# taz.de -- Wohnungskonzern zieht sich zurück: Angst vor dem Stadtteilabsturz | |
> Vonovia will bundesweit tausende Wohnungen verkaufen. 850 davon liegen in | |
> Hannover-Sahlkamp. Für den Stadtteil ist der Rückzug eine Katastrophe. | |
Bild: Sieht von weitem schon nach Problemzone aus: Unsanierter Wohnblock im Sah… | |
Hannover taz | „Die Schlange“ wird der Wohnblock hier genannt. Weil der | |
graue Klotz so angeordnet ist. Er steht mitten in einem der ärmsten | |
Stadtviertel Hannovers, dem Sahlkamp, und sieht schon von weitem nach | |
Problemzone aus: verbarrikadierte und zugerümpelte Balkone, provisorisch | |
verhängte Fenster, bröckelnde Farbe und Putz. Ein privater | |
Sicherheitsdienst stiefelt grimmig dreinschauend durch die Gegend, aber | |
guckt anscheinend immer dann nicht hin, wenn mal wieder illegal Sperrmüll | |
an den Müllplätzen abgeladen wird. | |
Hier landen die, die sonst keine große Wahl haben. 45 Prozent der Einwohner | |
sind ganz oder teilweise auf Transferleistungen angewiesen, die | |
Arbeitslosenquote ist hoch, [1][die Kinderquote auch]. 25 Prozent der | |
Einwohner sind unter 17 Jahren. 40 Prozent haben keinen deutschen Pass, 25 | |
Prozent mehr als eine Staatsangehörigkeit. | |
So verzeichnet es nüchtern das „Integrierte Entwicklungskonzept“ der Stadt, | |
die Zahlen darin stammen aus dem Jahr 2019. Eigentlich hätten an diesem wie | |
an ein paar weiteren Klötzen in der Umgebung längst umfassende | |
Sanierungsmaßnahmen laufen sollen. Die menschenfeindlichen Sozialbauten | |
wurden Anfang der 70er-Jahre von der Neuen Heimat errichtet – und in vielen | |
ist seither nicht viel passiert. | |
„Wir wollen hier eigentlich weg“, sagt ein Anwohner. Der 22-Jährige lebt | |
mit seiner Familie seit sechs Jahren hier. Seine Klagen klingen vertraut: | |
kaputte Aufzüge und verdreckte Treppenhäuser, kaputte WCs, zugige Fenster, | |
horrende Heizkosten. Und selten jemand, der sich kümmert. | |
## Kassieren ja, investieren nein | |
In den letzten Jahrzehnten sind diese Immobilien von einem Großinvestor an | |
den nächsten durchgereicht worden: Nileg, Gagfah, Ceberus, Pirelli, | |
Deutsche Wohnen, Vonovia. Die meisten kassierten gern, investierten aber | |
nichts. Nun hat auch noch die Vonovia angekündigt, ihre Wohnungen hier | |
abstoßen zu wollen. 850 sind das insgesamt, 400 davon unsaniert. | |
Für Bezirksbürgermeister Wjahat Waraich (SPD) ist das eine Katastrophe: | |
„Das bedeutet, dass wieder alle Projekte und Planungen auf Eis gelegt | |
werden und nichts passiert. Aber uns läuft die Zeit davon.“ Seit 2009 ist | |
das Gebiet Sahlkamp-Mitte Sanierungsgebiet. | |
Das heißt, dass aus Bund, Land und Stadt erhebliche Fördermittel | |
bereitgestellt werden, um es den Eigentümern leichter zu machen, die | |
Wohnqualität zu erhöhen. Bevor die Deutsche Wohnen von der Vonovia | |
geschluckt wurde, hatte sie tatsächlich begonnen, in einigen der Wohnblöcke | |
Sanierungsarbeiten anzustoßen. | |
Man erkennt sie sofort: freundlichere Farben, neue Fenster, großzügigere, | |
hellere Eingangsbereiche und Treppenhäuser. Auch in der Umgebung hat sich | |
einiges getan, die Freiflächen, Spielplätze, der Stadtteilpark, die Wege – | |
vieles wurde aufgehübscht, neu angelegt und umgestaltet. | |
Und in die begleitenden sozialen Projekte und Beteiligungsmaßnahmen ist | |
viel Energie und Zeit geflossen, sagt Waraich. So sieht es das | |
Städtebauförderungsprogramm, das früher „Soziale Stadt“ hieß, seit 2020 | |
„Sozialer Zusammenhalt“, nämlich vor. Doch das alles geht nur, wenn die | |
privaten Eigentümer mitspielen. Und je weiter entfernt die sitzen und je | |
größer die sind, desto schwieriger wird es. | |
„Nach jedem Eigentümerwechsel dauert es mindestens anderthalb bis zwei | |
Jahre bis man überhaupt Kontakt zu einem Ansprechpartner aufgebaut hat, der | |
