# taz.de -- Denkmalschutz auf Nordseeinsel Amrum: Zoff im Urlaubsparadies | |
> In Nebel kämpfen Bewohner für den Erhalt eines alten Sanatoriums. Der | |
> Bürgermeister will es abreißen. Über ein Dorf, in dem man nicht mehr | |
> miteinander redet. | |
Bild: Kolorierte Ansicht um 1905 vom „Haus des Gastes“: Damals war es noch … | |
NEBEL AUF AMRUM taz | Es riecht nach Kaffee und salzhaltiger Luft, während | |
Urlauber*innen Eis schleckend an reetgedeckten Häusern | |
vorbeischlendern. Der Weg führt an einer weißen, schmalen Kirche vorbei ans | |
Meer. Die Gemeinde Nebel auf Amrum, ein Ort mit nur rund 900 | |
Einwohner*innen, genießt den Sommer. Doch in der Urlaubsidylle tun sich | |
Gräben auf, der Streit wird dabei offen in den lokalen Medien ausgetragen. | |
„Zoff? Es gibt keinen Zoff“, sagt Cornelius Bendixen, der Bürgermeister und | |
Besitzer des örtlichen Supermarkts. „Der Cornelius redet nicht mehr mit | |
uns“, sagt Liane Kurfürst. | |
Alles hat mit einer eigentlich harmlosen Frage zum „Haus des Gastes“ | |
begonnen. Das Gebäude steht am Ortsrand, dicht dahinter rauscht das Meer | |
ans Ufer. Der weiße Turm mit dem roten Dach ragt über die Bäume eines | |
kleinen Parks. Über den Türen sind Jugendstil-Ornamente zu erkennen, | |
drinnen finden sich Elemente aus dem Gründungsjahr 1905, als das Haus noch | |
ein Sanatorium war. Dort, wo früher das Essen an die Kurgäste ausgegeben | |
wurde, befindet sich heute die Touristen-Information. „Ich selbst würde das | |
Gebäude gern erhalten“, sagt deren Mitarbeiterin. „Man hat alles versucht, | |
aber leider …“ | |
Das Gebäude ist feucht, schwer zu heizen, nicht zeitgemäß, sagt die | |
Gemeinde. Seit 2011 wird diskutiert, was mit dem Haus passieren soll. Seit | |
2019 steht fest, dass es ein Neubau wird. Den Architekturwettbewerb 2020 | |
gewann ein Entwurf für einen Flachbau aus Glas und Holz. Aus Sicht der | |
Gemeinde die richtige Wahl: Die Architektur sei „kleinteilig, filigran und | |
zurückhaltend“, dank der Materialien und des begrünten Flachdachs passe | |
sich das Gebäude „gut in das parkähnliche Grundstück ein“, schwärmt | |
Bürgermeister Bendixen. | |
„Viele im Ort finden diesen Glaskasten schrecklich“, sagt dagegen Liane | |
Kurfürst. Für sie und ihre Mitstreiter*innen ist das alte Haus im Park | |
ein besonderer Platz, eine einzigartige Oase unter Bäumen. Auch | |
Inselbesucher*innen schreiben im Netz Liebeserklärungen an das alte | |
Haus, berichten von ruhigen Nachmittagen im Park, loben das „Kleinod“ als | |
Wahrzeichen des Orts. Der geplante Neubau mit seiner größeren Grundfläche | |
sei dagegen „kalt“, „wuchtig“, „unökologisch“. | |
Doch offenen Protest gegen die Pläne der Gemeinde gab es in den vergangenen | |
Jahren nie. Denn es schien ja gewichtige Gründe zu geben, berichtet Liane | |
Kurfürst: „Es hieß immer, das Haus des Gastes sei marode, dazu gebe es ein | |
Gutachten. Das haben wir natürlich geglaubt.“ Bis zu dem Moment, als die | |
Kurfürsts einen Baufachmann zu Gast hatten, dem sie vom Haus des Gastes | |
berichteten. Der Besucher war interessiert, er fragte nach dem Gutachten. | |
Das die Gemeinde nicht liefern konnte. Die Kurfürsts und einige andere | |
