| # taz.de -- Die Wahrheit: Vom Regenradar in die Traufe | |
| > Ständig und an allen Orten dieser Welt müssen wir das Wetter erfahren und | |
| > hängen deshalb an den Vorhersagen für jetzt und hier, morgen und da. | |
| Bild: Steiermark, Österreich: Aus Angst vor Erdrutschen werden aufgeweichte H�… | |
| Seit wann ist das Wetter jenseits landwirtschaftlicher Kreise eigentlich so | |
| ein Thema geworden? Liegt es am Klimawandel oder an dessen Leugnung, dass | |
| die Leute sich nachdrücklich dafür interessieren, ob es morgen endlich | |
| regnet oder ein neuer Hitzerekord geknackt wird? Oder vielleicht doch eher | |
| daran, dass wir alle keine Lust haben, uns über komplexere Themen zu | |
| unterhalten? | |
| Einwurf der Wissenschaft: Wetter und Klima sind ziemlich komplexe Themen. | |
| Antwort der Kolumnistin: Ja, aber das hindert uns nicht daran, | |
| unterkomplexe Meinungen dazu zu verbreiten. | |
| Der alte Trick, aus dem Fenster zu sehen, wenn man wissen will, wie das | |
| Wetter ist, zieht jedenfalls nicht mehr. Ich ertappe mich selbst dabei, | |
| dass ich mir morgens von meinem Telefon die Temperatur mitteilen lasse, um | |
| zu entscheiden, ob ich eine Jacke mitnehme. Meine Jackenaufnahmestelle | |
| liegt 50 Zentimeter vor einer Tür, die ins Freie führt. Ich könnte also | |
| irgendeine alte Kulturtechnik benutzen, die ich nicht mehr beherrsche, von | |
| der ich aber früher schon mal gehört habe. Meine Vorfahren nannten das „Die | |
| Nase vor die Tür stecken“. Hm. | |
| Aber wenn meine Nase draußen ist, bin ich es auch, und die Jacke ist immer | |
| noch drinnen. Außerdem ist meine Nase keine geeichte Messstelle und | |
| vermittelt ausschließlich gefühlte Wahrheiten à la „Es riecht nach Regen�… | |
| Mein Verhältnis zum Wetter hat sich geändert, seit ich auf dem Land lebe | |
| und erfahren musste, das Gewitter nicht nur eine lustige, bunte Kulisse | |
| während des Fernsehabends darstellen, sondern eine bösartige Gewalt sind, | |
| die Häuser anzünden und Bäume umstürzen kann. Bei meiner ersten ländlichen | |
| Wetterkatastrophe stand die Vorhersage noch in der Zeitung und wurde nicht | |
| minütlich samt Warnhinweisen aktualisiert. Es war überraschend, ein | |
| Geheimnis, etwas, womit man Glück haben konnte oder auch nicht. | |
| Dass es gefährlich war, erfuhren wir, wenn wir die Feuerwehrsirene hörten. | |
| Details wurden am nächsten Tag mit dem Wechselgeld an der Supermarktkasse | |
| ausgegeben. Mehr musste ich nicht wissen. | |
| Inzwischen möchte ich informiert sein, ob es morgen gießt oder brutzelt, | |
| ohne erst am nächsten Tag aus dem Fenster zu schauen. Auch erscheint es mir | |
| plötzlich interessant, wie warm es im Nachbarort gerade ist und ob in der | |
| europäischen Hauptstadt, in der die Verwandtschaft lebt, eventuell ein | |
| Unwetter droht. Falls jetzt nichts angezeigt wird, dann vielleicht in einer | |
| halben Stunde. Oder nochmal zehn Minuten später? Ach überhaupt, der | |
| Urlaubsort vom vergangenen Jahr, scheint da heute die Sonne? Nachschauen | |
| schadet ja nichts. | |
| Doch. Mein Hirn überhitzt wegen eines stetigen Zuflusses überschüssiger | |
| Temperaturen und Regenwahrscheinlichkeiten, die mich nicht unmittelbar | |
| betreffen. Wer Wetter sucht, wird Sturm im Kopf ernten. Übrigens können | |
| Blitze in Kühe einschlagen. Im Nachbardorf soll ein Kugelblitz durch ein | |
| Zimmer spaziert sein, und zwei Straßen weiter stand ein Keller unter | |
| Wasser. Bitte melden Sie es Ihrem Telefon. | |
| 12 Jul 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Fischer | |
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