgsrezept. Die
Algen betreiben intensiv Photosynthese und liefern den Korallen so die
Energie, die sie in Wachstum und Kalkskelettbildung investieren. Bei zu
hohen Wassertemperaturen kommt es aber zum Abbruch dieser Symbiose, zur
sogenannten Korallenbleiche.
Während der Bleiche sind die Steinkorallen zwar noch nicht tot, aber stark
geschwächt. Sie wachsen fast nicht mehr und können sich auch nicht mehr
gegen Konkurrenten wehren. Bleibt die Temperatur länger zu hoch, sterben
die gebleichten Korallen oft ab. Der Bericht des Weltklimarat sagt voraus,
dass es solche Korallenbleichen bei einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad
immer öfter und immer extremer geben wird.
Aktuell sind wir auf einem Kurs von drei Grad Erderwärmung. Ist es
vorstellbar, dass es Ende des Jahrhunderts weltweit keine Korallen mehr
gibt?
Korallen sind nicht alle gleich. Es gibt zum Beispiel Korallen, die ohne
Algensymbionten in der Tiefsee leben. Sie werden erst mal nicht von den
hohen Temperaturen betroffen sein, die wir vor allem in den oberen
Wasserschichten beobachten. Allerdings werden die wunderschönen Riffe, die
die Steinkorallen bilden, höchstwahrscheinlich zu einem Großteil
verschwinden, wenn sich die Erde tatsächlich um drei Grad erhitzt.
Lassen Sie uns an dieser Stelle noch einmal die Begrifflichkeiten klären.
Was sind Korallen und wie viele verschiedene Arten kennen wir?
Korallen sind sogenannte festsitzende Nesseltiere. Sie besitzen spezielle
Zellen, die Cnidocyten, die auch Nesselzellen genannt werden. Mit diesen
Zellen verteidigen sich die Korallen und fangen Nahrung. Deswegen brennt es
auf unserer Haut, wenn wir Korallen anfassen. Wir spüren die Nesselzellen,
die bei Berührung explodieren und ein Gift injizieren. Wenn über Korallen
gesprochen wird, sind meistens Steinkorallen gemeint. Davon gibt es
ungefähr 2500 Arten. Sie sind wahre Ökosystemingenieure, die ganze
Unterwasserwelten aufbauen.
Eine Unterscheidung kann nach der Wassertemperatur getroffen werden.
Demnach gibt es Warmwasserkorallen und Kaltwasserkorallen.
Die tropischen Warmwasserkorallen leben in einem eng umgrenzten
Temperaturbereich von ungefähr 20 bis 28 Grad Celsius, stellenweise maximal
30 Grad Celsius. Das sind auch die Korallen, die Riffe bilden. Liegt die
Wassertemperatur darüber, kommt es zur Bleiche. Korallen gibt es aber auch
im Kaltwasser. Kaltwasserkorallen betreiben keine Symbiose, haben also
keine Algen in ihrem Gewebe. Sie tolerieren kältere Temperaturen bis sechs,
sieben Grad, wachsen allerdings sehr langsam.
Die US-Behörde für Klima und Ozeanografie hat wegen der hohen
Wassertemperaturen vor [4][einer beispiellosen Korallenbleiche] in diesem
Jahr gewarnt. Was kommt auf uns zu?
Vorweg: Korallenbleichen gibt es schon seit langer Zeit. Immer, wenn es
einen Umweltstress gibt, fangen die Korallen an zu bleichen. Die Symbiose
bricht ab und die Mikroalgen verlassen das Korallengewebe, deswegen geht
ein Großteil der Färbung verloren. Wenn der Stress nachlässt, kann die
Bleiche wieder rückgängig gemacht werden: Die Korallen nehmen wieder Algen
auf. Im Optimalfall sind das sogar Algen, die besser mit der
Umweltveränderung zurechtkommen. So passen sich die Korallen an.