Anwohner*innen fragten weiter nach, unter anderem bei einer | |
Gemeinderatssitzung im Dezember 2022. Dort bestätigte Cornelius Bendixen, | |
dass es kein Gutachten gebe. | |
Rechtlich braucht es das auch nicht: Das Gebäude ist im Besitz der Gemeinde | |
und steht nicht unter Denkmalschutz. Aber der Abriss eines ortsprägenden | |
Hauses ohne eine sachliche Grundlage? „Für so einen weitreichenden | |
Beschluss braucht man doch Fakten“, sagt Liane Kurfürst. Die nun | |
fünfköpfige Gruppe gründete die Bürgerinitiative (BI) [1][„Retten wir das | |
Haus des Gastes“], die mit einem Bürgerbegehren den Neubau aufhalten will. | |
Inzwischen hat die BI auf eigene Kosten zwei Gutachten erstellen lassen. | |
Eines bescheinigt den kulturhistorischen Wert der Villa im Bäderstil, das | |
zweite befasst sich mit dem Zustand. Das Fazit des Bauingenieurs Peter | |
Bartram stimmt die BI-Mitglieder hoffnungsvoll: „Im Gutachten von Professor | |
Bartram steht, das Haus des Gastes habe eine solide Bausubstanz und sei mit | |
normalem Aufwand zu sanieren“, fasst BI-Mitglied Anna Susanne Jahn | |
zusammen. | |
Natürlich sei vieles zu tun – immerhin hat es seit Jahrzehnten kaum | |
Reparaturen gegeben –, aber schwerwiegende Schäden fand der Experte nicht. | |
So seien zum Beispiel die Risse, die an der Außenmauer zu sehen sind, nur | |
geplatzte Farbe. „Setzrisse im Mauerwerk wären für uns ein K.-o.-Kriterium | |
gewesen“, sagt Manfred Kurfürst, und seine Frau freut sich: „Wir haben eine | |
Chance.“ | |
Oder auch nicht. Denn Bürgermeister Bendixen nennt das Gutachten „eine | |
Farce: Da haben zwei Leute von außen auf das Gebäude geschaut.“ So ganz | |
stimmt das nicht: In dem Gutachten, das der taz vorliegt, sind | |
Innenaufnahmen des Hauses zu sehen, unter anderem vom Keller und aus dem | |
Treppenhaus. Nur wenige Räume konnten die Gutachter nicht besichtigen. | |
Geplant sei gewesen, den Besichtigungstermin gemeinsam mit Bendixen zu | |
machen, der die Schlüssel hat. Doch der Bürgermeister habe kurzfristig | |
abgesagt, berichten die Mitglieder der BI. | |
Auf das Gutachten und sonstige „teils sehr fragwürdige Veröffentlichungen | |
zum Neubau-Projekt“ antwortete die Gemeinde mit einer mehrseitigen | |
Broschüre, um ihre Sicht der Dinge darzulegen. Diese solle „helfen, | |
objektive und aufgeklärte Meinungen in der Allgemeinheit zu schaffen“, | |
steht dort. Zwar sei ein Bürgerbegehren ein „demokratisches Mittel“, das | |
sich die Gemeinde aber „aus nachvollziehbaren Gründen deutlich früher | |
gewünscht hätte“. Es stimmt ja: Gemeinderäte befassen sich jahrelang mit | |
einem Thema, es fällt ein Beschluss, es liegt ein Konzept vor. Auf einmal | |
kommt eine Gruppe wohl- oder übelmeinender Bürger*innen um die Ecke und | |
stellt den gesamten Prozess infrage. Das kann nerven. | |
„Man kann über die Entscheidung der Nebler Gemeindevertetung geteilter | |
Meinung sein“, schreibt Silke Wulfert, SPD-Kommunalpolitikerin einer | |
anderen Inselgemeinde, im lokalen Internetmedium „Amrum-News“. Aber | |
letztlich säßen dort gewählte Ehrenamtliche und „raufen sich die Köpfe, um | |
Entscheidungen zu treffen, nach bestem Wissen und Gewissen“. | |
Nun muss es endlich mal gut sein – diese Haltung erleben die Mitglieder der | |
