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# taz.de -- Ersatzfreiheitsstrafen in Niedersachsen: Haft ist keine Lösung
> Die Zahl der Häftlinge mit einer Ersatzfreiheitsstrafe in Niedersachsens
> Gefängnissen steigt. Die Rechtsprechung bestraft damit Menschen für ihre
> Armut.
Bild: Ersatzfreiheitsstrafen: Am Fahrkartenautomat beginnt häufig der Teufelsk…
Zunehmend mehr Menschen müssen in Niedersachsen eine [1][sogenannte
Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis] absitzen. Und das häufig nur, weil sie
ohne gültiges Ticket öffentliche Verkehrsmittel genutzt hatten und eine
verordnete Geldstrafe nicht bezahlt haben. 339 waren es im aktuellen Jahr,
im gesamten vergangenen Jahr saßen 273 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe
ab. Insgesamt gebe es 4.751 Inhaftierte, sagte ein Sprecher des
Justizministeriums in Hannover – das sind rund 7,14 Prozent aller
Haftstrafen.
Das Fahren ohne gültigen Fahrschein ist in Deutschland eine Straftat,
geregelt durch Paragraf 265a des Strafgesetzbuchs: „Erschleichen von
Leistungen“ – ein veraltetes Gesetz der Nazis aus dem Jahr 1935. Während
Falschparken nur eine Ordnungswidrigkeit ist, sollen Menschen ohne Ticket
Kriminelle sein.
Meist ist es Armut, die einen Teufelskreis in Gang setzt: Wer wegen kaum
ausreichender Sozialleistungen keine 3,80 Euro für eine Fahrt mit Bus und
Bahn zum Amt, zum Supermarkt oder zur Ärzt*in aufbringen kann, wird noch
weniger das „erhöhte Beförderungsentgelt“ zahlen können, das bei einer
Kontrolle droht. In Niedersachsen sind das mindestens 60 Euro.
So nimmt der Teufelskreis seinen Lauf: Wer nicht zahlt, wird angezeigt, es
wird ein Verfahren eingeleitet und [2][in der Regel ein Strafbefehl
erlassen.] Die Strafe wird ohne jegliche Verhandlung festgelegt, Betroffene
bekommen per Brief Bescheid. Wer aber ohnehin keinen festen Wohnsitz hat,
erfährt davon meist nichts und kann keinen Einspruch erheben. Eigentlich
kann die Geldstrafe durch gemeinnützige Arbeit abgearbeitet werden. Auch in
Niedersachsen ist das ein Ansatz, um die Freiheitsstrafe zu verhindern. Für
obdachlose oder suchtkranke Menschen ist die körperliche Betätigung aber
oft kaum möglich.
## Rechte sichern statt bestrafen
Ist das härteste Mittel, das dem Rechtsstaat zur Verfügung steht, die
Haftstrafe, in solchen Fällen gerecht? Nein, denn es werden letztendlich
Menschen für ihre Armut bestraft, anstatt Hilfe zu erhalten. Es lässt sich
sogar in FDP-Manier gegen die Ersatzfreiheitsstrafe argumentieren: Sie
kostet dem Staat und damit den Steuerzahler*innen nämlich viel Geld.
Je nach Bundesland sind es zwischen 98 und 188 Euro pro Gefängnistag. Das
geht aus internen Dokumenten der Justizministerien hervor, die die
Rechercheplattform „FragDenStaat“ und die Sendung „ZDF Magazin Royale“ …
veröffentlichten.
Nun kann man fragen: Was ist denn die Alternative? Strafe müsse nun mal
sein. Eine Haftstrafe ist aber keine Lösung, die Probleme verschärfen sich
eher: [3][Das erhöhte Beförderungsentgelt] müssen Betroffene auch nach der
Haft noch zahlen, sie verlieren eventuell ihre Wohnung und müssen wieder
ohne Ticket fahren. Die Frage sollte also lauten: Wie kann der Staat allen
Menschen das Recht auf Mobilität gewähren?
Ein kostenloser ÖPNV – zumindest für Sozialhilfeempfänger*innen
und von Armut betroffene Personen wäre ein Anfang. Das Nazi-Gesetz endlich
zu streichen und Menschen, die sich kein Ticket leisten können, nicht mehr
zu kriminalisieren, wäre das Mindeste.
11 Aug 2023
## LINKS
[1] /Ersatzfreiheitsstrafen-und-OePNV/!5933314
[2] /Ersatzfreiheitsstrafe-in-Berlin/!5949349
[3] /Reform-der-Ersatzfreiheitsstrafe/!5918975
## AUTOREN
Emily Kietsch
## TAGS
Ersatzfreiheitsstrafe
Gefängnis
Schwerpunkt Armut
Niedersachsen
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