Das Problem, das wir im Moment erleben, ist, dass diese Bleichen immer
häufiger stattfinden. Hatten wir im vergangenen Jahrhundert maximal eine
Korallenbleiche pro Jahrzehnt, so wiederholt sie sich jetzt schon alle fünf
Jahre. Mancherorts fast jährlich. Den Korallen bleibt kaum noch Zeit, um
sich von einer Bleiche zu erholen, bevor die nächste Bleiche stattfindet.
Wo ist es gerade besonders dramatisch?
Im Moment ist im Atlantik ein extremes Hitzeereignis zu beobachten. Im Golf
von Mexiko in der Karibik haben die Steinkorallen schon im Juni angefangen
zu bleichen. Das findet dort normalerweise aber erst im August statt. Meine
Kollegen, die vor Ort sind, berichten schlimme Dinge: Dort findet nicht nur
die Bleiche statt, sondern auch Mortalität, also das Absterben von
Korallen.
Warum sollten sich die Menschen in Mitteleuropa für diese Krise
interessieren?
Die von Steinkorallen geschaffenen Riffe sind wahrscheinlich die
wichtigsten Ökosysteme der Erde. Sie bieten durch ihre massiven
Kalkstrukturen einen großen globalen Küstenschutz und sind durch ihre
Produktivität eine wichtige Nahrungs- und Proteinquelle. Sie sind aufgrund
ihrer Schönheit wichtig als touristische Einkommensquelle für Millionen von
Menschen. Außerdem beherbergen sie von allen Ökosystemen der Erde die
höchste Biodiversität. Das ist ein großer Schatz mit einer unglaublichen
Vielfalt an aktiven Substanzen, die die Menschheit nutzen kann, um zum
Beispiel neue Medikamente zu entwickeln. Ohne Korallenriffe wäre unsere
Welt in vielerlei Hinsicht ärmer.
Es gibt Versuche, Riffe in kältere Regionen umzusiedeln. Was halten Sie
davon?
Nicht sehr viel. Erstens ist das ein Riesenaufwand. Zweitens beschränkt
sich die Verbreitung der Korallenriffe ja nicht auf die Wassertemperatur.
Andere Faktoren sind wichtig, etwa die Sättigung mit Karbonat. Das ist
Voraussetzung für die Skelettbildung. Außerhalb der Tropen ist die
Sättigung mit Karbonat nicht so hoch. Umsiedlungen in gemäßigte Breiten
sind extrem teuer, extrem aufwendig, aber gleichzeitig sehr riskant und mit
hoher Wahrscheinlichkeit nicht erfolgreich. Es gibt andere Ansätze, von
denen ich mir deutlich mehr verspreche.
Zum Beispiel?
Die Wiederaufforstung von Korallenriffen mithilfe der assistierten
Evolution. Das ist eine Methode, bei der durch Züchtung bestimmte Merkmale
gestärkt werden, wie beispielsweise die Hitzetoleranz. Die assistierte
Evolution kann uns helfen, Korallenriffe dabei zu unterstützen, sich an den
Klimawandel anzupassen. Ein zweiter Weg ist es, andere Stressfaktoren wie
Überfischung und Düngung in den Riffen zu minimieren.
Dann ist es also gar nicht so schlimm, wenn wir in der Bundesrepublik mit
dem abgeschwächten Heizungsgesetz beim Klimaschutz nicht vorankommen?
Nein. Ohne drastische Emissionsreduktionen weltweit geht der Kampf um die
Korallen verloren. Wir können mit den oben beschriebenen Maßnahmen etwas
Zeit gewinnen. Wenn wir es aber nicht schaffen, klimaneutral zu leben,
werden wir spätestens 2100 fast alle unsere Riffe verloren haben.
27 Aug 2023
## LINKS
[1] https://climatereanalyzer.org/clim/sst_daily/
[2] https://link.springer.com/article/10.1007/s00376-020-9283-7
[3] https://www.ipcc.ch/sr15/chapter/spm/
[4] https://www.nesdis.noaa.gov/news/rising-ocean-temps-raise-new-concerns-cora…
## AUTOREN
Nick Reimer
## TAGS
Korallenriff
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