# taz.de -- Die Wahrheit: Masochistenvergnügen Hygge | |
> Sind nun die Dänen oder die Finnen die Weltmeister des Glücks? Oder die | |
> Schweden? Oder die Franzosen? Und was machen eigentlich die Deutschen so? | |
Raimund schaute nachdenklich über die Theke hinweg zu Rudi, dem Blödmann, | |
und dessen Schwager. „Dabei“, flüsterte er uns zu, „sind die beiden gar | |
nicht wirklich miteinander verwandt.“ | |
Er hatte recht. Der Schwager war Schwede, aber er war nicht blond und | |
bärenartig groß wie ein Eishockeyspieler, sondern ähnelte Rudi frappierend: | |
Er trank dasselbe alberne alkoholfreie Kölsch, strich sich mit gleicher | |
Geste das Resthaar über die Glatze, und als er sagte: „Ihr Deutschen wisst | |
einfach nicht, wie Hygge geht, ihr seid Stresser und Streber und könnt | |
Wirtschaftswachstum und Blitzkrieg, aber von Hygge habt ihr null | |
Schimmer!“, da wussten wir: Genauso hätte Rudi das gesagt, wäre auch nur | |
ein Prozent seines Genpools skandinavischen Ursprungs gewesen. „Stimmt | |
schon, Bosse“, grinste Theo: „Wenn ich mich stundenlang auf dem Sofa | |
rumfläze und Blödsinn auf Youtube kucke, statt die Steuererklärung zu | |
machen, ist das schlicht Faulheit.“ | |
„Aber ist dieser Hygge-Kram nicht dänisch?“, fragte Raimund. „Jawohl“, | |
sagte Rudi, „deshalb ist Hygge ja auch nur was für Gemütlichkeitsanfänger. | |
Die wahren Künstler des Savoir-vivre machen Lagom, und das ist schwedisch. | |
Viel hyggeliger als Hygge! Deshalb sind die Schweden auch das glücklichste | |
Volk der Welt.“ | |
„Ich denk, die Finnen sind das glücklichste Volk der Welt?“, sagte Raimund. | |
„Und Savoir-vivre“, merkte Theo an, „ist doch französisch …“ | |
„Papperlapapp!“, wies Bosse ihn zurecht: „Was haben die Finnen schon | |
hervorgebracht? Schwitzhütten und Birkenpeitschen!“ – | |
„Masochistenvergnügen!“, feixte Rudi. „Und die Franzosen?“, fuhr Bosse | |
fort. Gewiss hätte Raimund jetzt gern „Freiheit, Gleichheit, | |
Brüderlichkeit!“ oder „Eric Cantona!“ gerufen, doch Bosse war schneller: | |
„Gauloises und billigen Rotwein – Lungenkrebs und Säufernasen …“ | |
Er machte eine Kunstpause, dann säuselte er: „Wir Schweden hingegen? Pippi | |
Langstrumpf, Ikea, Abba – süße Bullerbü-Seligkeit! Frieden für die ganze | |
Welt!“ Raimund gab sich noch nicht geschlagen: „Und der Dreißigjährige | |
Krieg?“ – „Was?“ Bosse fiel aus allen Wolken. „Gustav-Adolf und so. | |
Immerhin war Europa hinterher eine Trümmerwüste.“ – „Das ist doch | |
verjährt!“ | |
„Nichts da!“, rief Theo: „Genauso wenig wie die strohblonden Säufertrupp… | |
die früher auf Interrail im Abteil nebenan billigen französischen Rotwein | |
in sich reingeschüttet und Wikingerlieder gegrölt haben.“ | |
„Wobei wir ja froh sein können, dass sie am Ende nur den Gang vollgekotzt | |
haben und nicht wie die Serienmörder aus einem dieser schwedischen Krimis | |
durch den Zug gezogen sind, um andere Passagiere nach einer verborgenen | |
Anweisung aus dem Buch Hesekiel zu zersägen!“, setzte Raimund den final | |
Punch, woraufhin sich Bosse und Rudi, der Blödmann, in trotziges, | |
hyggeliges Schweigen hüllten und wir endlich die nächste Runde Bier | |
bestellten und über die wirklich wichtigen Dinge streiten konnten. | |
19 Jul 2023 | |
## AUTOREN | |
Joachim Schulz | |
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