vielleicht etwas entscheiden könnte“, sagt Wolfgang Jarnot, Vorsitzender | |
des Spats e.V., der mehrere soziale Projekte im Stadtteil betreut. | |
## Auch die Kinder- und Jugendarbeit leidet | |
All die Maßnahmen, die schon ergriffen wurden, können nicht so richtig | |
Wirkung entfalten, so lange mitten im Zentrum diese grauen, unsanierten | |
Blöcke Tristesse versprühen. Zu ihnen gehört nämlich auch noch die zentrale | |
Ladenpassage, die an den Marktplatz angrenzt. | |
Auch für die offene Kinder- und Jugendarbeit im Viertel ist der Rückzug der | |
Vonovia eine Katastrophe. „Wir haben bisher 33.000 Euro im Jahr an | |
Fördergeldern erhalten“, sagt Laura Ihle, Geschäftsführerin des Na | |
Du-Kinderhauses. Den seit zehn Jahren geltenden Vertrag hatte die Vonovia | |
mit dem Bestand der Deutsche Wohnen erst einmal unbesehen übernommen. | |
Das Na-Du-Kinderhaus betreut Kinder von 6 bis 16 Jahren von Schulschluss | |
bis abends – ganz niedrigschwellig, ohne Anmeldung, können sie hier | |
Hausaufgaben machen, eine Kleinigkeit essen, an Ausflügen und Projekten | |
teilnehmen. „Ich schätze 95 Prozent wohnen in den Vonovia-Häusern | |
ringsherum. Viele mit etlichen Geschwistern auf engstem Raum. Unsere | |
Einrichtung ist für sie ein zweites Zuhause, wir begleiten diese Kinder | |
über Jahre hinweg.“ | |
Im Juni kündigte die Vonovia plötzlich an, die Förderung einstellen zu | |
wollen, machte das nach Protesten aber erst einmal wieder rückgängig. | |
Zumindest für 2024 soll es eine Möglichkeit geben, das Projekt zu | |
finanzieren. Eine endgültige Zusage hat Laura Ihle noch nicht. Trotzdem ist | |
die Unsicherheit belastend, zumal auch die Stadt angekündigt hat, ihre | |
Zuschüsse möglicherweise zurückfahren zu müssen. Die Kommunalaufsicht hatte | |
größere Einsparungen im Haushalt Hannovers angemahnt. „Wenn das passiert, | |
können wir das Angebot so nicht aufrechterhalten“, sagt Ihle. | |
## Kommunale Wohnungsbaugesellschaft könnte einspringen | |
[2][Bezirksbürgermeister Wjahat Waraich] (SPD) fordert, dass nun die | |
öffentliche Hand einspringt und Vonovia die Wohnungen abkauft. Möglich wäre | |
das am ehesten über die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Hanova. Zwar hat | |
auch die Landesregierung erst kürzlich die Errichtung einer | |
Landeswohnungsbaugesellschaft beschlossen, doch die ist noch in der | |
Gründungsphase und Bauminister Olaf Lies (SPD) hat schon angedeutet, sie | |
nicht gleich mit solchen Problemimmobilien belasten zu wollen. | |
Die Hanova wäre der richtige Partner, findet auch Wolfgang Jarnot. „Hier | |
muss jetzt schnell etwas geschehen, die Sanierungsmittel sind zwar noch | |
einmal verlängert worden, aber sie werden bald auslaufen.“ | |
Doch die Reaktionen in Politik und bei der Hanova sind verhalten. Man | |
befürchtet, dass die Gesellschaft an ihre Kapazitätsgrenzen kommt. Immerhin | |
hat sie zum Beispiel mit dem in Hannover berüchtigten Canarisweg schon ein | |
ähnliches Großprojekt vor der Brust, dazu kommen weitere Sanierungs-, aber | |
auch Neubauprojekte – irgendwann wird das personell schwer zu stemmen. Ganz | |
abgesehen davon, dass eine erneute Kapitalaufstockung nötig wäre. | |
Doch wenn nicht bald etwas passiert, glaubt Waraich, gerät hier noch viel | |
mehr ins Rutschen. Immerhin hat in diesem Stadtteil die AfD bei den | |
vergangenen beiden Wahlen ordentlich zugelegt – ausgerechnet im Wahlkreis | |
von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Sein Parteigenosse Waraich, | |
dessen Eltern aus Pakistan geflüchtet sind, zieht die Schultern hoch. „Man | |
kann doch verstehen, dass die Leute sich im Stich gelassen fühlen. Wir | |
reden und reden, aber wenn sie in einem dieser Blöcke wohnen, passiert da | |
einfach seit 40 Jahren nichts.“ | |
7 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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