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# taz.de -- Schwäbischer Bürgermeister aus Syrien: Flüchtlingspolitik macht …
> Im dörflichen Ostelsheim tritt Ryyan Alshebl sein Amt als Bürgermeister
> an. Er kam als Geflüchteter, jetzt sorgt er für Fachkräfte in
> Kindergärten.
Bild: Ryyan Alshebl wird Bürgermeister im schwäbischen Ostelsheim
Ostelsheim taz | Die Dorfkirche läutet 15 Uhr. Im lichtdurchfluteten
Rathaus von Ostelsheim haben sich die letzten Halbtagskräfte in den
Feierabend verabschiedet. Der neue Bürgermeister sitzt jetzt fast allein in
der Stadtverwaltung und arbeitet sich durch Akten und E-Mails, grübelt, was
man tun könnte für mehr Fachkräfte in der Kinderbetreuung.
Das Tagesgeschäft eines Bürgermeisters eben. Nebenher beantwortet Ryyan
Alshebl weltweite Medienanfragen. Japanische Sender, aber auch die New York
Times wollen Interviews mit Ryyan Alshebl, der vor acht Jahren aus Syrien
nach Deutschland geflohen und nun in Deutschland Bürgermeister geworden
ist.
Die 2.500 Ostelsheimer haben Ende März den sportlich wirkenden 29-Jährigen
aus dem syrischen as-Suweida im ersten Wahlgang mit 53,5 Prozent zu ihrem
Stadtoberhaupt gewählt. Diese Woche wird er offiziell in sein Amt
eingeführt.
## Gepflegte Vorgärten, schuldenfreie Stadtkasse
Der Amtsinhaber in Ostelsheim war nicht mehr angetreten, und Alshebl hat,
unterstützt von Freunden und den Grünen im Ort, einen sehr engagierten
Haustürwahlkampf hingelegt. Anders als sein Mitbewerber hat er die Bürger
mit einem konkreten 5-Punkte-Plan zur Ortsentwicklung überzeugt. „Die
Kampagne war eigentlich fehlerfrei“, sagt Ashebl mit kaum hörbarem Akzent.
Und sein Kontrahent, ein erfahrener Verwaltungsmann, habe ihn wohl auch ein
bisschen unterschätzt.
Ostelsheim ist ein kleiner Ort zwischen Pforzheim und Stuttgart am Rande
des Nordschwarzwalds. Die Stadtkasse ist schuldenfrei, die Vorgärten sind
gepflegt, die Autos davor glänzen. Aber es fehlt an Fachkräften in der
städtischen Kita, und außerdem will der neue Bürgermeister mehr
Solaranlagen auf die Dächer der Ostelsheimer pflanzen. Baugebiete müssen
ausgewiesen werden, und wenn der Ort bald an die neue S-Bahn-Linie
angeschlossen wird, wird das auch das Leben und die Mobilität am Ort
verändern. Es gibt genug zu tun.
Der Landkreis Calw ist mindestens eine konservative Gegend. Trotzdem haben
sie ihn hier gewählt. „Wir Schwaben mögen eben Schaffer“, sagt
Bürgermeisterkollege Boris Palmer über ihn. Auch diese Wortmeldung des
umstrittenen Kollegen mag ihm in bürgerlichen Kreisen eher genutzt als
geschadet haben. Aber auch die AfD hat im Nordschwarzwald bei Bundes- und
Europawahlen [1][seit Jahren stabile Wahlergebnisse] über 12 Prozent.
Trotzdem haben sie hier einen Geflüchteten gewählt. Er habe kaum
Anfeindungen erfahren, sagt Alshebl, und sich auf weit Schlimmeres
eingestellt.
## Förderung durch den Bürgermeister
Es ist eine Integrationsgeschichte, die vielleicht auch diejenigen
überzeugt, die von Vorurteilen belastet sind. 2015 kommt der knapp
21-jährige Ryyan Alshebl über Libanon und die Türkei mit einem Schlauchboot
nach Lesbos und nach tagelangem Fußmarsch über Passau in die Erstaufnahme
nach Karlsruhe.
Seine Familie gehört zur drusischen Minderheit. Ryyan Alshebl hat in seiner
syrischen Heimat gerade mit einem Studium im Finanzwesen begonnen, als der
Krieg ausbricht und er in die Armee des Assad-Regimes eingezogen werden
soll. Er flieht nach Deutschland. In der Gemeinschaftsunterkunft in Calw
bemüht er sich schnell um einen Deutschkurs, wird Mitglied im Sportverein.
„Mir war klar, dass ich hier bleiben werde.“
Ein erstes Praktikum in einer Autowerkstatt zeigt ihm, dass er nicht
unbedingt das Talent zum Handwerk hat. Also bemüht sich Alshebl trotz der
Sprachbarriere um ein Praktikum bei der Stadtverwaltung im benachbarten
Althengstett, das damals die Agentur für Arbeit für Geflüchtete vermittelt.
Dem Bürgermeister Clemens Götz fällt Alshebl auf, er fördert ihn. Alshebl
darf im Rathaus bleiben, macht eine duale Ausbildung zum
Verwaltungsfachangestellten und bildet sich bei der Industrie- und
Handelskammer fort. „In Großstädten ist das Multikultileben zwar reizvoll�…
sagt er, „aber in so einem Ort lernt man die Gesellschaft eines fremden
Landes pur kennen.“
## Flüchtlingspolitik macht ratlos
Als er davon hört, dass in Ostelsheim der Bürgermeister nicht mehr antritt,
fragt er seinen Chef, ob der ihm das zutraut. Clemens Götz habe gesagt, ja,
er traue es ihm zu, es komme aber darauf an, die Wähler zu überzeugen. Das
ist nun gelungen. Er kann sich gut vorstellen, nach seiner Amtszeit weiter
politisch Karriere zu machen. Seine Mitgliedschaft bei den Grünen hat er im
Wahlkampf nicht verheimlicht, ist aber als unabhängiger Kandidat
angetreten. „Meine Parteikarriere war bisher sehr bescheiden“, sagt er. Die
Grünen können talentierte Kommunalpolitiker gut gebrauchen.
Wenn man ihn fragt, wie er als Geflüchteter über den großen Zankapfel
seiner Partei, die Zustimmung der Ampel zur [2][europäischen
Flüchtlingspolitik], steht, denkt er eine Weile nach. Dann gibt Alshebl
zwei Antworten. „Als Geflüchteter wäre ich nie freiwillig in solch ein
Ankerzentrum gegangen“, sagt er entschieden. Denn es seien eben doch
haftähnliche Lager. Aber als Politiker, der nun selbst Raum für
Flüchtlingsunterkünfte bereitstellen muss, müsse er schon akzeptieren, dass
man an Belastungsgrenzen komme. „Wenn der Preis wäre, dass [3][die AfD die
Politik in Deutschland prägt], dann wäre doch keinem geholfen.“ Ryyan
Alshebl schaut ratlos.
7 Jul 2023
## LINKS
[1] /AfD-Erfolge-bei-Kommunalwahlen/!5941832
[2] /EU-Abgeordneter-ueber-Asylrecht/!5941545
[3] /Raguhn-Jessnitz-in-Sachsen-Anhalt/!5944567
## AUTOREN
Benno Stieber
## TAGS
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