| # taz.de -- Nachruf auf Heide Simonis: Keine Knickse vor Thronen | |
| > Im Alter von 80 Jahren ist die ehemalige Ministerpräsidentin von | |
| > Schleswig-Holstein, Heide Simonis, gestorben. Ein Nachruf. | |
| Bild: Im Alter von 80 Jahren ist die ehemalige schleswig-holsteinische SPD-Mini… | |
| Berlin taz | Bis zu ihrem letzten Tag hat er sich nicht gezeigt, weder | |
| öffentlich zu seiner Tat bekannt noch ihr persönlich gegenüber offenbar: | |
| Der „Heide-Mörder“, die Person, die am 17. März 2005 der Karriere einer d… | |
| klügsten Politikerinnen der Bundesrepublik [1][ein Ende bereitete.] | |
| Heide Simonis, glühende Sozialdemokratin, hatte bis zu diesem | |
| Vorfrühlingstag als erste Ministerpräsidentin des Landes amtiert. Bei den | |
| Landtagswahlen kurz zuvor musste ihre rot-grüne Regierung herbe Verluste | |
| einstecken, was vielleicht auch an der Politik ihrer Landesregierung lag, | |
| gewiss aber auch an der politischen Großwetterlage, die Wählerliebesentzüge | |
| der SPD Kanzler Schröders inklusive. Simonis fehlte in vier Wahlgängen | |
| stets [2][die entscheidende Stimme], die eine Mehrheit markieren. Mit dem | |
| Ende des vierten Versuchs gab sie, den Tränen nah, auf. Irgendjemand wollte | |
| sie nicht mehr, lieber die dann begründete schwarz-rote Koalition mit dem | |
| CDU-Politiker Peter Harry Carstensen an der Spitze. | |
| An den Kieler Landtag gerichtet sagte sie lapidar, ein halbes Jahr weiter, | |
| auf dem Weg, den schönen Posten der deutschen Unicef-Repräsentantin | |
| zuerkannt zu bekommen: „Sie gehen davon aus, dass es gut gehen wird. Wird | |
| schon schiefgehen, und dann geht es in der Tat schief.“ Eine Kränkung? Und | |
| eine Geste der Rache? Aber Simonis sagte: „Der Schritt von ‚Dich krieg ich�… | |
| zu ‚Ich hab dich‘, der kommt ja selten vor.“ Sie hat ihn ertragen müssen. | |
| Und später: „Man stellt fest, es ist eine normale Partei, wie jede andere | |
| auch.“ Jedenfalls: „Wäre ich ausgetreten, würde ich überlegen, wann ich | |
| wieder eintrete.“ | |
| ## Finanzpolitik war ihr Metier | |
| Die 1943 in Bonn geborene Frau musste es hinnehmen, zumal ihr Image unter | |
| den Umständen des Abschieds vom Amt zu einem desaströsen wurde. Simonis war | |
| in vielerlei Hinsicht vielleicht nicht die erste Frau, aber gewiss eine der | |
| durchsetzungsfähigsten. 1976 wurde sie, getragen von einem sensationellen | |
| Erststimmenergebnis im Wahlkreis Rendsburg-Eckernförde, in den Bundestag | |
| gewählt, als jüngste Abgeordnete. Die promovierte Volkswirtin, die sich | |
| früh für Entwicklungspolitik interessierte, die tatsächlich immer schon | |
| über lokale Horizonte hinauszublicken wusste, ihrem Mann nach Sambia und | |
| Japan folgte, gleichwohl darauf bestand, selbst berufstätig zu werden, war | |
| in ihrer Partei früh auch für höhere Aufgaben sichtbar begabt. | |
| Finanzpolitik war ihr Metier, und in der Funktion als Verhandlungsführerin | |
| der öffentlichen Arbeitgeber agierte sie oft härter, als von den | |
| Parteigranden gewünscht: „Sei nicht so unnachgiebig“, wird als Aufforderung | |
| von Gerhard Schröder überliefert, nachdem die Gewerkschaftsforderung von | |
| über zehn Prozent von ihr auf knapp über fünf Prozent herab gehandelt | |
| worden war. Frau und Sanftheit – das war nicht ihre Kombination, und das | |
| womöglich handelte ihr, als sie die Macht verlor, beispiellose misogyne | |
| Kampagnen an. Als „Pattex-Heide“ wurde sie verspottet, weil sie nicht vom | |
| Amt lassen wollte, als ob nicht Männer in ihrer Position ebenso stur bis | |
| zum vergeblichen Halt an Strohhälmchen um ihre Positionen gerungen hätten. | |
| Später sagte sie, viel zu vernünftig: „Wer in der Politik etwas erreichen | |
| will, muss davon ausgehen, dass er oder sie kämpfen muss. Da muss man | |
| manchmal auch hart sein. Da bleiben auch Leute am Wegesrand stehen.“ ln der | |
