Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tauben in der Stadt: Auf Wohnungssuche in Neukölln
> Stadttauben hängen sehr an ihrem Brutplatz. Wenn der wegfällt, suchen sie
> in unmittelbarer Nähe nach Ersatz – selbst wenn das eine WG-Toilette ist.
Bild: Würden gern in Neukölln bleiben: Zwei Tauben auf Brutplatzsuche
BERLIN taz | Als die Mitbewohnerin die Tauben entdeckt, sind sie schon fast
fest eingezogen. Eilig aufeinandergeworfene Zweige liegen auf dem für uns
sehr schwer zugänglichen Vorsprung am Badezimmerfenster. Das Taubenpärchen
selbst sitzt zufrieden gurrend auf dem Fensterbrett. Hübsch sieht es aus,
wie sie sich dabei angucken, wie so ein Motiv von einer Hochzeitskarte. Wir
aber beschließen, dass wir für [1][Tauben mit Kükenwunsch keinen Platz]
haben. Das Fenster vom „kleinen Klo“ ist bei uns eigentlich immer offen.
Nun machen wir es einfach dauerhaft zu.
Am nächsten Tag sehe ich eine der beiden Tauben immer wieder im Fenster des
Nachbarn verschwinden, teils mit Stöckchen im Schnabel. Als ich ihn darauf
anspreche, sieht er nach. Tatsächlich haben die Tauben sich dort ebenfalls
innerhalb kurzer Zeit ein Nest eingerichtet. Auch er räumt das Nest ab und
schließt das Fenster.
Die Tauben lassen sich davon nicht beirren. Mit ihrem auffälligem
Flapp-flapp-flapp fliegen sie von nun an zwischen den Fenstersimsen von
Vorder- und Hinterhaus hin und her und gucken überall rein. Oft flattern
sie uns auch im Treppenhaus entgegen. Meine Mitbewohnerin findet eine Feder
in ihrem Zimmer, auf meinem Fensterbrett (drinnen) hinterlassen sie einen
Kothaufen. Es ist offensichtlich: Die Tauben wollen unbedingt in einer
Neuköllner WG wohnen. Mit Putzplan und Aufräumen der gemeinsamen Räume
sehen sie es eher locker.
„Ja, die wollen im Kiez bleiben“, sagt Wildtierexperte Derk Ehlert. „Das
sind sicherlich Felsentauben“, vermutet er, die seien in Berlin und in
Städten überhaupt sehr verbreitet. „Für die ist das [2][kein Haus, sondern
ein Felsvorsprung mit interessanten Ritzen]“, sagt er. Felsentauben leben
laut Ehlert monogam und sind sehr „ortstreu“, binden sich also sehr stark
an einen festen Platz. Tatsächlich wird [3][unser Nachbarhaus saniert,
womöglich sind sie also von dort verdrängt] worden. „Wenn lokal ein
Brutplatz wegfällt, suchen sie im unmittelbaren Umfeld“, sagt Ehlert. Das
sei eben das Nachbarhaus, nicht etwa die Nebenstraße.
## Streng geschützte Art
Auch Ehlert rät, die Fenster zu schließen. Denn Felstauben gehören zu den
streng geschützen Arten, „sobald ein Ei im Nest liegt, darf man es nicht
mehr entfernen“, sagt er. Ihre Nester würden sie so hastig und unordentlich
bauen, weil sie nur verhindern müssten, dass das Ei den Felsen
herunterrollt. Und es sei auch [4][kein Zufall, dass sie so nahe kämen].
„Menschen haben Tauben 6.000 Jahre lang gehalten“, sagt Ehlert. Die Tauben
in der Stadt seien letztlich wieder verwildert.
Und nicht umsonst seien sie auch ein Symbol für den Frieden oder für Glück.
„Sie haben einen sehr guten Orientierungssinn, sie finden immer wieder nach
Hause und fliegen teils 100 Kilometer, um Futter zu suchen“, sagt er. „Die
meist sehr schlechte Behandlung heute haben sie nicht verdient.“
Inzwischen ist Lüften bei uns generell schwierig. Eines Morgens wache ich
sehr früh von lautem Gurren auf – und erwische die beiden Tauben dabei, wie
sie vom großen Badezimmer neugierig Richtung Küche trippeln. Im erweiterten
Bekanntenkreis höre ich [5][von ähnlich motiviert suchenden Tauben], die
Bekannten haben am Ende feinmaschige Drahtnetze vor die Fenster gespannt.
Mir fallen nun auch überall Spikes auf, die an Gebäuden angebracht sind, um
Tauben zu „vergrämen“. Aber Spikes oder Drahtnetze sind uns zu rabiat.
Wir versuchen es mit Glitzer: Beim Lüften hängen wir silberne und goldene
Zahlenballons von vergangenen Geburtstagen ins Fenster, die sich bewegen
und im Wind leise knistern. Vor die Lüftungsschlitze im Treppenhaus kleben
wir bunte Luftschlangen und Lamettastreifen.
Noch am selben Tag sehe ich eine der beiden Tauben mit einem
Lamettastreifen im Schnabel auf der Treppe sitzen. Das könnte ihr Nest
aufhübschen, denke ich. Und hoffe, dass sie bald eine Nische finden.
4 Jul 2023
## LINKS
[1] /Wohnungssuche-in-Staedten/!5845194
[2] /Abschied-von-der-Redaktionstaube/!5791459
[3] /Voegel-in-der-Stadt/!5921755
[4] /Streit-um-die-Brieftaube/!5708236
[5] /Ich-und-die-Tauben-auf-meinem-Balkon/!5760566
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
## TAGS
Wildtiere
Tauben
Berlin
Nistplätze
Tauben
Tauben
Gebäudesanierung
Tauben
Stadtnatur
## ARTIKEL ZUM THEMA
Stadttauben in Berlin: Zwei Stunden mit Twiggy
Eine kranke Wildtaube rührt das Herz der Autorin, sie nimmt sie mit. Doch
eine Ärztin meint, die Taube wegen Trichomonaden einschläfern zu müssen.
Taubenschutz in Berlin: Vogelfreie Vögel
Tauben fallen durch sämtliche Raster des Berliner Tierschutzsystems.
Ehrenamtliche versuchen darum, die Lage der Tiere auf eigene Faust zu
verbessern.
Vögel in der Stadt: Beim Nisten nichts Neues
Eine Anfrage der Grünen ergibt: Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften
legen sich beim Schutz von Gebäudebrütern nicht gerade ins Zeug.
Moschee baut Vogelhaus: Die Taube auf dem Dach
Ziel sind weniger Dreck und mehr Geburtenkontrolle: Auf der
Centrums-Moschee in St. Georg eröffnet der erste offizielle innerstädtische
Taubenschlag
Tauben in der Stadt: Gentrifizierung aus der Luft
Die Städte sind ideal für die Körnerfresser. Außerdem ist es dort wärmer
als auf dem Land. Am liebsten halten sie sich inmitten von Menschen auf.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.