# taz.de -- Buch über San Keller: Das Zwischenmenschliche zählt | |
> Mit ungewöhnlichen Aktionen wandte sich der Schweizer Künstler San Keller | |
> an sein Publikum. Ein Buch führt nun durch sein Museum bei Bern. | |
Bild: Ausschnitt der Seite 68 im Buch Museum San Keller | |
Nichts klingt extravagant, im Gegenteil, alles ist geradezu offenherzig | |
konkret. Und deshalb hat man wohl selten von einem vergleichbaren | |
Ausstellungshaus gehört. „Wir begrüßen euch ganz herzlich im Museum San | |
Keller“, läutet Museumsdirektor Fritz Keller den Rundgang ein. Der beginnt | |
im ehemaligen Atelier des gleichnamigen Künstlers, oder, wie Kuratorin | |
Marianne Keller nun erklärt: „Wir befinden uns im Zimmer von Stefan, in | |
welchem er aufgewachsen ist.“ | |
Damit wäre man also auch als Leserin des Buchs „Museum San Keller“ | |
hineingeworfen in einen Ausstellungsrundgang samt Installationsansichten, | |
Werkabbildungen und Dokumentensammlung. Was man sich sonst als temporären | |
Künstlerwitz vorstellt, das haben der Schweizer San Keller, Jahrgang 1971, | |
und seine Eltern 14 Jahre lang so ernsthaft wie erfolgreich betrieben: In | |
der elterlichen Vierzimmerwohnung im Mehrfamilienhaus am Blinzernfeldweg 4 | |
in Köniz bei Bern hingen Kellers Glasdrucke, Fotografien, Malerei, | |
Editionen und Ausstellungsflyer neben naiver Malerei, im Bad und überm | |
Computertisch. | |
Ein Paar Wanderstiefel, Relikte einer vergangenen Künstleraktion, standen | |
auf dem Hometrainer. Und im Museumscafé am Esstisch servierten Fritz und | |
Marianne Keller dem Ausstellungspublikum seinerzeit gern Espresso und | |
standen Rede und Antwort zu allen Arbeiten. | |
Das Buch ermöglicht nun über die elterliche Sammlung zugleich einen | |
Einstieg ins Werk von San Keller, der [1][Anarchohumor und Aktionsgeist in | |
den Schweizer Kunstbetrieb der 1990er] und frühen 2000er Jahre brachte – | |
und weit darüber hinaus, denn gerade das alltägliche Leben mit seinen | |
zwischenmenschlichen Ereignissen interessierte den Künstler. | |
In teils berühmt gewordenen Aktionen drehte San Keller die Verhältnisse der | |
Aufmerksamkeit um, indem er sie seinem Publikum schenkte: Er trug | |
AusstellungsbesucherInnen huckepack die Treppen hinauf zur Kunst, ließ sie | |
mittels Riesenhandy an seinem Tagesablauf teilhaben, organisierte | |
Kaffeefahrten, bei denen kunstferne Leute über das Leben mit einem seiner | |
Werke berichteten. Einmal begleiteten er und Freunde wildfremde Leute im | |
New Yorker Central Park auf Wunsch gemeinsam nach Hause, die ganze Nacht | |
hindurch. Und wenn [2][Marina Abramović] anwesend war, dann war Keller | |
hyperpräsent. | |
## Vieles konnte passieren | |
Bei San Kellers präzise konzipierten Aktionen konnte je nach Gegenüber | |
vieles passieren. Unter der Losung „San Keller schläft an Ihrem | |
Arbeitsplatz“ konnte man den Künstler für ebendiesen Einsatz buchen, musste | |
ihn allerdings auch einkommensabhängig dafür bezahlen. Eine Moderatorin | |
des Schweizer Fernsehens ließ ihn bei laufender Sendung im Studio schlafen. | |
Als Dienstleistungskünstler wurde Keller schon mal beschrieben, und das | |
wäre wohl auch treffender als [3][Aktionskünstler.] Denn die erfolgreiche | |
Suche nach eigenen Vergütungsmodellen für die Kunst ist seinen Werken, so | |
wörtlich wie schelmisch, eingeschrieben. Ein Werk aus der „Secondary | |
Market“-Reihe kostete etwa exakt so viel wie das Preisschild der | |
abgebildeten Süßigkeit im Hochglanzlook, der Künstler hatte bloß ein Komma | |
herausgenommen. Aus 15,00 wurden 1.500 Euro. | |
Wie San Kellers Kunst stets auch erforderte, am richtigen Ort zur rechten | |
Zeit zu sein, so erscheint das gleichnamige Museum im elterlichen Haushalt | |
als selbstverständliche Präsentationsform und als Fortführung des | |
Keller’schen Werks mit anderen Mitteln. Man muss halt da gewesen sein, | |
vermittelt auch das gleichnamige Buch „Museum San Keller“. | |
Das tröstet und macht zugleich auch wehmütig. Denn 2022 zogen sein Direktor | |
und seine Kuratorin nach Interlaken, das Museum San Keller hat für immer | |
geschlossen. Aber: Im hinteren Teil des Buchs befindet sich ein | |
Leihvertrag, ausgearbeitet von einer Juristin und Kunsthistorikerin. Damit | |
kann theoretisch jeder, die oder der will, die Sammlung San Keller künftig | |
in eigenen Wohnräumen der Öffentlichkeit zugänglich machen. | |
7 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
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