# taz.de -- Wangerooge entzieht das Vertrauen: Insulaner sind schwer zu regieren | |
> Der Gemeinderat der ostfriesischen Insel will den Bürgermeister abwählen. | |
> Er wird vor allem für schlechte Personalführung und Kommunikation | |
> kritisiert. | |
Bild: Die Wangerooger werfen ihrem Bürgermeister vor, beim Thema Küstenschutz… | |
OSNABRÜCK taz | Auf den ersten Blick wirkt Wangerooge beschaulich: | |
autofreies Dörfchen, historischer Leuchtturm, spielzeughafte Schmalspurbahn | |
und Richtung Nordosten, wenn der öde Küstenschutz-Beton zu Ende ist, ein | |
schöner Sandstrand. | |
Sie könnten zufrieden sein, die knapp 1.300 BewohnerInnen des | |
niedersächsischen Inselchens im Watt vor Harlesiel. Aber sie sind es nicht, | |
jedenfalls nicht alle. Und das hängt mit Bürgermeister Marcel Fangohr | |
(parteilos) zusammen. Dem hauptamtlichen Kommunalrepräsentanten, zugleich | |
Leiter der Verwaltung, fehlt das Vertrauen vieler Insulaner. | |
Der zehnköpfige Gemeinderat will Fangohr, Mitte 2018 gewählt als | |
Gemeinschaftskandidat von CDU und Grünen, schnellstmöglich loswerden. Am | |
25. August kommt er zu einer Sondersitzung zusammen. Der einzige | |
Tagesordnungspunkt ist die Einleitung von Fangohrs Abwahl, nach Paragraf 82 | |
des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NkomVG). | |
Dass die erforderlichen drei Viertel der Abgeordneten zusammenkommen, sei | |
„absolut sicher“, sagt Rüdiger Mann der taz, SPD-Ratsherr und einer von | |
Fangohrs drei ehrenamtlichen Stellvertretern. Schließlich war der | |
Beschluss, Fangohr loszuwerden, interfraktionell – und einstimmig. Mann: | |
„Das war die klare Meinung aller.“ | |
## Wangerooge will Bürgermeister abwählen | |
Die Misere habe eine lange Vorgeschichte, sagt Mann und erzählt von | |
Beschwerden aus der Bürgerschaft. Der Grund der Abwahl sei „kein großer | |
Schockfehler“. Die Unzufriedenheit habe sich aufgeschaukelt. | |
Fangohr habe Personalführung „nicht in die Wiege gelegt bekommen“, sagt | |
Mann. „Mitarbeiter sind gegangen!“ Fangohr sei schwach in interner wie | |
externer Kommunikation: „Das ist natürlich schlecht, wenn man immer wieder | |
Leute hört, die sagen: Der hat sich nie zurückgemeldet!“ Beim Thema | |
Küstenschutz habe er nicht geliefert, auch nicht beim bezahlbaren Wohnraum. | |
Das Verwaltungsgebäude sei eine unzumutbare Ruine, beim Kurzentrum sogar | |
ein Komplettabriss im Gespräch. | |
Wenn die Einleitung der Abwahl am 25. August beschlossen wird, hat Fangohr | |
eine Woche Zeit, von sich aus zurückzutreten. Täte er es nicht, hätten vier | |
Monate später die BürgerInnen das letzte Wort. Würden die Fangohr im Amt | |
lassen, müsste statt seiner der Gemeinderat an Rücktritt denken. | |
Aber so weit kommt es nicht. „Auch das wäre dann ja ein Stillstand“, sagt | |
Fangohr der taz. „Und Stillstand ist immer das Schlechteste.“ Fangohr wird | |
gehen, will sich danach „mit sozialen Projekten befassen“, nicht gleich | |
wieder ins Tagesgeschäft einer Verwaltung einsteigen. | |
Der Abwahl-Vorstoß habe ihn überrascht, sagt er. „Aber ich habe ihn sehr | |
gefasst aufgenommen, sehr ruhig.“ Schon lange habe es gebrodelt. Zwischen | |
ihm und dem Rat habe es sehr unterschiedliche Auffassungen gegeben. Vom Rat | |
sei starker Druck ausgegangen. | |
## Bürgermeister räumt Fehler ein | |
Ja, Kommunikation sei nicht seine Stärke: „Ich bin kein Rhetoriker. Mir ist | |
es wichtiger, dass Sachen getan werden als eine Besprechung nach der | |
anderen drüber abzuhalten.“ Und, ja, Personal sei gegangen, aber nicht | |
wegen ihm. Die Insel habe viele Hausaufgaben vor sich, räumt der | |
Noch-Bürgermeister ein. „Aber es ist ja nicht so, dass nichts getan wurde. | |
Außerdem ist das ja auch immer eine Frage der Finanzen.“ Gerade in Wohnraum | |
sei viel investiert worden. | |
Fangohr bezeichnet sich als nicht nachtragend, er werde der Insel verbunden | |
bleiben. Jetzt müsse in alles „erst mal Ruhe reinkommen“. | |
Die ungewöhnliche Personalie bremst Wangerooge derzeit massiv aus. „Wir | |
fallen da gerade in ein Loch“, gibt Ratsherr Mann zu. „Aber so wie bisher | |
geht es einfach nicht weiter.“ | |
## Bürgermeister kommt vom Festland | |
Dass Fangohr, 2018 vom Festland auf die Insel gekommen, von den Insulanern | |
nicht akzeptiert wird, weil er kein Insulaner ist, hält Mann für | |
unwahrscheinlich. „Gerade eine Insel wie die unsere, mit ihrem besonders | |
hohen Anteil Älterer, braucht ja Zuzug.“ | |
Auch Fangohr selbst sieht das nicht als Problem. Er hat auf Wangerooge | |
seine Schul- und Berufsausbildung absolviert. Teile seiner Familie leben | |
hier. Allerdings stammt er aus Neubrandenburg. „Der Insulaner an sich ist | |
schwierig“, räumt Mann ein. „Es ist ein hartes Stück Arbeit, ihn zufrieden | |
zu stellen.“ | |
Wie es für Fangohr sein wird, wenn er seinen Job verliert, drei Jahre vor | |
Ablauf seiner Amtszeit? Schließlich ist die Insel klein; jeder kennt hier | |
jeden. „Wir sind gut auseinander“, findet Mann. Fangohr sagt, dass es um | |
ihn einsam werde. Aber das Leben gehe weiter. Außerdem war er über fünf | |
Jahre im Amt, hat also Pensionsansprüche. | |
Der Fall Fangohr erinnert an den Fall des Baltrumer Bürgermeisters Berthold | |
Tuitjer. Mitte des Jahres 2020 hatten die Ratsmitglieder der Gemeinde | |
Baltrum den Paragrafen 82 gegen ihn angewandt. Tuitjer, mit dem Fangohr | |
sich „ausgetauscht hat“, als ihn das gleiche Schicksal traf, trat daraufhin | |
zurück. Er ist jetzt Liedermacher. | |
16 Aug 2023 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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Thüringen | |
SPD-Basis | |
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