| Tat wirkte sie gelegentlich mit segensreicher Härte, gegen männliche | |
| Konkurrenz in der Regel. Und wusste immer, dass sie eines Tages straucheln | |
| würde. Aber einsichtig, dass sie vor allem ihren männlichen Genossen öfters | |
| auf die Füße trat, vor allem deren Hoffnungen auf Karriere im Wege stehen | |
| konnte, war sie nicht. | |
| ## Sattelfest sozialdemokratisches Selbstbewusstsein | |
| Simonis war in ihrem Bundesland eine weithin beliebte Politikerin, ein | |
| Vorbild, wie die schleswig-holsteinische Finanzministerin Monika Heinold | |
| (Grüne) nun betonte. Eine toughe Frau, die rechnen konnte und dies auch | |
| unumwunden betonte, die keine Landesmutter sein wollte und doch diese Rolle | |
| einfach mitgab. Die mit sattelfest sozialdemokratischem Selbstbewusstsein | |
| früh ihren männlichen Generationsgefährten signalisierte, es ebenso gut, | |
| vielleicht sogar besser zu können als sie: eine nichtmännliche Person, die | |
| gebeten oder nicht Kontra gab, wenn ihr etwas nicht plausibel schien. | |
| Dass die Grünen in puncto Frauengleichberechtigung weiter waren, | |
| Listenplätze quotierten, regte sie an, sich generell über die Ökopartei zu | |
| äußern. „Die haben es als kleine Partei leichter. Wenn die Grünen politisch | |
| etwas wollen, gehen die in ihre Bürgerinitiativen und holen sich den | |
| Schwung von denen. Bei uns Sozialdemokraten muss es bedächtiger sein“, das | |
| sähe konservativer, ja, zaghafter und feige aus, „aber wir müssen unsere | |
| Mehrheiten in großen Organisationen holen, Gewerkschaften, Volksbund | |
| Deutsche Kriegsgräberfürsorge, bei den Rentnern und Rentnerinnen, bei den | |
| Jugendlichen, die sich nicht in den Umweltorganisationen engagieren. Das | |
| sind viele Interessen und viele Perspektiven“, sagte sie, also nicht nur | |
| ein Blickwinkel, der bedacht werden muss, ganz Epigonin des politischen | |
| Verständnisses Willy Brandts, Helmut Schmidts und Herbert Wehners. | |
| Vielleicht hat sie den Machtverlust in Schleswig-Holstein nie ganz | |
| überwunden, wer weiß das schon. Heide Simonis jedenfalls war eines der | |
| prominentesten Opfer der Abenddämmerungsatmosphäre der rot-grünen Ära, die | |
| bis zum September 2005 währte. Gerhard Schröder musste nach der | |
| Bundestagswahl schließlich auch abhalftern, um Lobbyist für Wladimir Putin | |
| zu werden. | |
| Die Kielerin wurde tatsächlich Unicef-Botschafterin, machte bei „Let’s | |
| Dance“ mit, alles für die gute Sache, wie sie betonte. Eine ausgesprochen | |
| politisch denkende Frau, die nie empfinden konnte, dass es Frauen an | |
| irgendetwas fehlen könnte, um die Jobs der Männer auch zu können. In ihrem | |
| Fall eben Ministerpräsidentin über fast zwölf Jahre. „Frauen kommen nur an | |
| die Macht, wenn es einen der Männer aus der Kurve trägt. Und dann muss man | |
| an der richtigen Stelle stehen“, sagte sie nüchtern zu den Umständen des | |
| politischen Geschäfts. | |
| „Im Übrigen“, um einen gängigen rhetorischen Schnipsel ihres Nichtfreundes | |
| Gerhard Schröder zu nehmen, wurde sie vom damals noch amtierenden Kanzler | |
| nie nach dem Scheitern in der Provinz ins Kabinett berufen, so wie es | |
| anderen zuteilwurde: Der Niedersachse fand sie nervig und zu wenig | |
| ehrerbietig, und das ist eventuell das schönste Lob, das ihr erbracht | |
| werden kann: Sie machte vor Thronen keine Knickse. | |
| Sie litt seit Langem an der Parkinson-Erkrankung, sie war dennoch bis zur | |
| letzten Minute politisch höchst interessiert. Am Mittwoch ist sie kurz nach | |
| ihrem 80. Geburtstag in Kiel gestorben. Für den „Heide-Mörder“, der ihr d… | |
| Stimme im Kieler Landtag damals verweigerte, gilt: In der Hölle ist für | |
| jeden Missgünstigen Platz, für ihn besonders. | |
| 13 Jul 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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