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# taz.de -- Stadttauben in Berlin: Zwei Stunden mit Twiggy
> Eine kranke Wildtaube rührt das Herz der Autorin, sie nimmt sie mit. Doch
> eine Ärztin meint, die Taube wegen Trichomonaden einschläfern zu müssen.
Bild: Taube Twiggy vor der Einschläferung in einem Schal
Berlin taz | Die kleine Taube sitzt im Dreck unter der Autobahnbrücke am
Waidmannsluster Damm. Ein paar Meter weiter picken ihre Kolleginnen in den
Körnern, die ein Unbekannter ausgestreut hat, doch sie hockt nur da. Als
ich auf sie zugehe, weicht sie nicht zurück, fliegt nicht weg. Sie muss
verletzt sein, denke ich, vielleicht aus dem Nest gefallen – die Tauben
hausen oben in den Lücken der Brückenpfeiler. Eigentlich habe ich keine
Zeit, vor der Arbeit will ich noch einkaufen, aber weggehen kann ich auch
nicht. So nehme ich meinen Schal ab, wickel die Taube ein und nehme sie
mit.
Auf dem Weg zum Bus google ich nach Tierärzten, doch morgens um 8 hat
keiner auf, also nehme ich sie mit zu Obi, wo ich Schrauben für mein
Gewächshaus besorgen will. Im Bus rede ich beruhigend auf die Taube ein,
doch das scheint gar nicht nötig, sie sitzt still auf meinem Schoß, sogar
das Köpfchen kann ich ihr streicheln. Helle Flaumfedern zwischen dem grauen
Gefieder am Hals lassen mich vermuten, dass sie ein Baby ist.
Meinen Einkauf bei Obi erledige ich einarmig, links den Korb mit Schrauben,
rechts Täubchen im Schal. Die Kassiererin ist hingerissen: „Die ist aber
zutraulich, ist sie zahm?“ Draußen greife ich wieder zum Telefon. Der erste
Tierarzt, der rangeht, hat heute keinen Termin frei – „und Tauben behandeln
wir sowieso nicht“. Die Sprechstundenhilfe gibt mir aber einen Tipp: Die
Tierarztpraxis Rödiger am „Kutschi“ nehme Wildtiere an.
In der S1 nach Wittenau kommt eine Frau auf mich zu. „Was haben Sie denn
da?“ Mit einem Ausdruck zwischen Neugierde und Sorge will sie wissen, was
ich mit dem Tier vorhabe, ich verspüre Rechtfertigungsdruck – [1][tue ich
das Richtige?] Doch als ich alles erkläre, nickt die Frau und setzt sich
wieder.
## Täubchen hat Parasiten, wie so viele Stadttauben
Nochmal Bus fahren, Täubchen guckt neugierig aus dem Fenster, die anderen
Passagiere beachten uns nicht. In der Praxis soll ich einen Zettel
ausfüllen, der „Wildtierfund“ überschrieben ist – und ich soll Täubchen
abgeben. „Kann ich nicht mit der Ärztin sprechen?“ – „Dann müssen Sie…
selbst zahlen.“ Ich bin einverstanden und fülle ein anderes Formular aus.
Name des Tiers? Ich überlege und taufe die Taube Twiggy – sie ist so dünn.
Nach einer kurzen Wartezeit sind wir dran, die Ärztin nimmt Twiggy zwischen
die Hände und untersucht sie. „Sie ist wirklich sehr mager“, sagt die junge
Frau und zeigt mir, dass man am Bauch die Knochen durch die Haut sehen
kann. Ein Blick in Twiggys Hals verrät ihr den Grund: Trichomonaden.
[2][Die meisten Stadttauben hätten diese Parasiten], erklärt die Ärztin,
wirklich heilbar sei das nicht. Und: Wegen des Seuchenschutzes müsse sie
das Täubchen leider einschläfern.
Traurig verabschiede ich mich von Twiggy, in nicht einmal zwei Stunden ist
sie mir ans Herz gewachsen. Ich hätte sie gerne eine Weile behalten und
aufgepäppelt. Am Empfangstresen zahle ich mit Karte 104 Euro,
„[3][Euthanasie aus Tierschutzgründen]“ steht auf der Rechnung. Das Geld
war es mir wert: So konnte ich Twiggy wenigstens noch einen Namen geben.
Nachtrag am 4. Dezember, 13:36 Uhr: Dieser Artikel schlägt unter
Tierschützern hohe Wellen. Sie sagen, dass Twiggy nicht hätte euthanasiert
werden müssen oder gar dürfen. Janine Mohaupt von der
Tierschutzorganisation Aktionfairplay etwa weist daraufhin, dass
Trichomonaden bei Tauben in der Regel problemlos mit Medikamenten zu
behandeln seien und die Krankheit auch keine meldepflichtige Seuche sei.
Verschiedene Quellen im Netz bestätigen diese Aussagen.
29 Nov 2024
## LINKS
[1] /Verletzte-Taube-auf-Strassenbahnschienen/!6037095
[2] /Taubenschutz-in-Berlin/!5968778
[3] /Tauben-in-der-Stadt/!5941733
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Tauben
Tierschutz
Tierarzt
Kolumne Zwischen Menschen
Tauben
Wildtiere
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