# taz.de -- Auf Bärenpirsch in Spanien: Ja, wo laufen sie denn? | |
> In den einsamen Bergen und Wäldern im Norden Spaniens leben Rothirsch, | |
> Wolf und Bär. Ihnen als Wanderer zu begegnen, ist gar nicht so einfach. | |
Bild: Im Gebirge Kantabriens sind Bären selten. In den Waldregionen kommen sie… | |
Die Wanderer stehen eng beisammen und blicken gespannt zu Boden, wo im | |
saftig grünen Gras ein brauner Haufen liegt. „Das hat der Bär fallen | |
lassen. Letzte Nacht“, sagt die Biologin Virginia Fernandez Lerin. Ein | |
Bauer tuckert mit seinem Traktor vorbei und ruft: „Hört mir auf mit dem | |
Bären. Er kommt immer nachts und frisst sich durch die Obstbäume.“ | |
Wir sind in Kantabrien, im Norden Spaniens. Avellanedo steht auf dem | |
angerosteten Ortsschild. 26 Einwohner, zwei Hunde, ein Braunbär. Und | |
mittendrin eine Gruppe neugieriger Touristen, die auf den Spuren der „Big | |
Three“ durchs Valle de Liébana wandert: Rothirsch, Wolf, Bär. Sie alle | |
leben hier, die Einheimischen haben sich daran gewöhnt, dass die einen | |
durch ihre Dörfer streifen und die anderen im Morgengrauen durchs Tal | |
röhren. | |
Bei Touren wie mit Biologin Virginia Fernandez geht es aber nicht darum, | |
auf Teufel komm raus den wilden Tieren hinterherzujagen. Vielmehr wollen | |
die Natur-Guides zeigen, wie ein friedliches Miteinander aussieht. | |
Sensationstourismus passt nicht nach Kantabrien, wo die Einwohner stiller | |
und zurückhaltender sind als im Rest Spaniens. | |
Dennoch hoffen wir natürlich, einen [1][Bären] zu erblicken. Gern aus | |
sicherer Entfernung, mit dem Fernglas. Direkte Begegnungen sind selten. Die | |
Tiere gelten zwar nicht als angriffslustig, aber Fernandez erzählt, wie vor | |
einigen Jahren eine ältere Einwohnerin von Avellanedo vor die Tür trat, als | |
gerade der Bär vorbeistapfte. Das Tier habe sich eingeengt gefühlt, die | |
Dame mit der Pranke von der Straße geräumt und sich aus dem Staub gemacht. | |
Das Ergebnis war ein großer Schreck und eine gebrochene Hüfte. | |
## Traumziel: Kantabrien | |
Das Valle de Liébana, das eigentlich aus mehreren langgezogenen Tälern | |
besteht, bietet ideale Bedingungen für Braunbären: viel Platz, viel Wald, | |
wenig Menschen. Es ist die am dünnsten besiedelte Gegend Kantabriens. Die | |
Autonome Region wiederum beherbergt auf der doppelten Fläche des Saarlands | |
gleich sechs Naturparks und Wälder, die unendlich erscheinen. Sattgrün ist | |
die Landschaft, weil hier viel Niederschlag fällt, der mitunter auch | |
unwetterartig von der Biskaya-Küste einbricht. | |
Für viele Spanier ist Kantabrien deswegen ein Traumziel. Keine ausgedörrten | |
Wälder, keine braunen Wiesen, keine 40 Grad im Sommer. Zu den | |
Inlandstouristen zählen auch die Mitglieder des spanischen Königshauses. | |
Gäste aus dem Ausland sind noch eine Seltenheit: Franzosen kommen | |
vereinzelt, Deutsche laufen einem kaum über den Weg. Eine Offensive in | |
Sachen Aktivtourismus soll das allerdings ändern. | |
Nach der ersten Bärenpirsch fahren wir immer weiter hinein in die Täler | |
der Liébana, mehr als 20 Kilometer schlängelt sich hier die | |
La-Hermida-Schlucht. Die Wände links und rechts werden immer höher und | |
rücken immer näher an die Straße heran. Unser Ziel sind die Picos de | |
Europa, ein stattliches Gebirge, in dem mehr als zweihundert Gipfel über | |
2.000 Meter aufragen, und das fast direkt am Meer. Seeleute, die aus | |
Nordamerika heimkehrten, verpassten den Bergen ihren Namen – die Picos | |
waren das Erste, was sie von Europa sahen. | |
## Das Bärenfieber | |
Das Gebirge ist Naturschutzgebiet. Zwar gibt es eine Seilbahn, die | |
hinaufführt, und vereinzelte Berghütten, dann ist aber auch Schluss. Die | |
Wege verlieren sich, Markierungen gibt es keine, wir müssen Steinmännchen | |
folgen. Entsprechend einsam ist es hier, man kann den ganzen Tag unterwegs | |
sein und keiner Menschenseele begegnen. Die Kalkwände erinnern ein wenig an | |
Südtirol, die grünen Hänge ans Allgäu, und wenn man einen guten | |