BI zurzeit häufig. Sie wissen selbst, dass sie mit ihren Bedenken spät | |
kommen. Aber aus ihrer Sicht entzieht das fehlende Gutachten dem Neubauplan | |
die Grundlage, auch deshalb, weil es nicht nur um das Gebäude geht, sondern | |
auch um den angrenzenden Park mit seinen hundertjährigen Bäumen. | |
83 sollen für den Neubau gefällen, genau gesagt „42 Nadelbäume und 41 | |
Laubbäume“, das steht in der gemeindlichen „Begründung des Bebauungsplans | |
Nr. 19“. Zum Ausgleich sollen 34 Bäume neu gepflanzt werden. Die Gemeinde | |
spielt die Zahlen hingegen herunter: „Angeblich stünden viele Bäume zu | |
dicht, 37 seien schon abgestorben“, sagt Anna Susanne Jahn. „Woran sind sie | |
auf einmal gestorben, vor Schreck?“ | |
Das Ehepaar Jahn, er Zahnarzt, sie Künstlerin, lebt im Alten Pastorat, | |
einem charmanten Haus in der Ortsmitte. Die Kurfürsts wohnen im Haus eines | |
ehemaligen Walfang-Kapitäns mit einem Garten voll Strandhafer und Blick auf | |
die [2][Nordsee], drinnen sind die alten Türen erhalten und das | |
Fliesenmosaik eines Segelschiffs. Beide Paare leben seit Jahrzehnten auf | |
Amrum, aber unterm Strich sind sie Zugezogene. Macht das was? | |
„Nein, das spielt auf Amrum keine Rolle“, glaubt Georg Quedens. „Ohne | |
Zugereiste wäre die Insel leer, denn die echten alten [3][kernigen Friesen] | |
sind alle nach Amerika ausgewandert.“ Quedens ist eine Instanz auf der | |
Insel, 89 Jahre alt, Autor, Fotograf, Heimatforscher und einer der „echten | |
alten kernigen Friesen“, einige Vorfahren seien nachgewiesenermaßen | |
Strandräuber gewesen. Anders als die Seeräuber lockten sie Schiffe auf | |
Sandbänke, um sie kentern zu lassen und die Besatzung zu berauben. Das war | |
früher eine Amrumer Spezialität. Auch als Journalist hat Quedens gearbeitet | |
und spricht gern mit der Presse. Andere Anfragen liefen hingegen ins Leere. | |
„Kapitänsprinzip“ werde das genannt, sagt ein Gesprächspartner: So wie auf | |
einem Schiff niemand dem Kapitän widerspreche, widerspreche auch niemand | |
einem Bürgermeister und bringe Streit in die Gemeinde. Was Quedens, den | |
Nachfahren der Strandräuber, nicht stört. Er hat er eine klare Meinung zum | |
Haus des Gastes: „Es geht mir nicht um den Erhalt des alten Sanatoriums, | |
mir geht es darum, dass da ein Neubau geplant ist, der überhaupt nicht in | |
das Friesendorf Nebel passt. Das wird ein Schandwerk, über das die Leute | |
noch in hundert Jahren die Köpfe schütteln werden.“ | |
## Wahlkampf ohne Plakate | |
Doch er sieht nicht nur den Plan der Gemeinde kritisch, sondern auch das | |
Vorgehen der BI: „Vor drei Jahren wäre so ein Vorstoß gut gewesen. Jetzt | |
haben wir den ganzen Schietbüttelkram mit Corona überstanden, und viele | |
Leute wollen, dass wieder Ruhe einkehrt. Sie fragen sich: Wat schall dat | |
denn nu?“ Dennoch wundere ihn, dass der Gemeinderat einstimmig für den | |
Glasbau gestimmt habe, den er als „andalusisches Tomatentreibhaus“ | |
bezeichnet: „Da sind Leute, die selbst in Friesenhäusern wohnen oder im | |
Friesenstil gebaut haben und die nun für dieses Treibhaus stimmen.“ | |
Aber in kleinen Gemeinden funktionieren Dinge anders, für Inseln gilt das | |
doppelt. Zum Beispiel hängen Parteien auf Föhr und Amrum vor Wahlen keine | |
