Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Femizide in den Medien: Verklärende Berichterstattung
> Aktivist*innen kritisieren die Medienpraxis im Umgang mit Femiziden.
> Die Berichte sind allzu häufig verharmlosend – auch bei Berliner
> Zeitungen.
Bild: Die Gedenkausstellung am „Widerstandsplatz“. Textkarten erzählen von…
Berlin taz | Das ist zu hart, ich kann das nicht weiter durchgehen“, sagt
Arman. Sho ergänzt: „Ich verdaue das immer noch.“ Die beiden hatten gerade
kurze Ich-Texte aus den rekonstruierten Perspektiven ermordeter Frauen*
gelesen. Von „Zerstückelung und Häutung“ sei in einem Text die Rede
gewesen. „Die genaue Darstellung, wie die Person ermordet wurde, macht
bewusst, wie krass das ist“, erklärt Arman. Für Sho ist „krass, dass das
als Familiendrama dargestellt wird und nicht als das, was es ist“ – ein
Femizid.
Viele solcher Texte, wie die beiden sie gelesen haben, hatte das
[1][„Netzwerk gegen Feminizide“] am vergangenen Samstag am
„Widerstandsplatz“ – offiziell der Nettelbeckplatz – im Wedding
ausgestellt. Die Ausstellung war Teil ihres Aktionstages „Gegen die
Verharmlosung von Morden an Frauen* in den Medien und gegen eine
sexistische und rassistische Berichterstattung“, an dem sich nach
taz-Schätzungen etwa 100 Menschen beteiligten.
Das Problem, das der Aktionstag ins kollektive Gedächtnis rufen will, wurde
neben der Ausstellung auch in zahlreichen Redebeiträgen deutlich: Femizide,
also Morde an Mädchen und Frauen* aufgrund ihres Geschlechts und
patriarchaler Unterdrückung, würden in der Öffentlichkeit häufig nicht als
solche benannt. Stattdessen würden sie rassistisch als „Ehrenmorde“ oder
romantisierend als „Liebesdramen“ verklärt. Es geschehe „Victim Blaiming…
also das Hinterfragen der Mitschuld von Opfern, oder Femizide würden als
Einzelfälle bagatellisiert.
## Viel Luft nach oben
Probleme, die bereits bekannt sind und 2021 durch die [2][Studie der
Otto-Brenner-Stiftung] „Tragische Einzelfälle? Wie Medien über Gewalt an
Frauen berichten“ auch empirisch belegt wurden. Probleme, die laut den
Organisator*innen auch in Berlin bestehen: „Es gibt noch viel Luft
nach oben“, sagt Lena vom „Netzwerk gegen Feminizide“, angesprochen auf
ihre Wahrnehmung zur Berichterstattung über Femizide. Sie habe in den
vergangenen Jahren viel dazu recherchiert und dokumentiert. Besonders
gravierend sei einerseits, „dass die Boulevardpresse bestimmte Fälle als
Bluttat ausschlachtet, um Klicks zu erhalten“. Dadurch werde [3][von der
geschlechtsspezifischen Dimension der Taten abgelenkt].
Aber auch die Unwissenheit von Medienschaffenden über
geschlechtsspezifische Gewalt und Femizide sei noch groß. Aus Lenas Sicht
ein Ansatzpunkt für Veränderungen: „Wir wollen aufklären und
sensibilisieren.“ Unterstützung erhalten sie dabei auch von professioneller
Seite. Eine der Redner*innen an diesem Nachmittag, Sonja Peteranderl,
ist selbst Journalistin und hat erst kürzlich einen [4][Praxisleitfaden
für Medienschaffende] mitentwickelt, von dem sie berichtet. Und auch für
Lesende gibt es die Einladung mitzuwirken, beispielsweise durch das
[5][Schreiben kritischer Leser*innenbriefe via Online-Vorlage].
Ein solcher Aktionstag, wie ihn das Netzwerk etwa alle drei Monate
organisiert, habe aber noch einen weiteren Zweck, sagt Lena abschließend:
„Wir wollen aktiv und zusammen sein, um aus der individuellen Ohnmacht
rauszukommen, die das Thema leicht verursacht.“ Das so scheint es, ist an
diesem Tag gelungen. „Wir wollen uns lebend! Jin, Jiyan, Azadî! Ni una
menos!“ ruft die letzte Rednerin ins Mikrofon und lauter Applaus flammt
auf.
17 Jul 2023
## LINKS
[1] https://wirwollenunslebend.wixsite.com/netzwerkggnfeminizid
[2] /Gewalt-gegen-Frauen-in-den-Medien/!5784125
[3] /Prozess-um-Mord-an-Afghanin/!5848786
[4] https://www.journalist.de/startseite/detail/article/kein-familiendrama-beri…
[5] https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/20103…
## AUTOREN
Tobias Bachmann
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Femizide
Feminismus
Sexismus
Gewalt gegen Frauen
Patriarchat
Schwerpunkt Femizide
Schwerpunkt Femizide
Ehrenmord
Schwerpunkt #metoo
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ein Femizid beschäftigt ganz Italien: Eine von über 100 in diesem Jahr
Ein Mann tötet seine Freundin in Norditalien. Ungewöhnlich viele Menschen
protestieren gegen Femizide und prangern die Rolle des Staates mit an.
Gedenken an Femizid: „Wir werden jedes Mal laut“
Das Solidaritätsnetzwerk Berlin ruft zum kämpferischen Gedenken an einen
Femizid in Lichtenberg auf. Schon 55 Femizide in Deutschland in diesem
Jahr.
Prozess um Mord an Afghanin: Von Brüdern überwacht
Der Prozess versucht zu klären: Wie hätte Maryam H. vor den Tätern
geschützt werden können und wie stark war sie in patriarchalen Strukturen
gefangen?
Gewalt gegen Frauen in den Medien: Gefährliche Lücke
Eine empirische Studie analysiert Berichterstattung über Gewalt gegen
Frauen. Sie zeigt: Es dominieren Einzelfälle statt struktureller Probleme.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.