Aussichtspunkt erwischt, blickt man aufs nahe Meer. | |
Erst beim Abstieg kommt wieder Bärenfieber auf. Die Tiere meiden das karge | |
Hochgebirge, leben in tieferen Waldregionen, wo sie leichter an Nahrung | |
kommen. Bis in die 1970er Jahre war die Bärenjagd in Spanien erlaubt, die | |
Tiere waren fast ausgerottet. „Jetzt haben wir wieder eine stattliche | |
Population“, sagt Biologin Fernandez. „Und die soll weiterwachsen.“ | |
Es laufen verschiedene Projekte zum Schutz der großen Tiere. Geplant seien | |
auch Bärenbrücken über stärker befahrene Straßen. Auf diesem Weg könnten | |
sich die kantabrischen Braunbären mit jenen aus den angrenzenden Regionen | |
Asturien und Kastilien und León vermischen. „Das wäre gut für den Genpool.… | |
## Wölfe in Kantabrien | |
Ein bisschen schwieriger läuft die Sache bei den Wölfen, die in Kantabrien | |
– [2][wie in vielen anderen Regionen Europas] – gerade ziemlich Gegenwind | |
bekommen. Man liest Schilder wie „Raus mit dem Wolf“ und kann die Bauern | |
verstehen, die ihre Schafe gefährdet sehen. Guides, die bisher Wolfstouren | |
angeboten haben, haben diese gestrichen. Sie wollen nicht als Buhmänner | |
dastehen. | |
Der Forstingenieur Jon Palazuelos Boyero hat das halbwegs elegant gelöst. | |
Er nimmt uns mit zu einer seiner herbstlichen Rotwildführungen, bei denen | |
er auch den Wolf auf dem Zettel hat. Rehe und Hirsche – das hört sich nicht | |
besonders spannend an. Gibt’s bei uns ja auch. Wir werden unsere Meinung | |
alsbald ändern. | |
Palazuelos empfängt uns in Sierra de Ibio, keine Stunde Autofahrt vom | |
Liébana-Tal entfernt. Auf der Fahrt dorthin haben wir die Costa Quebrada | |
westlich von Kantabriens Hauptstadt Santander passiert. Vorgelagerte Felsen | |
erheben sich hier fast senkrecht aus dem Meer, die Natur hat Türme geformt | |
und Wände mit Höhlen und Fenstern. Unermüdlich schlagen die Wellen dagegen, | |
als wollten sie die Steinriesen zum Einsturz bringen. | |
## Jetzt noch ein Wolf, oder ein Bär | |
Doch nun stehen wir mit Guide Palazuelos im Wald. Es ist früh am Morgen, | |
die Sonne hat sich noch nicht blicken lassen, aber die Rothirsche sind | |
schon wach. Es ist Berrea, Brunftzeit, und da ist es eine Art Nationalsport | |
in Kantabrien, durch die Wälder und Berge zu steigen, den Brunftschreien zu | |
lauschen und nach Hirschen zu suchen. Palazuelos erklärt nebenbei die | |
Pilze, die er entdeckt, begrüßt Pflanzen und Blumen mit ihren lateinischen | |
Namen und schwärmt immer wieder aus, um mit seinem Fernglas einen Hirsch zu | |
finden. | |
Wir sind zu müde, um ihm überall hin zu folgen. Und werden dafür sogar | |
belohnt. Denn während sich unser Guide durchs Dickicht des Waldes schlägt, | |
steht vor uns plötzlich ein riesiger Hirsch. Mitten auf dem Weg. Er bemerkt | |
uns nicht, wir sind mucksmäuschenstill und trauen uns nur noch im Sparmodus | |
zu atmen. Was für ein großes, stolzes Tier! Die Handykameras klicken. Dann | |
trottet der Hirsch davon und lässt glückliche Wanderer zurück. „Jetzt noch | |
ein [3][Wolf], dann ist die Sache perfekt“, scherzt einer. „Oder ein Bär.�… | |
Nun – die beiden sind uns nicht mehr über den Weg gelaufen, obwohl wir noch | |
ein weiteres Mal losgezogen sind, in einen ganz besonderen Wald am Monte | |
Cabezón. Auf zwei Hektar wachsen dort Mammutbäume. Spaniens Diktator Franco | |
hat sie einst aus Kalifornien eingeführt, um zu schauen, wie sie sich in | |
spanischen Wäldern machen. Es herrscht eine beeindruckend stille | |
Atmosphäre. Das Sonnenlicht spitzelt durch die Baumkronen und haucht die | |
rötliche Rinde der Riesen an. Der Wald schimmert orange. Man schließt die | |
Augen und genießt und tritt fast in einen Haufen, der am Boden liegt. | |
Nein, nicht vom Bären. Vom Hund. | |
Transparenzhinweis: Die Recherche wurde unterstützt von Tourspain. | |
23 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christian Schreiber | |
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