Plakate auf. Was dagegen spricht? In einem launigen Text in der | |
Lokalzeitung Inselbote wird dazu Cornelius Bendixen zitiert: „Plakate | |
tragen auf Amrum als touristischer Ort nicht unbedingt zur Verschönerung | |
der Dörfer bei.“ | |
Klar, so richtig schön sind die Wahlwerbungen selten. Ohne Plakate sind | |
jedoch jene Personen im Vorteil, die im Alltag Kontakt mit vielen Menschen | |
haben. Wie es der Zufall will, sind sowohl in Nebel als auch in der | |
Nachbargemeinde Wittdün die aktuellen Bürgermeister im Hauptberuf Leiter | |
der Edeka-Märkte im Ortskern. Im plakat- und streitlosen Kommunalwahlkampf | |
im Frühjahr spielte das Haus des Gastes kaum eine Rolle, bis auf das | |
Versprechen des Bürgermeisterkandidaten Bendixen, den Neubau | |
voranzutreiben. | |
Aber um Öffentlichkeit herzustellen, gibt es heutzutage schließlich das | |
Internet. Wer sich für Amrum interessiert, findet eine Facebook-Gruppe mit | |
rund 25.000 Mitgliedern. Dort stellte Liane Kurfürst einen Text ein, mit | |
dem sie für „Rettet das Haus des Gastes“ warb. Die Reaktion war gewaltig, | |
allerdings vor allem von Amrum-Fans von außerhalb: Was, das schöne alte | |
Haus soll weg? Bitte nicht abreißen! Als die Administrator*innen | |
baten, keine „politischen Themen“ zu behandeln, wurde es hitzig, von beiden | |
Seiten. Schließlich schlossen die Admins die gesamte Gruppe für mehrere | |
Wochen: „Wir sind nicht die Plattform für eure Streitereien.“ | |
Von beleidigenden Kommentaren distanzierten sich die Mitglieder der BI. | |
Manfred Kurfürst schreibt in einem Forum der „Amrum-News“, die von der | |
Amrum-Touristik herausgegeben werden: „Auch wir fordern eine faire und | |
demokratische Diskussion.“ Aber die Unterschriftensammlung für das | |
Bürgerbegehren reiße Gräben im Ort auf, berichtet er: „Viele fürchten sic… | |
zu unterschreiben, weil sie unangenehme Diskussionen befürchten.“ | |
Also doch Zoff im Ort? „Es gab ein bisschen chaotische Kommunikation am | |
Anfang“, sagt Bürgermeister Bendixen bei einer Begegnung an einem | |
Samstagmorgen im Supermarkt. Bendixen trägt einen weißen Kittel, hält einen | |
Kasten mit Zucchini in den Händen und betont, er sei in diesem Moment | |
Kaufmann, nicht Bürgermeister. Zeit habe er auch nicht. Es ist schließlich | |
Hauptsaison: „Wir haben die heftigste Woche im Jahr.“ In dem kurzen | |
Gespräch spricht er mehrfach von „wir“, wobei nicht klar ist, ob er sich, | |
die Gemeinde oder beides zusammen meint. Zu einem zugesagten Telefonat zu | |
einem späteren Zeitpunkt – „Wir finden einen Termin!“ – kommt es nicht. | |
„Cornelius Bendixen ist ein honoriger Mensch“, sagt Georg Quedens. „Aber | |
jeder Bürgermeister will gern ein Denkmal hinterlassen – Straßen, | |
Kanalisation oder eben ein Gebäude.“Möglicherweise ist der Neubau des | |
Hauses des Gastes für Bendixen dieses Denkmal. Denn er ist von dem | |
geplanten Glashaus überzeugt. Auch wenn er mit der taz nicht redet, seine | |
Stellungnahmen finden sich unter anderem in den „Amrum-News“. | |
Der Nachrichten-Blog hat im Lauf der Jahre mehrfach über das Haus des | |
Gastes geschrieben – nur die Gründung der BI war dem Medium anfangs keinen | |
