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# taz.de -- Ausbildung von Psychotherapeuten: Die finanzielle Realität
> Psychotherapie ist in – die Ausbildung der Therapeut:innen aber immer
> noch teuer. Die Bundesregierung muss die Finanzierung schnellstens
> klären.
Bild: Die Ausbildung zur Therapeut:in ist langwierig und viele können sie sich…
Berlin taz | Was haben Musiker [1][Danger Dan,] Fußballprofi Niklas Schmidt
und Musikerin Shakira gemeinsam? Sie alle sind wegen psychischer Probleme
zu eine:r Psychotherapeut:in gegangen und haben sich außerdem
getraut, öffentlich davon zu erzählen.
Wenn auch Popstars und Bundesliga-Fußballer psychologische Hilfe brauchen,
dann greift das noch immer verbreitete Ressentiment, wer etwa depressiv
sei, müsse sich einfach mal zusammenreißen, immer weniger. Psychotherapie
wird also zunehmend enttabuisiert.
Es ist normal, mit körperlichen Problemen zum Arzt zu gehen, und
hoffentlich ist es bald ebenso normal, mit psychischen Problemen zur
Psychotherapie zu gehen. Doch das könnte in Zukunft noch schwieriger
werden, als es jetzt schon ist. Denn nicht nur auf dem Land, auch in
Ballungsräumen ist die eh schon prekäre psychotherapeutische Versorgung
gefährdet.
Was für alle Berufe gilt, gilt natürlich auch für die Psychotherapie: je
besser die Ausbildung, desto besser ist man anschließend in der Lage, den
Beruf auszuüben. Und auch für Psychotherapie gilt: Eine Ausbildung sollte
finanziert sein – [2][und hier beginnen die Probleme.] Stellen Sie sich
vor, Sie sind dabei, eine Berufsausbildung zu machen, die aus zwei Teilen
besteht.
Als Sie mit dem ersten Teil fertig geworden sind, stellen Sie fest, dass
der zweite Teil nicht existiert. Genau so wird es den Studierenden des
neuen Masterstudiums Psychologie und Psychotherapie gehen, wenn sie im
Herbst dieses Jahres als frisch approbierte Psychotherapeut:innen die
Universitäten verlassen, um anschließend eine fünfjährige Weiterbildung zur
Fachpsychotherapeut:in zu machen.
Diese Weiterbildung in einem der Richtlinienverfahren – analytische
Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie,
Verhaltenstherapie und systemische Psychotherapie – ist die Voraussetzung
dafür, sich als Fachpsychotherapeut:in niederzulassen und
Patient:innen ambulant behandeln zu können. Dieser zweite Teil ist
bisher nicht finanziert.
## Lohn auf Taschengeldbasis
Der Zugang zu einer Psychotherapieausbildung ist ohnehin schon erschwert:
Auf ein fünfjähriges Studium folgte bisher eine Ausbildung, die vor allem
im ersten Teil selbst zu finanzieren war.
Eine besondere finanzielle Härte stellte das eineinhalbjährige
Pflichtpraktikum in Psychiatrie und Psychosomatik dar, das bis vor Kurzem
auf Taschengeldbasis entlohnt wurde. Seit September 2020 müssen hier
immerhin mindestens 1.000 Euro brutto gezahlt werden. Das seit 2019 gültige
Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz sollte auch an dieser Stelle
Abhilfe schaffen.
Hier befinden wir uns nun aber in einer Lage, die absurder nicht sein kann:
[3][Einerseits sollte durch die 2019 erfolgte Gesetzesänderung] die
drängende persönliche finanzielle Belastung der Psychotherapeut:innen
in Ausbildung abgeschafft werden, da diese nun nach einem universitären
Studium der Psychotherapie mit Approbation einen gesetzlichen Anspruch
darauf haben, in der nachfolgenden Weiterbildung zu einem angemessenen
Gehalt angestellt zu werden.
## Finanzieller Anspruch löst sich ins nichts auf
Andererseits versäumte es die Bundesregierung, die Voraussetzungen dieser
Finanzierung gesetzlich zu regeln. Der seitdem bestehende Anspruch der
Psychotherapeut:innen in Weiterbildung auf ein angemessenes Gehalt
löst sich ins Nichts auf.
