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# taz.de -- Bremer Urteil gegen Glücksspielbranche: Game over für Automaten
> Verwaltungsgericht bestätigt: Zwischen Spielhallen, Wettbüros und Schulen
> müssen 500 Meter Abstand liegen. Fünf von sechs Spielhallen müssen weg.
Bild: Die Branche hat schon bessere Tage gesehen: Spielhalle in Hamburg
Bremen taz | Das Verwaltungsgericht Bremen hat entschieden: Die neuen
Abstandsregeln für [1][Spielhallen und Wettbüros] sind verhältnismäßig.
Zwischen den Läden und auch zu Schulen müssen nun mindestens 500 Meter
statt vorher 250 liegen. Auch dürfen dort fortan weder Essen noch Getränke
verkauft werden. Betreiber hatten gegen die 2022 beschlossene und Anfang
Juli in Kraft getretene Regelung geklagt.
„Das kommt einem Vernichtungsfeldzug gleich“, sagt Detlev Graß. Er ist
Vorsitzender des Westdeutschen Automaten-Verbands und betreibt mit seinem
Unternehmen zehn Spielhallen in Bremen – seinen Schätzungen nach werden
neun von diesen schließen müssen. Für ganz Bremen schätzt er, dass 101 von
121 Läden „vernichtet werden“; ebenso wie 700 Arbeitsplätze.
Steuereinnahmen würden künftig fehlen. Und schon jetzt blühe [2][das
illegale Glücksspiel], sagt Graß. „Wenn man die Szene in Bremen und den
Markt kennt, weiß man das.“
Der Schutz der Spieler*innen, so Graß, habe bei ihm höchste Priorität.
„Bevor sie ein Gerät zu sehen bekommen“, werde das Alter überprüft – s…
seit zehn Jahren ließen die meisten Betriebe in Bremen nur Menschen ab 21
rein. Dabei gilt diese Altersbeschränkung gesetzlich erst seit einem Jahr.
Danach würde noch die Datenbank Oasis gecheckt.
Über Oasis müssen Anbieter die Personalausweisdaten eines Gastes vor dem
Spiel prüfen. Es handelt sich um eine Art Zugangskontrolle: Wer gesperrt
ist, darf nicht spielen. [3][Süchtige Menschen] können sich zum
Selbstschutz eintragen, aber auch andere können dies tun. Dann kann die
gesperrte Person allerdings Stellung dazu beziehen. Eine Sperre läuft
mindestens drei Monate.
## Verbandschef wittert „Ideologische Hetze“
Wer nicht gesperrt ist, dürfe dann spielen, sagt Graß. „Jeder Gast, der ein
Problem damit hat, ist einer zu viel.“ Nur wenige der Kolleg*innen seien
„schwarze Schafe, die das System nicht nutzten. Das Gesetz sei entsprechend
„völlig überzogen und eine rein ideologische Hetze“. Die Menschen wollten
schließlich spielen, einfach zur Unterhaltung.
Graß hat Verfassungsbeschwerde eingereicht. Auch andere haben dies getan.
Solange der Rechtsstreit läuft, bleiben seine Hallen auf.
Im Grundgesetz ist festgehalten, dass die Berufsausübung durch ein Gesetz
geregelt werden kann. Das passiere hier, schreibt das Verwaltungsgericht in
seinem Urteil. Das Abstandsgebot führe im Bereich der Wettbüros nun zu
einer deutlichen Reduzierung der möglichen Standorte, jedoch nicht dazu,
dass diese im Land Bremen faktisch nicht mehr betrieben werden können: Neun
Standorte „stehen nicht im Widerspruch zum Mindestabstandsgebot“.
Bereits das Bundesverwaltungsgericht habe 2022 keine Bedenken geäußert, als
gegen die gleiche Regelung in Baden-Württemberg geklagt wurde. Und auch das
Verwaltungsgericht in Bremen selbst habe 2022 entschieden, dass ein
Mindestabstandsgebot von 250 Metern „nicht gegen höherrangiges Recht“
verstoße. Also seien auch 500 Meter kein Problem, die Regelung sei immer
noch verhältnismäßig. Denn: „Die Teilnahme an Sportwetten ist mit
erheblichen Risiken verbunden“; mit Spielhallen verhalte es sich ähnlich.
Und die Reduzierung der Standorte, so sage es die Forschung, sei eine
„wirksame Maßnahme zur Verhinderung und Bekämpfung von Glücksspielsucht“.
Das stimmt, sagt Tobias Hayer, Glücksspielforscher an der Uni Bremen.
Mehrere Studien, unter anderem aus Australien und Norwegen, belegten dies.
Ob das gleichermaßen für Wettbüros gelte, könne man noch nicht genau sagen,
es sei aber davon auszugehen.
Zum befürchteten Anstieg des illegalen und Online-Glücksspiels sagt er:
„Die Coronazeit haben Forschende genutzt, um zu schauen: Was passiert, wenn
das Angebot so gut wie weg ist?“ Das Ergebnis: Nur wenige Menschen weichen
aus, viele hören auf zu spielen oder spielen zumindest weniger. Natürlich,
sagt Hayer, müsse dennoch mehr gegen illegales Glücksspiel getan werden:
vor Ort durch eine Verstärkung und bessere Schulung des Personals von
Ordnungsämtern, online beispielsweise durch die Kappung der Finanzströme
zwischen Kund*innen und Glücksspielanbietern.
## Forscher warnt vor „Normalisierungseffekten“
Den nun nötigen Abstand zu Schulen hält Hayer für sinnvoll: Jugendliche
seien besonders gefährdet – und wenn „überall im Stadtbild Wettbüro neben
Spielhalle neben Lottoannahmestelle“ zu sehen seien, träten
„Normalisierungseffekte“ ein. „Dabei ist Glücksspiel eben kein normales
Wirtschaftsgut.“ Bremen sei mit der Regelung aus Sicht der Forschung auf
dem richtigen Weg.
Auch in Hamburg gilt der 500 Meter-Abstand. Eine Ausnahme von 100 Metern
gilt nur für die Reeperbahn und den Steindamm. Allerdings steht im Gesetz,
dass Kinder- und Jugendeinrichtungen lediglich „nicht in räumlicher Nähe“
sein dürfen.
Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) lässt nach dem Urteil mitteilen, er fühle
sich in seiner Strategie bestätigt, durch eine Reduzierung des Angebots den
Suchtgefahren entgegenzutreten – „gerade in benachteiligten Stadtteilen, in
denen sich bisher besonders viele Spielstätten angesiedelt haben“.
23 Aug 2023
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## AUTOREN
Alina Götz
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Bremen
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