Bericht wert. Erst nachdem ein [4][Team des NDR] auf der Insel war und | |
einen Beitrag über die BI und die Zweifel am baulichen Zustand brachte, | |
zogen die „Amrum-News“ nach, schließlich folgte der [5][Inselbote], beide | |
Texte vom selben Autor. Die lokale Zeitung berichtete damit Mitte Juli zum | |
ersten Mal über das Bürgerbegehren, das bereits im März beantragt wurde und | |
seit dem 4. Juli um Unterschriften wirbt. | |
Der Text schildert den langen Weg bis zum Neubauplan, erinnert an den | |
Architekturwettbewerb und beantwortet auch die Frage nach dem fehlenden | |
Gutachten: Stimmt, so ein „spezielles Gutachten“ gebe es nicht, aber | |
„detailliert ausgearbeitete Sanierungspläne“ und die „Einschätzung der | |
damals/heute involvierten Fachleute und Handwerker, die eindeutig | |
bestätigten, dass eine wirtschaftliche Sanierung nicht möglich ist“. | |
„Wirtschaftliche Sanierung nicht möglich“: Bei solchen Aussagen wird Frank | |
Jermann von der „Interessengemeinschaft zur Rettung historischer Bauten“ | |
mit Sitz in Hessen misstrauisch. Dass alten Bauwerken der Abriss oder die | |
allmähliche Zerstörung durch Verfall droht, ist so traurig wie normal: | |
„Fast täglich erreichen uns Meldungen über bedrohte Monumente“, heißt es | |
bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Die bundesweit tätige Stiftung | |
setzt sich vor allem für solche Gebäude ein, die als denkmalgeschützt | |
eingestuft sind. Frank Jermann und sein ehrenamtliches Team kümmern sich | |
aber auch um Häuser ohne diesen Status. Er begleitet und berät lokale | |
Initiativen, startet Petitionen und sorgt für Öffentlichkeit. | |
In den laufenden Streit auf Amrum mischt er sich auch mit Leserbriefen und | |
Beiträgen in Foren ein, die [6][„Amrum News“] veröffentlichten seine | |
Stellungnahmen zuletzt nicht mehr. Dabei hat Jermann gute Argumente dafür, | |
dass das Gebäude im Kern solide ist: „Dort wohnen bis heute Saison-Kräfte, | |
es gibt Aktionen für Feriengäste und auch der Gemeinderat tagt dort. So | |
marode kann es nicht sein.“ | |
Doch Jermann weiß auch, wie sich solche Debatten in kleinen Orten | |
hochschaukeln können: „Auf der Insel Juist wurde um Erhalt oder Abriss | |
eines ehemaligen Bahnhofsgebäudes gestritten – und es ging bis zum Mobbing | |
oder zu Drohungen, nach dem Motto: Wenn du für den alten Bahnhof bist, | |
wirst du im Laden nicht mehr bedient.“ Am Ende blieb das Gebäude erhalten, | |
bekam aber einen Anbau, der das Ensemble „extrem verschandelte“, so | |
Jermann. Also nur ein halber Erfolg, aber immerhin ein Kompromiss. | |
Ob der auch für das Amrumer Haus des Gastes noch möglich ist? Für den | |
ersten Schritt auf dem Weg zu einem Bürgerentscheid müssen in | |
Schleswig-Holstein nur ein Zehntel der Wahlberechtigten unterschreiben, in | |
Nebel liegt die Zahl bei 84. Das sollte machbar sein – aber schafft die | |
Gruppe auch den nächsten Schritt, für den doppelt so viele Stimmen nötig | |
wären? | |
Ein Problem ist, dass die Bürgerinitiative eine Kostenschätzung für ihr | |
Projekt braucht. Diese Einschätzung erstellt das Amt. Generell sinnvoll, | |
schließlich sitzen dort die Fachleute. Doch in diesem Fall fühlt sich die | |
BI nicht sonderlich gut behandelt: „Eingerechnet wurden Dinge, die gar | |
