Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Klimaaktivismus in der Türkei: Das Lützerath der Ägäis wird ger…
> AktivistInnen wollten im Akbelen-Wald die Ausweitung des türkischen
> Kohlebaus verhindern. Nun rollten Polizei und Rodungstruppen an.
Bild: Die türkische Polizei soll die Rodung des Akbelen-Waldes durchsetzen, Tr…
Istanbul taz | Der Morgen graut, als der Überfall auf das Widerstandscamp
beginnt. Ein Polizei-Großaufgebot rückt an, um das Camp zu umzingeln und
gleichzeitig Hunderten ArbeiterInnen Deckung zu geben, die im Akkord gegen
den Wald von Akbelen vorrücken. Über Telefonketten mobilisierte
UnterstützerInnen wurden bereits Kilometer vor dem Camp aufgehalten. Auch
die Handyverbindung zwischen den AktivistInnen im Camp und ihren
MitstreiterInnen ist durch elektronisches Störfeuer unterbrochen. Die
Abholzung kann beginnen.
Es geht nicht nur um den Wald an sich. Das Widerstandscamp in Akbelen wurde
vor gut zwei Jahren gegründet, um [1][die Ausweitung des Braunkohleabbaus]
in den Hügeln entlang der Ägäisküste zu verhindern. Vier Dörfer, der Wald
von Akbelen und jahrhundertealte Olivenhaine sollen verschwinden, damit
sich die riesigen Abräumbagger der oberirdischen Kohlegruben weiter in die
Landschaft fressen können.
Als Erstes widersetzten sich die Olivenbäuerinnen und -bauern den Plänen
des Braunkohlekonzerns YK Enerji, einer Tochter der Limak Holding, eines
der fünf Großkonzerne, denen die engsten Kontakte zu [2][Präsident Recep
Tayyip Erdoğan] nachgesagt werden. Die Sprecherin der DörflerInnen, Necla
Işık, wurde türkeiweit bekannt, als sie sich dem Konzern entgegenstellte.
AktivistInnen aus der Provinzhauptstadt Mugla, der nächstgroßen Stadt Milas
und aus dem bekannten Küstenort Bodrum unterstützten die DörflerInnen mit
juristischer Expertise und sorgten für eine gute Öffentlichkeitsarbeit.
Als im Sommer 2021 Großbrände an der Ägäisküste Tausende Hektar Wald
vernichteten und YK Enerji das Chaos nutzen wollte, um auch den Wald von
Akbelen schnell abholzen zu lassen, gründete sich das Widerstandscamp.
„Seit Juni 2021“, erzählt Nihat Gençosman, einer der AktivistInnen aus
Milas, „war unser Camp immer besetzt.“ Seitdem entwickelte sich das
Widerstandslager von Akbelen zum bekanntesten Hotspot des Umweltschutzes in
der ganzen Türkei.
## Auch die kemalistische CHP unterstützt die Proteste
Die Opposition, nicht nur die Grünen und Linken, sondern auch die
kemalistisch-sozialdemokratische CHP, unterstützte die AktivistInnen.
Besonders wichtig für die UmweltschützerInnen war und ist die Solidarität
der von der CHP regierten Kommunen in Mugla, Milas und Bodrum. Sie
spendeten Sachleistungen und stellten in den letzten Tagen sogar kommunale
Busse zur Verfügung, die UnterstützerInnen des Widerstandscamps nach
Akbelen transportierten.
So ist es kein Wunder, dass die Rodung des Waldes jetzt, zwei Monate nach
der Wiederwahl Erdoğans zum Präsidenten, losging. „Erdoğan hat offenbar
Druck von der Limak Holding bekommen“, mutmaßt nicht nur Nihat.
UmweltaktivistInnen und die Opposition sollen nicht länger den Ausbau des
Braunkohlereviers verhindern. „Das war auch eine Machtdemonstration“,
glaubt Nihat.
## AktivistInnen wurden weggesperrt
Das Ganze war generalstabsmäßig vorbereitet. Nicht nur überraschte man die
Camper im Schlaf, auch die Straßen nach Akbelen wurden gesperrt und einige
wichtige Leute der Bewegung, wie der Umweltanwalt İsmail Hakkı Atal,
vorsorglich in U-Haft genommen. Die Leute kamen zwar nach einer Nacht
wieder frei, dafür wurden dann immer wieder andere festgenommen.
Der Braunkohle-Tagebau an der Ägäisküste, nur wenige Kilometer von den
bekannten Touristenzentren in Bodrum und Marmaris entfernt, zerstört eine
uralte Kulturlandschaft, die seit 2.500 Jahren vom Olivenanbau geprägt ist.
Dazu kommt, dass die drei Kraftwerke in der Region, die die Braunkohle
verfeuern, uralte Dreckschleudern sind, die vor ihrer Stilllegung
privatisiert wurden und nun ihre Betriebsgenehmigung von der AKP-Regierung
noch einmal verlängert bekommen haben.
Dabei hat die Region ein großes Potenzial für Wind- und Sonnenenergie, das
teilweise auch genutzt wird. Aber die Regierung will aus Profitgründen und
weil die Abhängigkeit von Energieimporten reduziert werden soll, auf die
Braunkohle nicht verzichten.
So ist Akbelen zu einem nationalen Symbol für die Auseinandersetzung um die
türkische Energiepolitik geworden. Am Freitag letzter Woche bekamen die
AktivistInnen sogar Besuch von [3][Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu],
dem nur knapp gescheiterten Gegenkandidat Erdoğans bei den
Präsidentschaftswahlen.
„Trotz der bereits fortgeschrittenen Rodung des rund 740 Hektar großen
Akbelen-Waldes ist „die Stimmung bei uns im Camp dennoch ganz gut“, meint
Nihat Gençosman. „Die große öffentliche Unterstützung motiviert uns, nicht
aufzugeben.“ Noch ist das Camp selbst nicht geräumt und als Fixpunkt für
alle UnterstützerInnen aus der ganzen Türkei weiterhin in Funktion. „Wir
können immer noch den weiteren Ausbau des Tagebaus verhindern“ hofft Nihat.
1 Aug 2023
## LINKS
[1] /Politische-Debatte-zur-Luetzerath-Raeumung/!5905116
[2] /Tuerkei-zu-Schwedens-Nato-Beitritt/!5943490
[3] /Erdoan-gewinnt-Wahl-in-der-Tuerkei/!5937087
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Türkei
Braunkohle
Schwerpunkt Klimawandel
klimataz
Schwerpunkt Klimaproteste
Schwerpunkt Klimawandel
Wahlen in der Türkei 2023
Schwerpunkt Klimaproteste
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Abholzung des Akbelen-Walds in der Türkei: „Gehen Sie hin, hören Sie zu“
In der Türkei soll ein großer Wald dem Braunkohleabbau weichen. Die
AnwohnerInnen leisten Widerstand. Nun gab es ein Sondertreffen im
Parlament.
Oppositionspartei HDP in der Türkei: Demirtaş will nicht mehr
Die kurdisch-linke HDP ist eine wichtige Stimme der türkischen Opposition.
Ihr populärster Politiker will sich nun aus der Politik zurückziehen.
Debatte um die Letzte Generation: Wer ist hier radikal?
Die Aktivisten der Letzten Generation gelten als extrem. Dabei bleiben sie
friedlich – auch angesichts einer teils verfassungswidrigen Klimapolitik.
Braunkohleabbau in der Türkei: Bittere Oliven
Für Mustafa Saregül könnte es die letzte Ernte werden. Ein tiefes Loch soll
seine Gärten vernichten. Doch jetzt regt sich Widerstand.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.