Die Absolvent:innen stünden also im Herbst dieses Jahres mit einer
halben Ausbildung da, wenn nicht der Gesetzgeber noch dafür sorgt, dass
auch der zweite Teil angeboten werden kann: die Weiterbildung, die zum Teil
stationär in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken und zum Teil
ambulant an den Weiterbildungsstätten für ambulante Behandlungen erfolgen
soll. Derzeit können weder in den Kliniken die erforderlichen Stellen
geschaffen werden noch die Weiterbildungsstätten die neuen
Weiterbildungsteilnehmer:innen anstellen.
Psychotherapie-Ambulanzen und -Praxen richten derzeit keine
Weiterbildungsstellen ein, weil die Einnahmen aus der
Patient:innenbehandlung nicht ausreichen, um den
Weiterbildungsteilnehmer:innen ein angemessenes Gehalt bezahlen zu
können und die Kosten für die Weiterbildungsinhalte (Theorievermittlung,
Behandlungssupervision und Selbsterfahrung) zu decken.
Dazu bräuchte es – vergleichbar mit der Weiterbildung von
Mediziner:innen in der grundversorgenden
Fachärzt:innenausbildung – eine Zusatzfinanzierung.
## Petition an den Bundestag
Aus diesem Grund hat Felix Kiunke, ein Psychologiestudent aus Kassel,
stellvertretend für die zukünftigen Psychotherapeut:innen in
Weiterbildung eine Petition an den Deutschen Bundestag gestellt, die über
72.000 Stimmen erhielt. Am 3. Juli wurde diese Petition im
Petitionsausschuss des Bundestages beraten.
Dabei bleibt unklar, ob es Arroganz, Unwissenheit oder Unverschämtheit war,
als ein Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit in seiner ersten
Einlassung die Petition als einen „schönen Anlass, sich das Gesetz noch
einmal anzuschauen“, bezeichnete. Ein dysfunktionales Gesetz wohlgemerkt.
Es ist zu hoffen, dass der Ausschuss nach der parlamentarischen Sommerpause
Anfang September für die [4][Petition eine „Überweisung zur
Berücksichtigung an die Bundesregierung“ beschließt.] Diese Formulierung
bedeutet, dass der Petitionsausschuss das Anliegen der über 72.000 Stimmen
als berechtigt ansieht und Abhilfe für notwendig erachtet. Damit würde sich
der Druck auf die Bundesregierung erhöhen, nachzubessern und die
gesetzlichen Voraussetzungen für die Finanzierung der Weiterbildung zu
schaffen.
## In der Psychoanalyse nennt man das Verleugnung
Gesellschaftliche Krisen können nicht mit Psychotherapie behandelt werden,
sondern nur mit politischen Mitteln. Befindet sich die äußere Welt jedoch
in einer Krise, geraten Menschen, denen es psychisch eh nicht gut geht,
schneller in akute persönliche Notlagen. Während und nach der
Coronapandemie wurde dies sehr deutlich, und auch der Klimawandel wird
diese Folgen haben.
Das Bundesministerium für Gesundheit scheint davon auszugehen, dass
Probleme verschwinden, wenn man so tut, als seien sie nicht da. In der
Psychoanalyse nennt man das Verleugnung. Aber das Problem ist akut und wird
nicht verschwinden: Viele ältere Psychotherapeut:innen gehen in den
nächsten Jahren in den Ruhestand. Seit dem letzten Jahr gibt es
Absolvent:innen des neuen Psychotherapiestudiengangs, die eine
Weiterbildungsstelle suchen.
Für dieses Jahr wird mit rund 1.000 Absolvent:innen gerechnet, danach
jährlich mindestens 2.500. Sie werden dringend benötigt. Für die Behandlung
psychisch erkrankter Menschen braucht es keine Apps, sondern gut
ausgebildete Fachpsychotherapeut:innen. Damit es diese auch in Zukunft
gibt, muss die Finanzierung der Weiterbildung schnellstens gesetzlich
sichergestellt werden.
Christine Kirchhoff ist Psychoanalytikerin und Professorin für
Psychoanalyse, Subjekt- und Kulturtheorie an der Internationalen
Psychoanalytischen Universität Berlin (IPU).
22 Aug 2023
## LINKS
[1] /Debuetalbum-von-Danger-Dan/!5506480
[2] /Studiengang-Psychotherapie/!5575352
[3] /Psychotherapie-in-Deutschland/!5852667
[4] https://bptk.de/pressemitteilungen/breites-buendnis-fordert-gesetzesaenderu…
## AUTOREN
Christine Kirchhoff
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