# taz.de -- Kreuzung am Checkpoint Charlie: Abschaffung ohne Grund | |
> Verkehrssenatorin Schreiner (CDU) will die Rundum-Grün-Kreuzung am | |
> Checkpoint Charlie abschaffen. Grüne nennen das „Ideologie“ | |
Bild: Dürfen sich am Checkpoint Charlie bald wieder mit abbiegenden Autos rums… | |
Berlin taz | Das Vorbild war die meist frequentierte und wohl berühmteste | |
Kreuzung der Welt: Shibuya Crossing in Tokyo. Dort bekommen | |
Fußgänger*innen in alle Richtungen gleichzeitig Grün und dürfen auch | |
diagonal die Straße überqueren. Sie können so die gesamte Kreuzung | |
überqueren in nur einer Grünphase – Autos haben so lange Rot und kommen | |
danach abwechselnd an die Reihe. Die Kreuzung ist ein popkulturelles Motiv, | |
taucht in Musikvideos, Filmen und japanischen Reiseführern auf. | |
Auch in Berlin gibt es bereits seit 23 Jahren eine Shibuya Crossing – und | |
zwar an der Kreuzung am Checkpoint Charlie, die fußläufig vor allem von | |
umsteigenden Berufstätigen und Tourist*innen überquert wird. Auch hier | |
darf man bei Grün zu Fuß in alle Richtungen wuseln. Im Sommer 2000 hat der | |
damalige schwarz-rote Senat das Pilotprojekt „Rundum-Grün-Ampel“ eingefüh… | |
und ein Jahr später verstetigt. Aber damit soll bald Schluss sein, wie die | |
Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) vor drei Wochen überraschend | |
ankündigte. | |
Die Begründung dafür bleibt unklar – wie eine der taz vorliegende Antwort | |
auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen verdeutlicht. Denn die zeigt: | |
Nicht, weil es fundierte Daten darüber gibt, dass die Ampel negative | |
Auswirkungen habe oder ein Sicherheitsrisiko darstelle, soll sie | |
abgeschafft werden – sondern weil die Senatsverwaltung „eigene | |
Beobachtungen“ angestellt hätte. In der Anfrage begründet die | |
Verkehrsverwaltung die Abschaffung mit „erhöhten Wartezeiten“ und | |
„Fußverkehrs-Überstauungen am U-Bahnausgang Kochstraße auf der Mittelinsel | |
in der Friedrichstraße“: „Eigene Beobachtungen der zuständigen | |
Senatsverwaltung haben auf der südlichen Fußgängerüberquerung eine hohe | |
Zahl an Rotlichtverstößen durch zu Fuß Gehende ergeben, die ein deutliches | |
Sicherheitsrisiko darstellen.“ Die Fläche für Fußgänger*innen sei | |
eingeschränkt und das führe durch lange Wartezeiten zu Überlastungen. | |
Tatsächlich aber haben sich in den letzten 20 Jahren die Unfälle auf der | |
Kreuzung reduziert – im berlinweiten Vergleich ist die Checkpoint-Kreuzung | |
trotz Touristenmassen unfallarm. Und obwohl Verkehrssenatorin kürzlich die | |
Sicherheit als ihr höchstes Ziel ausgelobt hatte, will die Verwaltung | |
ausgerechnet diese Ampel zurückbauen, die unter Experten als am sichersten | |
gilt. Bedrohlich sind für Fußgänger insbesondere abbiegende Autos, die | |
gemeinsam mit Fußgängern grün haben. | |
## Teil des Stadtbildes | |
Laut den Grünen liegt der Eindruck nahe, dass einzelne Personen in der | |
Senatsverwaltung auf Basis ihrer persönlichen Erfahrungen und Meinungen | |
diese Entscheidung ohne Daten oder ordentliche Verfahrensschritte getroffen | |
haben. Antje Kapek, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen im | |
Abgeordnetenhaus, sagte der taz: „Die Rundum-Grün-Ampel am Checkpoint | |
Charlie ist seit einem Vierteljahrhundert Teil des Stadtbildes und ein | |
Highlight für die vielen Tourist*innen, die diesen historischen Ort | |
besuchen.“ Sie abzuwickeln auf Basis von verringerten Unfallzahlen entbehre | |
jeder Logik, so Kapek: „Es ist keine gefährliche Kreuzung, es gibt keinen | |
Grund, die Ampel hier anzufassen.“ | |
Der Verkehrssenatorin warf sie „ideologischen Aktionismus“ vor – wie schon | |
beim umstrittenen Radwegestopp: „Die Entscheidung, die Ampel auf | |
Normalbetrieb umzustellen, beruht auf einer subjektiven Beobachtung der | |
Verwaltung und hat nichts mit Fakten zu tun. Ich finde es höchst | |
bedenklich, wie hier Fakten durch Meinung ersetzt werden und fordere den | |
Senat auf, den Fortbestand der Ampel zu sichern.“ | |
Kapek vermutet dann auch den wahren Grund der Abschaffung vielmehr darin, | |
dass die „Leistungsfähigkeit“ des Autoverkehrs durch die Ampel von 2.500 | |
Autos pro Stunde auf 1.900 gesunken sei. | |
Den positiven Effekt der Rundum-Grün-Ampel, der unberücksichtigt blieb, | |
benennt die Antwort selbst: „Der Fußverkehr kann sicher die Kreuzung | |
queren.“ In der Antwort heißt es: „Gemäß dem Merkblatt zur örtlichen | |
Untersuchung in Unfallkommissionen handelt es sich bei der erfragten | |
Kreuzung derzeit um keine Unfallhäufungsstelle“ – trotz vieler | |
ortsunkundiger Tourist*innen wohlgemerkt. An den 20 gefährlichsten | |
Kreuzungen habe es seit 2020 pro Jahr zwischen 65 und 221 Unfälle gegeben. | |
An der Checkpoint-Kreuzung gab es laut Senat im selben Zeitraum zwischen | |
einem und acht Unfälle. | |
Roland Stimpel vom Fuss e.V. nennt als Grund für die Überfüllung vor allem | |
die 70 Sekunden Wartezeit für Fußgänger*innen zwischen ihren | |
Grünphasen. Aus seiner Sicht rechtfertigt das aber noch lange nicht die | |
komplette Abschaffung der Ampel, schließlich könne man die lange Wartezeit | |
für Fußgänger*innen auch verkürzen. Für den Busverkehr könnte man | |
zusätzlich eine Busspur schaffen, die Straße sei dort breit genug. Er | |
plädiert im Bereich Checkpoint Charlie mit mehreren Museen und dem alten | |
Grenzübergang, an dem Touris gerne Selfies machen, schon länger dafür, eine | |
Fußgängerzone einzuführen. | |
In Anlehung an die berühmte Kreuzung in Tokyo sagt Stimpel: „Knotenpunkte | |
in weltläufigen Metropolen zeichnen sich dadurch aus, dass 90 Prozent der | |
Menschen zu Fuß unterwegs sind“ – und selbst auf Tokyos berühmter Kreuzung | |
gebe es längere Grünphasen für Fußgänger*innen – nämlich ein Drittel | |
der Zeit. Am Checkpoint Charlie gebe es hingegen nach 70 Sekunden rot 10 | |
Sekunden grün. Dennoch überquerten in diesen zehn Sekunden deutlich mehr | |
Verkehrsteilnehmer die Kreuzung als in der übrigen Zeit, sagt Stimpel: „Da | |
sieht man, wie absurd es ist, den per sé ineffizienteren | |
Verkehrsteilnehmern den Vorrang zu gewähren.“ | |
13 Jul 2023 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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