# taz.de -- Korbflechten ist auch keine Alternative: Über die Unmöglichkeit, … | |
> Umorientieren geht – Aufgeben nicht. Dabei ist es nur die logische | |
> Antwort auf die Endlichkeit unserer Kräfte. | |
Bild: Das große Geld ist im Journalismus eher nicht zu finden | |
Kürzlich war ich bei einem Coaching, um zu klären, wie es beruflich mit mir | |
weiter gehen könne. „Ich gebe das Projekt auf, vom Journalismus leben zu | |
können“, sagte ich. „Zumindest von einem, der mich interessiert.“ „Nen… | |
Sie es doch Umorientieren statt Aufgeben“, meinte die Coaching-Frau und ich | |
sortierte es in meinem Kopf in die Rubrik Umorientierung. Aber die einzige | |
Umorientierung, die mir einfiel, war eine Umschulung zur Korbflechterin, | |
was selbst mir abwegig erschien. | |
Am Abend beschäftigte ich mich mit zurückgegangenen Lastschriften, als es | |
klingelte. Vor der Tür stand der Ethikrat, das sind drei ältere Herren von | |
geringer Größe, die mir gelegentlich Hinweise in Fragen praktischer Ethik | |
geben. Der Rat wirkte in etwa so gut gelaunt wie ich. „Guten Abend“, sagte | |
ich. „Was verschafft mir die Freude?“ | |
„Wir wollen Ihnen ein Forschungsprojekt unterbreiten“, sagte der | |
Ratsvorsitzende. „Vielleicht wollen Sie uns hereinbitten.“ „Natürlich“, | |
sagte ich verlegen. Wir gingen ins Wohnzimmer und mir fiel auf, dass der | |
Rat, der eigentlich auf sein Äußeres hält, löchrige Schuhe und fleckige | |
Jackets trug. Ich bot ihm zuckerfreie Dattelpralinen an, das einzige, was | |
noch anzubieten war, weil sie niemandem schmeckten. | |
Der Vorsitzende nahm eine Praline und zog ein Papier aus seiner | |
abgeschabten Aktentasche. „Wir wollen Ihnen eine Forschungskooperation | |
vorschlagen, Frau Gräff“, sagte er. „Es geht um Legalitätskonzepte im | |
Wandel der Zeit. Sicher haben Sie die [1][Debatte um die Legalisierung | |
bislang verbotener Drogen] verfolgt, die unserem Projekt die Anbindung an | |
den gegenwärtigen Diskurs ermöglicht.“„Hm“, sagte ich, denn neben vielem | |
anderen habe ich den Anspruch aufgegeben, an der Spitze des Diskurses | |
mitzuschwimmen und ich musste an meine letzte Coaching-Sitzung denken. | |
## Auch die eigenen Kräfte sind endlich | |
„Warum ist das Aufgeben so verpönt?“, fragte ich. „Es ist doch etwas vö… | |
Normales, dass die eigenen Kräfte oder Talente nicht für alles reichen. Und | |
es ist klug, das zu erkennen. Stattdessen gilt es als memmig, als wären wir | |
Soldatinnen und Soldaten, die man auf dem Schlachtfeld des Lebens zu | |
absolutem Einsatz antreiben muss.“ | |
Ich sah aus den Augenwinkeln, wie sich die beiden Ratsmitglieder, die in | |
der Regel schwiegen, unter den Tisch beugten, um ihre Dattelpralinen | |
unauffällig auszuspucken. „Dieser Terror, dass alles möglich ist, wenn wir | |
es nur wollen, macht vor nichts halt“, fuhr ich unbeeindruckt fort, | |
„schwanger werden, uralt werden, Krebs besiegen. Aber es kippt dabei von | |
einer Möglichkeit in eine unbarmherzige Forderung an uns selbst.“ | |
Der Ratsvorsitzende nickte desinteressiert. „Vielleicht darf ich Ihre | |
Aufmerksamkeit auf das Forschungsprojekt lenken“, sagte er. „Es ist sehr | |
praktisch angelegt und wir wollten Ihnen eine aktive Rolle darin anbieten.“ | |
„Was würde das bedeuten?“, fragte ich. „Sie würden Grenzen gegenwärtig… | |
Legalität überschreiten“, sagte der Ratsvorsitzende, „etwa im Bereich | |
Eigentum.“ Er schob den Zettel in meine Richtung. „Fallbeispiele“, stand | |
dort: „1. Wucher mit Objekten angeblich künstlerischer Art. 2. | |
[2][Sprengung Bankautomat].“ | |
„Würde unter Punkt eins auch Geflochtenes fallen?“, fragte ich. | |
„Selbstverständlich“, sagte der Ratsvorsitzende. Ich überflog die | |
Projektskizze und dachte, dass ich als alternde Frau mit | |
bildungsbürgerlicher Anmutung gute Chancen für ein unauffälliges Eintauchen | |
in die Kriminalität hätte. Als ich umblätterte, stieß ich auf eine sehr | |
klein gedruckte Fußnote. „Die erwirtschafteten Gewinne gehen zu 80 Prozent | |
an den Ethikrat“. Ich blickte auf. Der Ratsvorsitzende betrachtete mich | |
kühl. Es schien ein Angebot zu sein, das man nicht ablehnen konnte. | |
„Gerne“, sagte ich. | |
14 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Cannabis-Verbot/!5943597 | |
[2] /Polizei-sucht-digitalen-Panzerknacker/!5244492 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
## TAGS | |
Kolumne Ethikrat | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Legalisierung | |
Reichtum | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Frauen-Fußball-WM 2023 | |
Osteuropa – ein Gedankenaustausch | |
Klimajournalismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bedeutung von Marktplätzen: Orte der Begegnung | |
Antikes Wissen kann in einer zerfallenden Gesellschaft nicht schaden. So | |
erkundet der Ethikrat auch im Fitnessstudio aktuelle Spielarten der Agora. | |
Kolumbien im Fussballfieber der WM: Sexismus, Stolz und Spiele | |
Fußball-Kommentatoren sprechen vom „jungfräulichen Tor“, nennen | |
Spielerinnen „Puppe“. Weil das Team so gut spielt, ändert sich das langsam. | |
Podcasts aus dem Osteuropa-Workshop 2023: Verständigung zum Mithören | |
Journalist:innen aus dem postsowjetischen Raum stehen vor vielen | |
Herausforderungen. Zum Beispiel, wie umgehen mit der russischen Sprache? | |
Neues Klima im Journalismus: Viele Wege in die Krise | |
Wie soll sich Journalismus organisieren, um die Klimakrise abzubilden? | |
Dafür sind neue Strategien nötig – und die Medien probieren verschiedene | |
aus. |