nicht in unserem Konzept stehen und die wir für überflüssig halten, etwa | |
ein Fahrstuhl zur vierten Etage“, sagt Kurfürst. | |
## 10,1 Millionen für den Erhalt der Villa | |
Auch habe das Amt die Sanierungskosten höher angesetzt, als es das neue | |
Gutachten ergibt. Doch weil es ohnehin schon mehrere Monate dauerte, bis | |
die Zahlen endlich vorlagen, ließ die BI sich darauf ein. So liegt die | |
offizielle Schätzung der Verwaltung nun bei rund 9,3 Millionen für den | |
modernen Neubau und 10,1 Millionen für den Erhalt der Villa. Wie verhärtet | |
die Fronten inzwischen sind, bekommen die Mitglieder der BI immer wieder zu | |
spüren. | |
So baute Liane Kurfürst bei einem Dorffest im Park einen Info-Stand auf – | |
vor dem Gelände, für den Park selbst bekam sie keine Genehmigung. „Mehrere | |
Hundert Unterschriften haben wir gesammelt und tolle Gespräche geführt“, | |
berichtet Kurfürst. Allerdings nahmen vor allem Tourist*innen ihre | |
Zettel mit, und deren Unterschriften zählen nur für eine offene Petition, | |
nicht für das Bürgerbegehren, an dem sich nur Personen mit erstem Wohnsitz | |
in der Gemeinde beteiligen dürfen. „Die Nebeler haben eher einen Bogen um | |
uns gemacht“, stellt Kurfürst fest. | |
Zum nächsten Info-Stand kam sogar die Polizei, berichtet Anna Susanne Jahn. | |
Wieder erhielt die BI bei einem Dorffest keine Standgenehmigung in der | |
Nähe. Daher stellten sie sich mit Infomaterial und einer Druckwerkstatt für | |
Kinder an einen Privatweg vor dem Grundstück eines BI-Mitglieds. Nach | |
einiger Zeit erschienen zwei Beamte, begleitet von einem Vertreter der | |
„[7][Amrum Touristik]“, so schildert es Jahn. „Es gebe eine Beschwerde. Ob | |
diese Beschwerde wegen Lärms oder wegen Aufmüpfigkeit vorgetragen wurde, | |
wurde uns nicht mitgeteilt.“ Warum ihr „kleiner Stand“ so viel Unmut | |
auslöse, dass gleich die Polizei anrücken müsse, verstehe sie nicht, sagt | |
Jahn. | |
Auch wenn sie die Geschichte heiter schildert, der Streit um das Haus des | |
Gastes koste Kraft, Zeit und Nerven: „Wir haben die Folgen unterschätzt“, | |
sagt Liane Kurfürst. „Wir sind doch Einwohner der Gemeinde, die hier leben | |
und sich einbringen wollen. Wir wollen nichts Böses, nur die Fakten | |
klären.“ | |
Georg Quedens, der Nachfahre der Strandräuber, hat eine Prognose: „Diese | |
einzige Chance, dass dieses Tomatengewächshaus nicht gebaut wird, sind die | |
steigenden Preise: Der Neubau könnte für die Gemeinde zu teuer sein.“ Dann | |
habe Bürgermeister Bendixen die Chance, sich mit einem „Denkmal aus Luft“ | |
zu verwirklichen. „Denn die gute Luft ist doch das Beste, das wir auf | |
unseren Inseln haben.“ | |
26 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://retten-wir-das-haus-des-gastes.de/ | |
[2] /Zehn-Jahre-Weltnaturerbe-Wattenmeer/!5602186 | |
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[4] https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Streit-um-Haus-des-Gastes… | |
[5] https://www.shz.de/lokales/amrum-foehr-halligen | |
[6] https://www.amrum-news.de/ | |
[7] https://www.amrum.de/ | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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